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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

schmale Glieder sich fast nach allen Himmelsrichtungen erstreckten, diesem Lande,
"das nicht mehr Kleinstaat und noch nicht Großstaat sei," bleibe nur die Ver¬
größerung übrig. Er denkt dabei an Erbschaften und Eroberungen. Aber so
wichtig Erbschaften sind, für ihn haben Eroberungen ein viel größeres Interesse,
da sie "bestimmten, schwer empfundnen Mängeln abhelsen" sollen. Dazu aber
sind Sachsen, Westpreußen und schwedisch-Pommern ausersehen. Die Wichtig¬
keit und die höhere Wahrscheinlichkeit der Erwerbung ergiebt sich aus der
Reihenfolge, in der die Länder aufgeführt werden.

Der König hat zwar diese Gedanken unter dem Titel: Mvsriös po1it,i<zu<Z8
niedergeschrieben und hat die Eroberung Sachsens nur für den Fall als durch¬
führbar bezeichnet, daß Österreich und Rußland durch eiuen Angriff Frank¬
reichs, Sardiniens und der Türkei beschäftigt wären. Aber der Umstand, daß
das "Politische Testament," das unter so seltsamen Eindrücken entstanden war,
sich an die Nachfolger wendet, macht es begreiflich, "daß er die Empfehlung
einer so grundstürzenden Eroberung, wie die von Sachsen es war, mit mög¬
lichst vielen Kautelen umgab." "Sich selber traute er schon etwas mehr zu."
Von bloßen "Träumereien" kann insofern keine Rede sein, als Friedrich 1756
thatsächlich die in dem "Testament" verzeichnete Disposition sür den Einmarsch
preußischer Truppen in Sachsen ausgeführt hat.

Dieselben Gedanken bewegten den König, als er, vier Jahre nach der
Niederschrift des Testaments, 1756 den Feldmarschall Lehwaldt anwies, nach
Besiegung der Russen und Österreicher womöglich auf die Abtretung von
ganz Westpreußen zu dringen. Außerdem ist ein Brief Friedrichs an feinen
Bruder August Wilhelm vom 19. Februar 1756 bekannt, worin er von dem
Vergnügen spricht, "Sachsen zu demütigen oder besser gesagt zu vernichten."
In den vom König im Oktober 1759 gemachten Friedensvvrschlägen aber
wird die Herstellung des swws <zuo als der schlimmste Ausgang für Preußen
bezeichnet; lieber will er seine rheinischen Besitzungen den Franzosen, Ost¬
preußen den Russen überlassen, als auf Sachsen verzichten. Auch in dem
"Politischen Testament" von 1768 kommt Friedrich wiederholt auf die Erwerbung
Sachsens und dann Westpreußens zurück. (Die von ihm angeregte und 1772
durchgesetzte Teilung Polens verwirklichte in der That die zweite Hälfte seines
Plans.) Damals legte er auch seine geheimsten Gedanken in dem Lxxosö An
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relloxions xolitiauöL nieder. Da heißt es ausdrücklich: Osttiz av(M8it>i0Q 68t,
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Sachsen gegen das von ihm zu erobernde Böhmen eintausche!? wollte, be¬
zeichnete er jetzt seine rheinischen Besitzungen als genügendes Tauschobjekt.

Nach alledem steht fest, daß sich Friedrich im Jahre 1756 bei seinen
Handlungen von jenen Vergrößerungsplänen hat beeinflussen lassen. Wenn


Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

schmale Glieder sich fast nach allen Himmelsrichtungen erstreckten, diesem Lande,
„das nicht mehr Kleinstaat und noch nicht Großstaat sei," bleibe nur die Ver¬
größerung übrig. Er denkt dabei an Erbschaften und Eroberungen. Aber so
wichtig Erbschaften sind, für ihn haben Eroberungen ein viel größeres Interesse,
da sie „bestimmten, schwer empfundnen Mängeln abhelsen" sollen. Dazu aber
sind Sachsen, Westpreußen und schwedisch-Pommern ausersehen. Die Wichtig¬
keit und die höhere Wahrscheinlichkeit der Erwerbung ergiebt sich aus der
Reihenfolge, in der die Länder aufgeführt werden.

Der König hat zwar diese Gedanken unter dem Titel: Mvsriös po1it,i<zu<Z8
niedergeschrieben und hat die Eroberung Sachsens nur für den Fall als durch¬
führbar bezeichnet, daß Österreich und Rußland durch eiuen Angriff Frank¬
reichs, Sardiniens und der Türkei beschäftigt wären. Aber der Umstand, daß
das „Politische Testament," das unter so seltsamen Eindrücken entstanden war,
sich an die Nachfolger wendet, macht es begreiflich, „daß er die Empfehlung
einer so grundstürzenden Eroberung, wie die von Sachsen es war, mit mög¬
lichst vielen Kautelen umgab." „Sich selber traute er schon etwas mehr zu."
Von bloßen „Träumereien" kann insofern keine Rede sein, als Friedrich 1756
thatsächlich die in dem „Testament" verzeichnete Disposition sür den Einmarsch
preußischer Truppen in Sachsen ausgeführt hat.

Dieselben Gedanken bewegten den König, als er, vier Jahre nach der
Niederschrift des Testaments, 1756 den Feldmarschall Lehwaldt anwies, nach
Besiegung der Russen und Österreicher womöglich auf die Abtretung von
ganz Westpreußen zu dringen. Außerdem ist ein Brief Friedrichs an feinen
Bruder August Wilhelm vom 19. Februar 1756 bekannt, worin er von dem
Vergnügen spricht, „Sachsen zu demütigen oder besser gesagt zu vernichten."
In den vom König im Oktober 1759 gemachten Friedensvvrschlägen aber
wird die Herstellung des swws <zuo als der schlimmste Ausgang für Preußen
bezeichnet; lieber will er seine rheinischen Besitzungen den Franzosen, Ost¬
preußen den Russen überlassen, als auf Sachsen verzichten. Auch in dem
„Politischen Testament" von 1768 kommt Friedrich wiederholt auf die Erwerbung
Sachsens und dann Westpreußens zurück. (Die von ihm angeregte und 1772
durchgesetzte Teilung Polens verwirklichte in der That die zweite Hälfte seines
Plans.) Damals legte er auch seine geheimsten Gedanken in dem Lxxosö An
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Sachsen gegen das von ihm zu erobernde Böhmen eintausche!? wollte, be¬
zeichnete er jetzt seine rheinischen Besitzungen als genügendes Tauschobjekt.

Nach alledem steht fest, daß sich Friedrich im Jahre 1756 bei seinen
Handlungen von jenen Vergrößerungsplänen hat beeinflussen lassen. Wenn


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[0035] Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges schmale Glieder sich fast nach allen Himmelsrichtungen erstreckten, diesem Lande, „das nicht mehr Kleinstaat und noch nicht Großstaat sei," bleibe nur die Ver¬ größerung übrig. Er denkt dabei an Erbschaften und Eroberungen. Aber so wichtig Erbschaften sind, für ihn haben Eroberungen ein viel größeres Interesse, da sie „bestimmten, schwer empfundnen Mängeln abhelsen" sollen. Dazu aber sind Sachsen, Westpreußen und schwedisch-Pommern ausersehen. Die Wichtig¬ keit und die höhere Wahrscheinlichkeit der Erwerbung ergiebt sich aus der Reihenfolge, in der die Länder aufgeführt werden. Der König hat zwar diese Gedanken unter dem Titel: Mvsriös po1it,i<zu<Z8 niedergeschrieben und hat die Eroberung Sachsens nur für den Fall als durch¬ führbar bezeichnet, daß Österreich und Rußland durch eiuen Angriff Frank¬ reichs, Sardiniens und der Türkei beschäftigt wären. Aber der Umstand, daß das „Politische Testament," das unter so seltsamen Eindrücken entstanden war, sich an die Nachfolger wendet, macht es begreiflich, „daß er die Empfehlung einer so grundstürzenden Eroberung, wie die von Sachsen es war, mit mög¬ lichst vielen Kautelen umgab." „Sich selber traute er schon etwas mehr zu." Von bloßen „Träumereien" kann insofern keine Rede sein, als Friedrich 1756 thatsächlich die in dem „Testament" verzeichnete Disposition sür den Einmarsch preußischer Truppen in Sachsen ausgeführt hat. Dieselben Gedanken bewegten den König, als er, vier Jahre nach der Niederschrift des Testaments, 1756 den Feldmarschall Lehwaldt anwies, nach Besiegung der Russen und Österreicher womöglich auf die Abtretung von ganz Westpreußen zu dringen. Außerdem ist ein Brief Friedrichs an feinen Bruder August Wilhelm vom 19. Februar 1756 bekannt, worin er von dem Vergnügen spricht, „Sachsen zu demütigen oder besser gesagt zu vernichten." In den vom König im Oktober 1759 gemachten Friedensvvrschlägen aber wird die Herstellung des swws <zuo als der schlimmste Ausgang für Preußen bezeichnet; lieber will er seine rheinischen Besitzungen den Franzosen, Ost¬ preußen den Russen überlassen, als auf Sachsen verzichten. Auch in dem „Politischen Testament" von 1768 kommt Friedrich wiederholt auf die Erwerbung Sachsens und dann Westpreußens zurück. (Die von ihm angeregte und 1772 durchgesetzte Teilung Polens verwirklichte in der That die zweite Hälfte seines Plans.) Damals legte er auch seine geheimsten Gedanken in dem Lxxosö An MuverllSlnsiit xrusÄLN, clos xrinoipss 8ur 1s8<me;l8 it roulg, avse ciuelquW relloxions xolitiauöL nieder. Da heißt es ausdrücklich: Osttiz av(M8it>i0Q 68t, et'une n<z<z<Z8sit>6 jiMspLQsiM«?, xour äonnsr 5 ost Mg.t (Preußen) 1a von- Ä8tkmo<z, elend, it MMquö. Aber während er in dem „Testament" von 1752 Sachsen gegen das von ihm zu erobernde Böhmen eintausche!? wollte, be¬ zeichnete er jetzt seine rheinischen Besitzungen als genügendes Tauschobjekt. Nach alledem steht fest, daß sich Friedrich im Jahre 1756 bei seinen Handlungen von jenen Vergrößerungsplänen hat beeinflussen lassen. Wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/35>, abgerufen am 01.09.2024.