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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Unsre Volkstrachten

teilungen, die Hansjakob bringt, die Angabe, daß zu Ostern 18V5 von 491 Ge¬
meinden der Kreise Freiburg, Lörrach und Offenburg in 226 Gemeinden die
Jugend zur Kommunion oder Konfirmation in Volkstracht erschienen ist. Ich
weiß wohl, daß diese hohe Festzeit der Jugend besonders auch dadurch ge¬
feiert wird, daß man die Kommunikanten sich durch ihre Kleidung von der
übrigen Jugend unterscheiden läßt. Mancher wird kurz nachher die Tracht
für immer ablege", die nur für diesen Zweck vererbt war. Dennoch ist jene
Zahl größer, als man hoffen konnte.

Es giebt Trachten, die so versteinert sind, daß sich ihre Erhaltung nicht
mehr anstreben läßt; sie würde sich gar nicht lohnen. Es sind nur uoch
Kuriositäten. Im günstigsten Fall wird man einzelnes festhalten können aus
so barocken Trachten, wie der Altenburger oder Schwälmer. Daß der müh¬
selige Hennebergcr Kopfputz nicht immer wieder hergestellt werden wird, leuchtet
ein. Schon der Zeitverlust verbietet es. Es giebt aber noch eine Masse von
lebensfähigen Elementen in den heutigen Trachten, die man nicht verkommen
lassen darf; weil sie schön und vorteilhaft sind, muß man sie erhalten, nicht
bloß weil sie alt sind.

Sehr interessant ist es, zu scheu, wie verschieden der Geschmack ist, der
sich in den deutschen Volkstrachten ausspricht. In den künstlerisch begabten
Stämmen des Südens und Südwestens haben wir die schönsten. Ist
es eine Beimischung romanischen Schönheitssinnes, die in Tirol, die im
bairischen Oberland, in der Schweiz, in Baden und im Elsaß, also in
bairischen und alemannischen Landen Trachten erzeugt hat, die zum Teil den
Ansprüchen eines verfeinerten Geschmacks genügen? In dem lothringischen
Hündchen ist die französische Entlehnung greifbar. Ein Miesbacher Hut oder
eine Spitzenhaube aus dem nördlichen Schwarzwald ziert das feinste Gesicht.
Eine männlich freiere und frohere Kleidung giebt es nicht als die oberbairische
Gebirgstracht.

Das sind alles Trachten, die sich noch im Lauf unsers Jahrhunderts
verfeinernd weitergebildet haben. Welcher Abstand davon in der flachgedrückten
faltenreichenDachanerin oder der barocken, gleichsam eingesponnenen Altenburgeriu.
Das ist stehen und stecken geblieben. Geschmackvolle Trachten lehnen sich dann
wieder an die so schön entfalteten niederländischen in Friesland und auf den
friesischen Inseln an. Die Vierländerin ist etwas kokett -- der Einfluß Ham¬
burgs! Westlich davon fangen aber ganz andre Trachten mit slawischen Ele¬
menten an, oft sehr farbenreiche, aber in keiner einzigen Ausprägung das
Elegante auch nur streifend. Man geht gewiß nicht fehl, wenn man jenen ge¬
schmackvollem Trachten eine größere Lebenskraft und Ausbreitungsfühigkeit
zuschreibt als diese" plumpem. Man sieht das in Baiern: die Dachauer
Tracht stirbt aus, die Miesbacher macht Eroberungen.

Wenn man vom Ästhetischen der Volkstracht redet, kommt man von


Unsre Volkstrachten

teilungen, die Hansjakob bringt, die Angabe, daß zu Ostern 18V5 von 491 Ge¬
meinden der Kreise Freiburg, Lörrach und Offenburg in 226 Gemeinden die
Jugend zur Kommunion oder Konfirmation in Volkstracht erschienen ist. Ich
weiß wohl, daß diese hohe Festzeit der Jugend besonders auch dadurch ge¬
feiert wird, daß man die Kommunikanten sich durch ihre Kleidung von der
übrigen Jugend unterscheiden läßt. Mancher wird kurz nachher die Tracht
für immer ablege», die nur für diesen Zweck vererbt war. Dennoch ist jene
Zahl größer, als man hoffen konnte.

Es giebt Trachten, die so versteinert sind, daß sich ihre Erhaltung nicht
mehr anstreben läßt; sie würde sich gar nicht lohnen. Es sind nur uoch
Kuriositäten. Im günstigsten Fall wird man einzelnes festhalten können aus
so barocken Trachten, wie der Altenburger oder Schwälmer. Daß der müh¬
selige Hennebergcr Kopfputz nicht immer wieder hergestellt werden wird, leuchtet
ein. Schon der Zeitverlust verbietet es. Es giebt aber noch eine Masse von
lebensfähigen Elementen in den heutigen Trachten, die man nicht verkommen
lassen darf; weil sie schön und vorteilhaft sind, muß man sie erhalten, nicht
bloß weil sie alt sind.

Sehr interessant ist es, zu scheu, wie verschieden der Geschmack ist, der
sich in den deutschen Volkstrachten ausspricht. In den künstlerisch begabten
Stämmen des Südens und Südwestens haben wir die schönsten. Ist
es eine Beimischung romanischen Schönheitssinnes, die in Tirol, die im
bairischen Oberland, in der Schweiz, in Baden und im Elsaß, also in
bairischen und alemannischen Landen Trachten erzeugt hat, die zum Teil den
Ansprüchen eines verfeinerten Geschmacks genügen? In dem lothringischen
Hündchen ist die französische Entlehnung greifbar. Ein Miesbacher Hut oder
eine Spitzenhaube aus dem nördlichen Schwarzwald ziert das feinste Gesicht.
Eine männlich freiere und frohere Kleidung giebt es nicht als die oberbairische
Gebirgstracht.

Das sind alles Trachten, die sich noch im Lauf unsers Jahrhunderts
verfeinernd weitergebildet haben. Welcher Abstand davon in der flachgedrückten
faltenreichenDachanerin oder der barocken, gleichsam eingesponnenen Altenburgeriu.
Das ist stehen und stecken geblieben. Geschmackvolle Trachten lehnen sich dann
wieder an die so schön entfalteten niederländischen in Friesland und auf den
friesischen Inseln an. Die Vierländerin ist etwas kokett — der Einfluß Ham¬
burgs! Westlich davon fangen aber ganz andre Trachten mit slawischen Ele¬
menten an, oft sehr farbenreiche, aber in keiner einzigen Ausprägung das
Elegante auch nur streifend. Man geht gewiß nicht fehl, wenn man jenen ge¬
schmackvollem Trachten eine größere Lebenskraft und Ausbreitungsfühigkeit
zuschreibt als diese» plumpem. Man sieht das in Baiern: die Dachauer
Tracht stirbt aus, die Miesbacher macht Eroberungen.

Wenn man vom Ästhetischen der Volkstracht redet, kommt man von


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[0370] Unsre Volkstrachten teilungen, die Hansjakob bringt, die Angabe, daß zu Ostern 18V5 von 491 Ge¬ meinden der Kreise Freiburg, Lörrach und Offenburg in 226 Gemeinden die Jugend zur Kommunion oder Konfirmation in Volkstracht erschienen ist. Ich weiß wohl, daß diese hohe Festzeit der Jugend besonders auch dadurch ge¬ feiert wird, daß man die Kommunikanten sich durch ihre Kleidung von der übrigen Jugend unterscheiden läßt. Mancher wird kurz nachher die Tracht für immer ablege», die nur für diesen Zweck vererbt war. Dennoch ist jene Zahl größer, als man hoffen konnte. Es giebt Trachten, die so versteinert sind, daß sich ihre Erhaltung nicht mehr anstreben läßt; sie würde sich gar nicht lohnen. Es sind nur uoch Kuriositäten. Im günstigsten Fall wird man einzelnes festhalten können aus so barocken Trachten, wie der Altenburger oder Schwälmer. Daß der müh¬ selige Hennebergcr Kopfputz nicht immer wieder hergestellt werden wird, leuchtet ein. Schon der Zeitverlust verbietet es. Es giebt aber noch eine Masse von lebensfähigen Elementen in den heutigen Trachten, die man nicht verkommen lassen darf; weil sie schön und vorteilhaft sind, muß man sie erhalten, nicht bloß weil sie alt sind. Sehr interessant ist es, zu scheu, wie verschieden der Geschmack ist, der sich in den deutschen Volkstrachten ausspricht. In den künstlerisch begabten Stämmen des Südens und Südwestens haben wir die schönsten. Ist es eine Beimischung romanischen Schönheitssinnes, die in Tirol, die im bairischen Oberland, in der Schweiz, in Baden und im Elsaß, also in bairischen und alemannischen Landen Trachten erzeugt hat, die zum Teil den Ansprüchen eines verfeinerten Geschmacks genügen? In dem lothringischen Hündchen ist die französische Entlehnung greifbar. Ein Miesbacher Hut oder eine Spitzenhaube aus dem nördlichen Schwarzwald ziert das feinste Gesicht. Eine männlich freiere und frohere Kleidung giebt es nicht als die oberbairische Gebirgstracht. Das sind alles Trachten, die sich noch im Lauf unsers Jahrhunderts verfeinernd weitergebildet haben. Welcher Abstand davon in der flachgedrückten faltenreichenDachanerin oder der barocken, gleichsam eingesponnenen Altenburgeriu. Das ist stehen und stecken geblieben. Geschmackvolle Trachten lehnen sich dann wieder an die so schön entfalteten niederländischen in Friesland und auf den friesischen Inseln an. Die Vierländerin ist etwas kokett — der Einfluß Ham¬ burgs! Westlich davon fangen aber ganz andre Trachten mit slawischen Ele¬ menten an, oft sehr farbenreiche, aber in keiner einzigen Ausprägung das Elegante auch nur streifend. Man geht gewiß nicht fehl, wenn man jenen ge¬ schmackvollem Trachten eine größere Lebenskraft und Ausbreitungsfühigkeit zuschreibt als diese» plumpem. Man sieht das in Baiern: die Dachauer Tracht stirbt aus, die Miesbacher macht Eroberungen. Wenn man vom Ästhetischen der Volkstracht redet, kommt man von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/370>, abgerufen am 25.11.2024.