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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Unsre Volkstrachten

tischer Rock, und die kurzen Lederhosen, die die Kniee freilassen, sind auch be¬
quem. Das macht die Arbeit für Erhaltung der Trachten leichter. Drum
konnte der Dorfpfarrer sagen: Kein Matt soll mir mit einer andern Kopf¬
bedeckung als dem grünen Hüatl in die Kirche kommen; und sie folgten ihm,
groß und klein. Drum hat die Joppe von München aus ihren Eroberungszug
über die Welt gemacht. Und drum sind die Berchtesgadner Lederhösln und
Wadenstrümpfe überall in den Alpen bei Jägern, Bergfexen und den vielen,
die gebirglerisch aussehen wollen, mode geworden. Wenn der Kaufmann B.
und der Nechtsnnwalt P. aus München, zwei begeisterte Freunde der bairischen
Gebirgstracht, nach Vairisch-Zell kamen und durch Feste und Preise für die
Erhaltung und erneute Verbreitung dieser Tracht wirkten, so hatten sie eben
Erfolg, weil sie durch die That bewiesen, daß sie sie schön und praktisch fanden.
Es war auch so natürlich, daß sich die Liebe zu deu Bergen mit der Liebe zu
allem verband, was zu den Bergen gehört. Dazu kam dann die immer weiter
sich verbreitende Erkenntnis, daß Baiern und Tirol einen Teil der ganz natür¬
lichen, reklamefreien Anziehungskraft auf Reisende aller Länder, vor allem aber
auf Deutsche und Österreicher, der Eigenart ihres Volks verdanken, das, mit
oder ohne Tracht, sich etwas naturwüchsiges, kraftvolles bewahrt hat. Das
freut uns in einem Zeitalter der Gleichmacherei, das immer auch eine Zeit der
Abschwüchuug der Persönlichkeiten ist. Wenn ich einen Eichenwald unter die
Schere nehme, verliert jeder Baum an Wert. So ists der Masse unsers Volks
ergangen. Im Alpenland und Alpenvorland, im südlichen Schwarzwald, in
vielen Teilen von Holland, in der Bretagne, in Wales, bei den siebenbürger
Sachsen ist die Erhaltung altertümlicher Trachten nur ein Ausdruck der Kraft
des Volkes, sich zu behaupten in dein sogenannten Strom der Zeit. Was ist
dieser Strom als ein trübes, mit allen möglichen weggerissenen Dingen treibendes
Gewässer? Niemand badet sich darin gesund. Wo sich ein kräftiges Bauerntum
zwischen Vürcaukraten und Juden, zwischen Verkehr und Versumpfung erhalten
hat, sind auch Trachten bewahrt. Wo man reinliche Häuser mit hellen Fenstern
und heitern Menschen, wvhlgepflegte Hausgärten und stolze Misthaufen sieht, wo
nicht die Wolke der Hypothekenlast sichtbar und greifbar über Haus und Hof
schwebt, da ist die Heimat der Trachten, oder vielmehr ihre Zuflucht. In
den Schanden und Tüchern, deu faltenreichen Kleidern und den goldquastigeu
Hüten steckt oft ein Wert von Hunderten, aber er geht auf die Enkel und Ur¬
enkel über. Solange sie ihn haben, erhält er sie über den tiefern Schichten,
er erhält ihnen ihre Stellung, ihren Stand und ihren Stolz. Wie hab ich
mich gefreut, als eine Unterinnthalerin, die draußen in Baiern diente, vor der
Messe mit ihrem geradrandigen, schwarzen, goldausgeschlagnen Hut, der höchst
kleidsam ist, vor mich hintrat und mir ihren ererbten wertvollen Besitz mit
Stolz zeigte! An diesem Sonntagmorgen war sie keine Magd und fühlte sich
jeder Hofbäuerin gleich, die in diesen Flachlandgegenden schon schwer seidne


Unsre Volkstrachten

tischer Rock, und die kurzen Lederhosen, die die Kniee freilassen, sind auch be¬
quem. Das macht die Arbeit für Erhaltung der Trachten leichter. Drum
konnte der Dorfpfarrer sagen: Kein Matt soll mir mit einer andern Kopf¬
bedeckung als dem grünen Hüatl in die Kirche kommen; und sie folgten ihm,
groß und klein. Drum hat die Joppe von München aus ihren Eroberungszug
über die Welt gemacht. Und drum sind die Berchtesgadner Lederhösln und
Wadenstrümpfe überall in den Alpen bei Jägern, Bergfexen und den vielen,
die gebirglerisch aussehen wollen, mode geworden. Wenn der Kaufmann B.
und der Nechtsnnwalt P. aus München, zwei begeisterte Freunde der bairischen
Gebirgstracht, nach Vairisch-Zell kamen und durch Feste und Preise für die
Erhaltung und erneute Verbreitung dieser Tracht wirkten, so hatten sie eben
Erfolg, weil sie durch die That bewiesen, daß sie sie schön und praktisch fanden.
Es war auch so natürlich, daß sich die Liebe zu deu Bergen mit der Liebe zu
allem verband, was zu den Bergen gehört. Dazu kam dann die immer weiter
sich verbreitende Erkenntnis, daß Baiern und Tirol einen Teil der ganz natür¬
lichen, reklamefreien Anziehungskraft auf Reisende aller Länder, vor allem aber
auf Deutsche und Österreicher, der Eigenart ihres Volks verdanken, das, mit
oder ohne Tracht, sich etwas naturwüchsiges, kraftvolles bewahrt hat. Das
freut uns in einem Zeitalter der Gleichmacherei, das immer auch eine Zeit der
Abschwüchuug der Persönlichkeiten ist. Wenn ich einen Eichenwald unter die
Schere nehme, verliert jeder Baum an Wert. So ists der Masse unsers Volks
ergangen. Im Alpenland und Alpenvorland, im südlichen Schwarzwald, in
vielen Teilen von Holland, in der Bretagne, in Wales, bei den siebenbürger
Sachsen ist die Erhaltung altertümlicher Trachten nur ein Ausdruck der Kraft
des Volkes, sich zu behaupten in dein sogenannten Strom der Zeit. Was ist
dieser Strom als ein trübes, mit allen möglichen weggerissenen Dingen treibendes
Gewässer? Niemand badet sich darin gesund. Wo sich ein kräftiges Bauerntum
zwischen Vürcaukraten und Juden, zwischen Verkehr und Versumpfung erhalten
hat, sind auch Trachten bewahrt. Wo man reinliche Häuser mit hellen Fenstern
und heitern Menschen, wvhlgepflegte Hausgärten und stolze Misthaufen sieht, wo
nicht die Wolke der Hypothekenlast sichtbar und greifbar über Haus und Hof
schwebt, da ist die Heimat der Trachten, oder vielmehr ihre Zuflucht. In
den Schanden und Tüchern, deu faltenreichen Kleidern und den goldquastigeu
Hüten steckt oft ein Wert von Hunderten, aber er geht auf die Enkel und Ur¬
enkel über. Solange sie ihn haben, erhält er sie über den tiefern Schichten,
er erhält ihnen ihre Stellung, ihren Stand und ihren Stolz. Wie hab ich
mich gefreut, als eine Unterinnthalerin, die draußen in Baiern diente, vor der
Messe mit ihrem geradrandigen, schwarzen, goldausgeschlagnen Hut, der höchst
kleidsam ist, vor mich hintrat und mir ihren ererbten wertvollen Besitz mit
Stolz zeigte! An diesem Sonntagmorgen war sie keine Magd und fühlte sich
jeder Hofbäuerin gleich, die in diesen Flachlandgegenden schon schwer seidne


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[0368] Unsre Volkstrachten tischer Rock, und die kurzen Lederhosen, die die Kniee freilassen, sind auch be¬ quem. Das macht die Arbeit für Erhaltung der Trachten leichter. Drum konnte der Dorfpfarrer sagen: Kein Matt soll mir mit einer andern Kopf¬ bedeckung als dem grünen Hüatl in die Kirche kommen; und sie folgten ihm, groß und klein. Drum hat die Joppe von München aus ihren Eroberungszug über die Welt gemacht. Und drum sind die Berchtesgadner Lederhösln und Wadenstrümpfe überall in den Alpen bei Jägern, Bergfexen und den vielen, die gebirglerisch aussehen wollen, mode geworden. Wenn der Kaufmann B. und der Nechtsnnwalt P. aus München, zwei begeisterte Freunde der bairischen Gebirgstracht, nach Vairisch-Zell kamen und durch Feste und Preise für die Erhaltung und erneute Verbreitung dieser Tracht wirkten, so hatten sie eben Erfolg, weil sie durch die That bewiesen, daß sie sie schön und praktisch fanden. Es war auch so natürlich, daß sich die Liebe zu deu Bergen mit der Liebe zu allem verband, was zu den Bergen gehört. Dazu kam dann die immer weiter sich verbreitende Erkenntnis, daß Baiern und Tirol einen Teil der ganz natür¬ lichen, reklamefreien Anziehungskraft auf Reisende aller Länder, vor allem aber auf Deutsche und Österreicher, der Eigenart ihres Volks verdanken, das, mit oder ohne Tracht, sich etwas naturwüchsiges, kraftvolles bewahrt hat. Das freut uns in einem Zeitalter der Gleichmacherei, das immer auch eine Zeit der Abschwüchuug der Persönlichkeiten ist. Wenn ich einen Eichenwald unter die Schere nehme, verliert jeder Baum an Wert. So ists der Masse unsers Volks ergangen. Im Alpenland und Alpenvorland, im südlichen Schwarzwald, in vielen Teilen von Holland, in der Bretagne, in Wales, bei den siebenbürger Sachsen ist die Erhaltung altertümlicher Trachten nur ein Ausdruck der Kraft des Volkes, sich zu behaupten in dein sogenannten Strom der Zeit. Was ist dieser Strom als ein trübes, mit allen möglichen weggerissenen Dingen treibendes Gewässer? Niemand badet sich darin gesund. Wo sich ein kräftiges Bauerntum zwischen Vürcaukraten und Juden, zwischen Verkehr und Versumpfung erhalten hat, sind auch Trachten bewahrt. Wo man reinliche Häuser mit hellen Fenstern und heitern Menschen, wvhlgepflegte Hausgärten und stolze Misthaufen sieht, wo nicht die Wolke der Hypothekenlast sichtbar und greifbar über Haus und Hof schwebt, da ist die Heimat der Trachten, oder vielmehr ihre Zuflucht. In den Schanden und Tüchern, deu faltenreichen Kleidern und den goldquastigeu Hüten steckt oft ein Wert von Hunderten, aber er geht auf die Enkel und Ur¬ enkel über. Solange sie ihn haben, erhält er sie über den tiefern Schichten, er erhält ihnen ihre Stellung, ihren Stand und ihren Stolz. Wie hab ich mich gefreut, als eine Unterinnthalerin, die draußen in Baiern diente, vor der Messe mit ihrem geradrandigen, schwarzen, goldausgeschlagnen Hut, der höchst kleidsam ist, vor mich hintrat und mir ihren ererbten wertvollen Besitz mit Stolz zeigte! An diesem Sonntagmorgen war sie keine Magd und fühlte sich jeder Hofbäuerin gleich, die in diesen Flachlandgegenden schon schwer seidne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/368>, abgerufen am 06.10.2024.