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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

und Franz Trautmann, dieser nicht zum "Krokodil" gehörig, kann man wieder
nicht ohne weiteres zur Schule rechnen, wohl aber Redwitz und Roqnette und
manche andre Dichter, die nie nach München gekommen sind.

Eine Art Sonderstellung in dem Bunde haben stets Bodenstedt und
Scheffel eingenommen, so unleugbar auch ihre nahe Verwandtschaft mit den
Münchnern war. Scheffel habe ich bereits charakterisirt, Bodenstedt war eigent¬
lich nur Formtalent, weswegen er denn auch an jeder größern Aufgabe scheiterte.
Auch seine "Lieder des Mirza Schaffy" verdienen ihren Ruhm nicht, obwohl
sie ihrer Zeit schon eine gewisse Bedeutung hatten; liest man sie heute, so er¬
staunt man über ihre lyrische und geistige Armseligkeit. Immerhin haben sie
Munterkeit und Frische, und die sind es gewesen, die ihnen im Bunde mit der
Polemik gegen das Pfaffentum und ihrer Predigt heitern Lebensgenusses den
großen Leserkreis verschafft haben. Man kann Bodenstedt den Horaz der
deutschen Bourgeoisie nennen.

Als ihr Verdienst haben die Münchner die Wiedererhebung des Nein-
menschlichen zum Gegenstand der Poesie -- im Gegensatz zu der Teudcuzdichtnug
des jungen Deutschlands --, die Pflege der Weltliteratur im Goethischen
Sinne (Heyse-Geibel, spanisches Liederbuch; Geibel-Schack, Nomanzero der
Spanier und Portugiesen; Geibel-Leuthold, Fünf Bücher französischer Lyrik;
Geibel, Klassisches Liederbuch; Heyse, Italienisches Liederbuch, Giusti, Leopardi,
Fvseolo; Schack, spanisches Theater, Firdusi usw.; Bodenstedt, Puschkin, Ler-
montow, Shakespeares Sonette, Hafis usw.) und noch besonders die Ausbildung
einer gesunden deutschen Neuromautik aus dem Boden der Germanistik in An¬
spruch genommen, alles gewiß nicht mit Unrecht. Dabei haben sie aber die
tiefern geistigen Bewegungen ihrer Zeit mit Ausnahme der nationalen im all¬
gemeinen übersehen, die Abgründe der Menschennatur und die sozialen Schäden
nicht sehen wollen, bei aller stofflichen Ausbreitung im ganzen mit den über¬
lieferten Formen der klassischen Dichtung gearbeitet. Die Genies ihrer Zeit,
Hebbel, Ludwig, auch Wagner blieben ihnen fremd und unheimlich, obwohl
Heyse doch Ludwigs "Zwischen Himmel und Erde" gepriesen hat, ihre Poesie
war, wenn auch nicht durchweg und namentlich zu Anfange nicht konventionell
und akademisch, doch wesentlich eine Poesie des guten Geschmacks und der
Schönheit im engern Sinne. So ist sie in neuerer Zeit fast allgemein als
Salonpoesie und Atelierkuust charakterisirt worden, und jedenfalls merkt man
fast allen Münchnern an, daß ihnen die Kunst doch eher ein geistreiches Spiel
war, das zu Büchern und Gemälden führt, als die oft bittere Notwendigkeit,
sich mit der Welt gestaltend auseinanderzusetzen. Aber war auch ihr Talent
nicht gemacht, in die Tiefe zu gehen, die Zeitgenossen wollten das gar nicht,
sie faßten die Kunst als Schmuck des Lebeus, als Erholung von der Arbeit,
kurz, als eine recht angenehme Sache auf und verdammten alles, was sie an
den bittern Ernst, an die unter der schimmernden Oberfläche verborgnen Ab-


Die Alten und die Jungen

und Franz Trautmann, dieser nicht zum „Krokodil" gehörig, kann man wieder
nicht ohne weiteres zur Schule rechnen, wohl aber Redwitz und Roqnette und
manche andre Dichter, die nie nach München gekommen sind.

Eine Art Sonderstellung in dem Bunde haben stets Bodenstedt und
Scheffel eingenommen, so unleugbar auch ihre nahe Verwandtschaft mit den
Münchnern war. Scheffel habe ich bereits charakterisirt, Bodenstedt war eigent¬
lich nur Formtalent, weswegen er denn auch an jeder größern Aufgabe scheiterte.
Auch seine „Lieder des Mirza Schaffy" verdienen ihren Ruhm nicht, obwohl
sie ihrer Zeit schon eine gewisse Bedeutung hatten; liest man sie heute, so er¬
staunt man über ihre lyrische und geistige Armseligkeit. Immerhin haben sie
Munterkeit und Frische, und die sind es gewesen, die ihnen im Bunde mit der
Polemik gegen das Pfaffentum und ihrer Predigt heitern Lebensgenusses den
großen Leserkreis verschafft haben. Man kann Bodenstedt den Horaz der
deutschen Bourgeoisie nennen.

Als ihr Verdienst haben die Münchner die Wiedererhebung des Nein-
menschlichen zum Gegenstand der Poesie — im Gegensatz zu der Teudcuzdichtnug
des jungen Deutschlands —, die Pflege der Weltliteratur im Goethischen
Sinne (Heyse-Geibel, spanisches Liederbuch; Geibel-Schack, Nomanzero der
Spanier und Portugiesen; Geibel-Leuthold, Fünf Bücher französischer Lyrik;
Geibel, Klassisches Liederbuch; Heyse, Italienisches Liederbuch, Giusti, Leopardi,
Fvseolo; Schack, spanisches Theater, Firdusi usw.; Bodenstedt, Puschkin, Ler-
montow, Shakespeares Sonette, Hafis usw.) und noch besonders die Ausbildung
einer gesunden deutschen Neuromautik aus dem Boden der Germanistik in An¬
spruch genommen, alles gewiß nicht mit Unrecht. Dabei haben sie aber die
tiefern geistigen Bewegungen ihrer Zeit mit Ausnahme der nationalen im all¬
gemeinen übersehen, die Abgründe der Menschennatur und die sozialen Schäden
nicht sehen wollen, bei aller stofflichen Ausbreitung im ganzen mit den über¬
lieferten Formen der klassischen Dichtung gearbeitet. Die Genies ihrer Zeit,
Hebbel, Ludwig, auch Wagner blieben ihnen fremd und unheimlich, obwohl
Heyse doch Ludwigs „Zwischen Himmel und Erde" gepriesen hat, ihre Poesie
war, wenn auch nicht durchweg und namentlich zu Anfange nicht konventionell
und akademisch, doch wesentlich eine Poesie des guten Geschmacks und der
Schönheit im engern Sinne. So ist sie in neuerer Zeit fast allgemein als
Salonpoesie und Atelierkuust charakterisirt worden, und jedenfalls merkt man
fast allen Münchnern an, daß ihnen die Kunst doch eher ein geistreiches Spiel
war, das zu Büchern und Gemälden führt, als die oft bittere Notwendigkeit,
sich mit der Welt gestaltend auseinanderzusetzen. Aber war auch ihr Talent
nicht gemacht, in die Tiefe zu gehen, die Zeitgenossen wollten das gar nicht,
sie faßten die Kunst als Schmuck des Lebeus, als Erholung von der Arbeit,
kurz, als eine recht angenehme Sache auf und verdammten alles, was sie an
den bittern Ernst, an die unter der schimmernden Oberfläche verborgnen Ab-


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[0287] Die Alten und die Jungen und Franz Trautmann, dieser nicht zum „Krokodil" gehörig, kann man wieder nicht ohne weiteres zur Schule rechnen, wohl aber Redwitz und Roqnette und manche andre Dichter, die nie nach München gekommen sind. Eine Art Sonderstellung in dem Bunde haben stets Bodenstedt und Scheffel eingenommen, so unleugbar auch ihre nahe Verwandtschaft mit den Münchnern war. Scheffel habe ich bereits charakterisirt, Bodenstedt war eigent¬ lich nur Formtalent, weswegen er denn auch an jeder größern Aufgabe scheiterte. Auch seine „Lieder des Mirza Schaffy" verdienen ihren Ruhm nicht, obwohl sie ihrer Zeit schon eine gewisse Bedeutung hatten; liest man sie heute, so er¬ staunt man über ihre lyrische und geistige Armseligkeit. Immerhin haben sie Munterkeit und Frische, und die sind es gewesen, die ihnen im Bunde mit der Polemik gegen das Pfaffentum und ihrer Predigt heitern Lebensgenusses den großen Leserkreis verschafft haben. Man kann Bodenstedt den Horaz der deutschen Bourgeoisie nennen. Als ihr Verdienst haben die Münchner die Wiedererhebung des Nein- menschlichen zum Gegenstand der Poesie — im Gegensatz zu der Teudcuzdichtnug des jungen Deutschlands —, die Pflege der Weltliteratur im Goethischen Sinne (Heyse-Geibel, spanisches Liederbuch; Geibel-Schack, Nomanzero der Spanier und Portugiesen; Geibel-Leuthold, Fünf Bücher französischer Lyrik; Geibel, Klassisches Liederbuch; Heyse, Italienisches Liederbuch, Giusti, Leopardi, Fvseolo; Schack, spanisches Theater, Firdusi usw.; Bodenstedt, Puschkin, Ler- montow, Shakespeares Sonette, Hafis usw.) und noch besonders die Ausbildung einer gesunden deutschen Neuromautik aus dem Boden der Germanistik in An¬ spruch genommen, alles gewiß nicht mit Unrecht. Dabei haben sie aber die tiefern geistigen Bewegungen ihrer Zeit mit Ausnahme der nationalen im all¬ gemeinen übersehen, die Abgründe der Menschennatur und die sozialen Schäden nicht sehen wollen, bei aller stofflichen Ausbreitung im ganzen mit den über¬ lieferten Formen der klassischen Dichtung gearbeitet. Die Genies ihrer Zeit, Hebbel, Ludwig, auch Wagner blieben ihnen fremd und unheimlich, obwohl Heyse doch Ludwigs „Zwischen Himmel und Erde" gepriesen hat, ihre Poesie war, wenn auch nicht durchweg und namentlich zu Anfange nicht konventionell und akademisch, doch wesentlich eine Poesie des guten Geschmacks und der Schönheit im engern Sinne. So ist sie in neuerer Zeit fast allgemein als Salonpoesie und Atelierkuust charakterisirt worden, und jedenfalls merkt man fast allen Münchnern an, daß ihnen die Kunst doch eher ein geistreiches Spiel war, das zu Büchern und Gemälden führt, als die oft bittere Notwendigkeit, sich mit der Welt gestaltend auseinanderzusetzen. Aber war auch ihr Talent nicht gemacht, in die Tiefe zu gehen, die Zeitgenossen wollten das gar nicht, sie faßten die Kunst als Schmuck des Lebeus, als Erholung von der Arbeit, kurz, als eine recht angenehme Sache auf und verdammten alles, was sie an den bittern Ernst, an die unter der schimmernden Oberfläche verborgnen Ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/287>, abgerufen am 01.09.2024.