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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

sie nur in einer uns unangemessen erscheinenden Weise behandelt; man könnte
in Heyses Novellen, so stark das Erotische in ihnen hervortritt, doch vielleicht
eine ganze Reihe von Problemen nachweisen, die auch der modernen Kunst
"liegen," keins freilich ist mit dem Ernst und der Gründlichkeit entwickelt,
die uns heute, wo wir eine viel engere Verbindung von Kunst und Leben
wollen, notwendig erscheinen. Dem Talent Heyses fehlt eben wie dem
Geibels das Elementare, seine Kunstanschauung dringt nicht in die Tiefe, und
so geht seiner Dichtung die Größe ab. Aber das künstlerische Streben ist bei
Heyse so wenig wie bei Geibel zu verkennen, er schafft keineswegs ins Blaue
hinein, und da er nicht auf das Lyrische beschränkt, vor allem Epiker ist,
kommt er weiter und giebt in der That ein Bild der Welt, das bei aller
Beschränktheit doch zu fesseln vermag. Kann man Theodor Storm mit einem
der großen holländischen Landschafter, Ruysdael oder Hobbema, vergleichen, so
kann man bei Heyse an einen jener virtuosen Gesellschaftsmaler, etwa Mieris,
erinnern, die ja anch ihre Liebhaber haben, und nicht bloß wegen ihrer wunder-
baren Stoffmalerei. Eine Kunst für Liebhaber, das ist auch Paul Heyses
Kunst; dennoch glaube ich, daß er mit einer Anzahl seiner Werke in das künftige
Jahrhundert übergehen wird.

Das dritte Haupt der Münchner Schule, Graf Schack, der, wie er nicht
zum "Krokodil" gehörte, immer auch ein wenig im Hintergrunde der Litteratur
stehen geblieben ist, kann viel kürzer abgethan werden als Geibel und Heyse.
Er ist als Poet wie als Persönlichkeit schwächer als sie, überragt sie aber an
weltmännischer Bildung und erscheint als einer der in der deutschen Litteratur
nicht häufigen Dichter, deren Dichtung stofflich einen Zug in die Weite, einen
internationalen Zug hat. Noch mehr Eklektiker als Geibel, noch mehr Formen¬
mensch als Heyse, hat er auf das deutsche Volk kaum irgendwelche Wirkung
gewonnen, da diesem ja -- man kann "leider" sagen -- die romanische Form-
frende, die wohl zu Schack hätte ziehen können, abgeht.

Von den übrigen Münchnern ist zuerst Julius Grosse zu erwähnen. Er
hat eine unablässig thätige Phantasie, die fast an die seines Thüringer Lands¬
manns Otto Ludwig erinnert, und ist darum ein gewaltiger Stofferoberer;
das Leben wird ihm zur Dichtung und die Dichtung zum Leben. Geschätzt
ist namentlich sein starkes lyrisches Talent, und es giebt Leute, die der Ansicht
sind, daß er mehr als Heyse hätte werden können, wenn er nicht immer im
Schatten hätte stehen müssen. Hermann Lingg, den Geibel bekanntlich in die
Litteratur einführte, geht nicht ganz in den Münchner Schnlrahmen, er war
ja auch kein Eingewanderter, sondern ein Urbaier. Von seinen geschichtlichen
Dichtungen, die die Geibels an elementarer Gewalt übertreffen, wie von seiner
Lyrik wird manches bleiben. Auf Jungmünchen, die Hopfen und Leuthold,
Dahn und Hertz. Wilbrand und Jansen, will ich in anderm Zusammenhange
kommen. Die Eingebornen Hermann v. Schmid, Karl v. Heigel, H. v. Ueber


Die Alten und die Jungen

sie nur in einer uns unangemessen erscheinenden Weise behandelt; man könnte
in Heyses Novellen, so stark das Erotische in ihnen hervortritt, doch vielleicht
eine ganze Reihe von Problemen nachweisen, die auch der modernen Kunst
„liegen," keins freilich ist mit dem Ernst und der Gründlichkeit entwickelt,
die uns heute, wo wir eine viel engere Verbindung von Kunst und Leben
wollen, notwendig erscheinen. Dem Talent Heyses fehlt eben wie dem
Geibels das Elementare, seine Kunstanschauung dringt nicht in die Tiefe, und
so geht seiner Dichtung die Größe ab. Aber das künstlerische Streben ist bei
Heyse so wenig wie bei Geibel zu verkennen, er schafft keineswegs ins Blaue
hinein, und da er nicht auf das Lyrische beschränkt, vor allem Epiker ist,
kommt er weiter und giebt in der That ein Bild der Welt, das bei aller
Beschränktheit doch zu fesseln vermag. Kann man Theodor Storm mit einem
der großen holländischen Landschafter, Ruysdael oder Hobbema, vergleichen, so
kann man bei Heyse an einen jener virtuosen Gesellschaftsmaler, etwa Mieris,
erinnern, die ja anch ihre Liebhaber haben, und nicht bloß wegen ihrer wunder-
baren Stoffmalerei. Eine Kunst für Liebhaber, das ist auch Paul Heyses
Kunst; dennoch glaube ich, daß er mit einer Anzahl seiner Werke in das künftige
Jahrhundert übergehen wird.

Das dritte Haupt der Münchner Schule, Graf Schack, der, wie er nicht
zum „Krokodil" gehörte, immer auch ein wenig im Hintergrunde der Litteratur
stehen geblieben ist, kann viel kürzer abgethan werden als Geibel und Heyse.
Er ist als Poet wie als Persönlichkeit schwächer als sie, überragt sie aber an
weltmännischer Bildung und erscheint als einer der in der deutschen Litteratur
nicht häufigen Dichter, deren Dichtung stofflich einen Zug in die Weite, einen
internationalen Zug hat. Noch mehr Eklektiker als Geibel, noch mehr Formen¬
mensch als Heyse, hat er auf das deutsche Volk kaum irgendwelche Wirkung
gewonnen, da diesem ja — man kann „leider" sagen — die romanische Form-
frende, die wohl zu Schack hätte ziehen können, abgeht.

Von den übrigen Münchnern ist zuerst Julius Grosse zu erwähnen. Er
hat eine unablässig thätige Phantasie, die fast an die seines Thüringer Lands¬
manns Otto Ludwig erinnert, und ist darum ein gewaltiger Stofferoberer;
das Leben wird ihm zur Dichtung und die Dichtung zum Leben. Geschätzt
ist namentlich sein starkes lyrisches Talent, und es giebt Leute, die der Ansicht
sind, daß er mehr als Heyse hätte werden können, wenn er nicht immer im
Schatten hätte stehen müssen. Hermann Lingg, den Geibel bekanntlich in die
Litteratur einführte, geht nicht ganz in den Münchner Schnlrahmen, er war
ja auch kein Eingewanderter, sondern ein Urbaier. Von seinen geschichtlichen
Dichtungen, die die Geibels an elementarer Gewalt übertreffen, wie von seiner
Lyrik wird manches bleiben. Auf Jungmünchen, die Hopfen und Leuthold,
Dahn und Hertz. Wilbrand und Jansen, will ich in anderm Zusammenhange
kommen. Die Eingebornen Hermann v. Schmid, Karl v. Heigel, H. v. Ueber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/286>, abgerufen am 27.11.2024.