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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

empfindungsvoller Poesie verlangenden Bürgertums gewinnen, so konnte er
namentlich die Jugend, die weibliche wie die männliche, fesseln und begeistern.
Er hat somit nicht umsonst gelebt, und eine bedeutende geschichtliche Stellung
wird ihm bleiben, auch wenn man seine Werke nicht mehr genießt.

Auf die kleinern Talente der Zeit ist Geibel von unermeßlichen Einfluß ge¬
wesen, man kann Dutzende von "Geibelianern" zählen, denen sowohl sein Pathos
wie seine rührselige Rhetorik nicht übel gelingt. Ich erwähne nur Gerok, den
geistlichen, und Rittershaus, den patriotischen Dichter, die beide, da sie Rheto¬
riker sind, ziemlich unverdient zu hohem Rufe gelangten.

Als zweites Haupt der Münchner hat man immer Paul Heyse angesehen,
ja gerade ihn als Typus des Münchner Dichters aufgefaßt und, als die Herr¬
schaft der Schule zusammenbrach, die volle Schale naturalistischen Zorns auf
sein Haupt entleert. Karl Bleibtreu wandte auf ihn das von Karl II. Stuart
gebrauchte Wort an: "Er sagte nie ein unschönes Wort und that nie eine
schöne That," und noch neuerdings hat der Essayist Wilhelm Weigand, viel
ernster zu nehmen als Bleibtreu, Heyse sehr scharf und ungünstig charakterisirt.
Ich setze die kurze Charakteristik hierher: "Männer wie Paul Heyse sind bei
aller Begabung fast nie das Glück eiuer Litteratur, ja eher ein Unglück zu
nennen, insofern sie als Pfleger eines gealterten, engen Geschmacks die Bil¬
dung neuer Formen mit neuem Gehalt verhindern. Sie sind geborne Epi¬
gonen: die Schönheit der übernommnen Form wird zur charakterlosen Glätte,
die Pflege des Idealen zur Feigheit vor den schrecklichen Seiten und Problemen
des Lebens, die bewußte Künstlerschaft zu seichtem Epikureertum, und ehe man
sichs versieht, ist auch die Manier da, mag sie sich auch nur, wie bei Heyse,
in einer süßlichen Form äußern. Ich frage alle aufs Gewissen, ob sie je bei
der Lektüre dieses zu fruchtbaren Schriftstellers einen tiefen unerwarteten
Schauer des Göttlichen, einen plötzlichen, ungeahnten Einblick in das unerme߬
liche Reich der Schönheit genossen haben. Da redet man sich dann billiger¬
weise mit der Vornehmheit hin<1)aus, obwohl ja gerade jenes rastlose Pro-
dnzircn, jeues Etwasseiuwvllen, was man nicht ist, zum Beispiel Dramatiker,
durchaus plebejisch genannt werden muß. Auch als Prosaiker hat Heyse nie
die ruhige Meisterschaft eines (!) Goethe oder Gottfried Keller erreicht, deren
Größe sich gerade darin offenbart, daß sie als große Herren der Sprache auch
hie und da eine Nachlässigkeit wagen dürfen, was nicht besagen will, daß sie
je schlecht schreiben, wie es Heyse bisweilen that. Wir bedürfen der Dichter
für Männer; ein Schriftsteller, der Liebling der heutigen Frauen und nur der
Frauen ist, kann nie zu den großen Meistern gehören." Daran ist gewiß viel
wahres, dennoch unterschreibe ich das Urteil nicht: eng war der Geschmack der
Münchner wohl, aber gealtert erscheint er doch erst heute; als Heyse auftrat,
war er zeitgemäß. Von der schrecklichen Seite und den Problemen des Lebens
haben sich die Münchner und auch Heyse nicht ganz ferngehalten, sie haben


Die Alten und die Jungen

empfindungsvoller Poesie verlangenden Bürgertums gewinnen, so konnte er
namentlich die Jugend, die weibliche wie die männliche, fesseln und begeistern.
Er hat somit nicht umsonst gelebt, und eine bedeutende geschichtliche Stellung
wird ihm bleiben, auch wenn man seine Werke nicht mehr genießt.

Auf die kleinern Talente der Zeit ist Geibel von unermeßlichen Einfluß ge¬
wesen, man kann Dutzende von „Geibelianern" zählen, denen sowohl sein Pathos
wie seine rührselige Rhetorik nicht übel gelingt. Ich erwähne nur Gerok, den
geistlichen, und Rittershaus, den patriotischen Dichter, die beide, da sie Rheto¬
riker sind, ziemlich unverdient zu hohem Rufe gelangten.

Als zweites Haupt der Münchner hat man immer Paul Heyse angesehen,
ja gerade ihn als Typus des Münchner Dichters aufgefaßt und, als die Herr¬
schaft der Schule zusammenbrach, die volle Schale naturalistischen Zorns auf
sein Haupt entleert. Karl Bleibtreu wandte auf ihn das von Karl II. Stuart
gebrauchte Wort an: „Er sagte nie ein unschönes Wort und that nie eine
schöne That," und noch neuerdings hat der Essayist Wilhelm Weigand, viel
ernster zu nehmen als Bleibtreu, Heyse sehr scharf und ungünstig charakterisirt.
Ich setze die kurze Charakteristik hierher: „Männer wie Paul Heyse sind bei
aller Begabung fast nie das Glück eiuer Litteratur, ja eher ein Unglück zu
nennen, insofern sie als Pfleger eines gealterten, engen Geschmacks die Bil¬
dung neuer Formen mit neuem Gehalt verhindern. Sie sind geborne Epi¬
gonen: die Schönheit der übernommnen Form wird zur charakterlosen Glätte,
die Pflege des Idealen zur Feigheit vor den schrecklichen Seiten und Problemen
des Lebens, die bewußte Künstlerschaft zu seichtem Epikureertum, und ehe man
sichs versieht, ist auch die Manier da, mag sie sich auch nur, wie bei Heyse,
in einer süßlichen Form äußern. Ich frage alle aufs Gewissen, ob sie je bei
der Lektüre dieses zu fruchtbaren Schriftstellers einen tiefen unerwarteten
Schauer des Göttlichen, einen plötzlichen, ungeahnten Einblick in das unerme߬
liche Reich der Schönheit genossen haben. Da redet man sich dann billiger¬
weise mit der Vornehmheit hin<1)aus, obwohl ja gerade jenes rastlose Pro-
dnzircn, jeues Etwasseiuwvllen, was man nicht ist, zum Beispiel Dramatiker,
durchaus plebejisch genannt werden muß. Auch als Prosaiker hat Heyse nie
die ruhige Meisterschaft eines (!) Goethe oder Gottfried Keller erreicht, deren
Größe sich gerade darin offenbart, daß sie als große Herren der Sprache auch
hie und da eine Nachlässigkeit wagen dürfen, was nicht besagen will, daß sie
je schlecht schreiben, wie es Heyse bisweilen that. Wir bedürfen der Dichter
für Männer; ein Schriftsteller, der Liebling der heutigen Frauen und nur der
Frauen ist, kann nie zu den großen Meistern gehören." Daran ist gewiß viel
wahres, dennoch unterschreibe ich das Urteil nicht: eng war der Geschmack der
Münchner wohl, aber gealtert erscheint er doch erst heute; als Heyse auftrat,
war er zeitgemäß. Von der schrecklichen Seite und den Problemen des Lebens
haben sich die Münchner und auch Heyse nicht ganz ferngehalten, sie haben


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[0285] Die Alten und die Jungen empfindungsvoller Poesie verlangenden Bürgertums gewinnen, so konnte er namentlich die Jugend, die weibliche wie die männliche, fesseln und begeistern. Er hat somit nicht umsonst gelebt, und eine bedeutende geschichtliche Stellung wird ihm bleiben, auch wenn man seine Werke nicht mehr genießt. Auf die kleinern Talente der Zeit ist Geibel von unermeßlichen Einfluß ge¬ wesen, man kann Dutzende von „Geibelianern" zählen, denen sowohl sein Pathos wie seine rührselige Rhetorik nicht übel gelingt. Ich erwähne nur Gerok, den geistlichen, und Rittershaus, den patriotischen Dichter, die beide, da sie Rheto¬ riker sind, ziemlich unverdient zu hohem Rufe gelangten. Als zweites Haupt der Münchner hat man immer Paul Heyse angesehen, ja gerade ihn als Typus des Münchner Dichters aufgefaßt und, als die Herr¬ schaft der Schule zusammenbrach, die volle Schale naturalistischen Zorns auf sein Haupt entleert. Karl Bleibtreu wandte auf ihn das von Karl II. Stuart gebrauchte Wort an: „Er sagte nie ein unschönes Wort und that nie eine schöne That," und noch neuerdings hat der Essayist Wilhelm Weigand, viel ernster zu nehmen als Bleibtreu, Heyse sehr scharf und ungünstig charakterisirt. Ich setze die kurze Charakteristik hierher: „Männer wie Paul Heyse sind bei aller Begabung fast nie das Glück eiuer Litteratur, ja eher ein Unglück zu nennen, insofern sie als Pfleger eines gealterten, engen Geschmacks die Bil¬ dung neuer Formen mit neuem Gehalt verhindern. Sie sind geborne Epi¬ gonen: die Schönheit der übernommnen Form wird zur charakterlosen Glätte, die Pflege des Idealen zur Feigheit vor den schrecklichen Seiten und Problemen des Lebens, die bewußte Künstlerschaft zu seichtem Epikureertum, und ehe man sichs versieht, ist auch die Manier da, mag sie sich auch nur, wie bei Heyse, in einer süßlichen Form äußern. Ich frage alle aufs Gewissen, ob sie je bei der Lektüre dieses zu fruchtbaren Schriftstellers einen tiefen unerwarteten Schauer des Göttlichen, einen plötzlichen, ungeahnten Einblick in das unerme߬ liche Reich der Schönheit genossen haben. Da redet man sich dann billiger¬ weise mit der Vornehmheit hin<1)aus, obwohl ja gerade jenes rastlose Pro- dnzircn, jeues Etwasseiuwvllen, was man nicht ist, zum Beispiel Dramatiker, durchaus plebejisch genannt werden muß. Auch als Prosaiker hat Heyse nie die ruhige Meisterschaft eines (!) Goethe oder Gottfried Keller erreicht, deren Größe sich gerade darin offenbart, daß sie als große Herren der Sprache auch hie und da eine Nachlässigkeit wagen dürfen, was nicht besagen will, daß sie je schlecht schreiben, wie es Heyse bisweilen that. Wir bedürfen der Dichter für Männer; ein Schriftsteller, der Liebling der heutigen Frauen und nur der Frauen ist, kann nie zu den großen Meistern gehören." Daran ist gewiß viel wahres, dennoch unterschreibe ich das Urteil nicht: eng war der Geschmack der Münchner wohl, aber gealtert erscheint er doch erst heute; als Heyse auftrat, war er zeitgemäß. Von der schrecklichen Seite und den Problemen des Lebens haben sich die Münchner und auch Heyse nicht ganz ferngehalten, sie haben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/285>, abgerufen am 27.11.2024.