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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Leipziger Pasquillanteil des achtzehnten Jahrhunderts

gezeichnet hatte, mit Händen greifen. Was im "Goldsitz" an einem Einzelnen
gewagt worden war, das wurde nun hier in Masse geboten, wenn auch skizzen¬
hafter. Der Priester war sicherlich ein Leipziger Geistlicher, die männliche
Figur ein Mitglied der "französischen Kolonie," der Jüngling irgend ein Thu¬
nichtgut aus einer Kaufmannsfamilie. Aber die Geschilderten waren so klug, zu
schweigen, wenigstens die meisten.

Da der Antiquar Kärtner, der die Schrift verkauft hatte, ein Academiens
war wie Royer, so setzte sich der Bücheriuspektor mit dem Rektor der Uni¬
versität in Verbindung, verfügte sich mit dem Pedell an Kantners Stand und
nahm 13 Exemplare weg, worauf der weitere Verkauf des Buches untersagt
wurde. Nach ein paar Tagen aber wurde Kärtner aufs Rathaus bestellt und
nun sagte er aus, er habe diese Schrift nur in Kommission, er verkaufe sie im
Auftrage -- des Studiosus Royer. Royer habe die Schrift aus Berlin bekommen.
Bei der Verabredung sei nur von einem "Journal" die Rede gewesen; er, der
Verkäufer, habe die Schrift weder gelesen, noch wisse er irgend etwas über
iliren Verfasser, Zensor oder Drucker.

Darauf ging der Bücheriuspektor nebst drei Beamten des Universitäts¬
gerichts in Röpers Wohnung (in einem Hintergebäude auf der Peterstraße),
wo Royer mit seiner Schwester zusammen eine Stube bewohnte; die Mutter
war vor kurzem gestorben. Da Royer nach Aussage der Schwester wieder
"verreist" war, so wurde die Haussuchung verschoben. Als man aber drei
Tage später wiederkam und die Wohnung verschlossen fand, ließ man sie in
Gegenwart von Zeugen öffnen, ebenso alle Behältnisse, durchsuchte alles, fand
aber nichts als einige wertlose Papiere. Am folgenden Tage aber kam eine
Frau aus der "Goldner Hand" auf der Nicoiaistraße aufs Rathaus und zeigte
an, gestern Abend habe die Schwester des Studenten Royer ein Paket Papiere
zu ihr gebracht und dabei "sehr kläglich gethan." Es wurde sofort iii die Woh-
nung der Frau geschickt, und da fanden sich nicht mir ein, sondern zwei Pakete
vor, "eins in einer rothstreifichten Kvpfkissenzüche," und in den beiden Paketen
war eine große Anzahl von Exemplaren der "Porträts," des "Goldfitz Suseka"
und die ganze Stndentenbibliothek Röpers. Unter den mit aufgefundnen Pa¬
pieren aber war ein Brief des Buchdruckers Schmidt in Delitzsch, worin dieser
mitteilt, Bürgermeister Barreidt in Delitzsch habe "das Manuskript nebst Geld"
zurückgeschickt und sagen lassen, daß er es nicht vidimiren könne, ehe sich der
Verfasser genannt habe; der Verfasser möge also nur seinen Namen auf das
Manuskript setzen, damit der Druck nicht aufgehalten werde. Es konnte nicht
zweifelhaft sein, daß hier das Manuskript der "Porträts" gemeint war.

Am folgenden Tage wurde Röpers Schwester vernommen. Sie entwarf
ein ganz trauriges Bild. Seit dem Tode der Mutter wohnten die beiden Ge¬
schwister bei einem Schneider in Aftermiete. Die einundzwanzigjährige Schwester
.ernährte sich durch Nähen und mußte ihren Bruder Mit ernähren, da er so gut


Leipziger Pasquillanteil des achtzehnten Jahrhunderts

gezeichnet hatte, mit Händen greifen. Was im „Goldsitz" an einem Einzelnen
gewagt worden war, das wurde nun hier in Masse geboten, wenn auch skizzen¬
hafter. Der Priester war sicherlich ein Leipziger Geistlicher, die männliche
Figur ein Mitglied der „französischen Kolonie," der Jüngling irgend ein Thu¬
nichtgut aus einer Kaufmannsfamilie. Aber die Geschilderten waren so klug, zu
schweigen, wenigstens die meisten.

Da der Antiquar Kärtner, der die Schrift verkauft hatte, ein Academiens
war wie Royer, so setzte sich der Bücheriuspektor mit dem Rektor der Uni¬
versität in Verbindung, verfügte sich mit dem Pedell an Kantners Stand und
nahm 13 Exemplare weg, worauf der weitere Verkauf des Buches untersagt
wurde. Nach ein paar Tagen aber wurde Kärtner aufs Rathaus bestellt und
nun sagte er aus, er habe diese Schrift nur in Kommission, er verkaufe sie im
Auftrage — des Studiosus Royer. Royer habe die Schrift aus Berlin bekommen.
Bei der Verabredung sei nur von einem „Journal" die Rede gewesen; er, der
Verkäufer, habe die Schrift weder gelesen, noch wisse er irgend etwas über
iliren Verfasser, Zensor oder Drucker.

Darauf ging der Bücheriuspektor nebst drei Beamten des Universitäts¬
gerichts in Röpers Wohnung (in einem Hintergebäude auf der Peterstraße),
wo Royer mit seiner Schwester zusammen eine Stube bewohnte; die Mutter
war vor kurzem gestorben. Da Royer nach Aussage der Schwester wieder
„verreist" war, so wurde die Haussuchung verschoben. Als man aber drei
Tage später wiederkam und die Wohnung verschlossen fand, ließ man sie in
Gegenwart von Zeugen öffnen, ebenso alle Behältnisse, durchsuchte alles, fand
aber nichts als einige wertlose Papiere. Am folgenden Tage aber kam eine
Frau aus der „Goldner Hand" auf der Nicoiaistraße aufs Rathaus und zeigte
an, gestern Abend habe die Schwester des Studenten Royer ein Paket Papiere
zu ihr gebracht und dabei „sehr kläglich gethan." Es wurde sofort iii die Woh-
nung der Frau geschickt, und da fanden sich nicht mir ein, sondern zwei Pakete
vor, „eins in einer rothstreifichten Kvpfkissenzüche," und in den beiden Paketen
war eine große Anzahl von Exemplaren der „Porträts," des „Goldfitz Suseka"
und die ganze Stndentenbibliothek Röpers. Unter den mit aufgefundnen Pa¬
pieren aber war ein Brief des Buchdruckers Schmidt in Delitzsch, worin dieser
mitteilt, Bürgermeister Barreidt in Delitzsch habe „das Manuskript nebst Geld"
zurückgeschickt und sagen lassen, daß er es nicht vidimiren könne, ehe sich der
Verfasser genannt habe; der Verfasser möge also nur seinen Namen auf das
Manuskript setzen, damit der Druck nicht aufgehalten werde. Es konnte nicht
zweifelhaft sein, daß hier das Manuskript der „Porträts" gemeint war.

Am folgenden Tage wurde Röpers Schwester vernommen. Sie entwarf
ein ganz trauriges Bild. Seit dem Tode der Mutter wohnten die beiden Ge¬
schwister bei einem Schneider in Aftermiete. Die einundzwanzigjährige Schwester
.ernährte sich durch Nähen und mußte ihren Bruder Mit ernähren, da er so gut


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[0264] Leipziger Pasquillanteil des achtzehnten Jahrhunderts gezeichnet hatte, mit Händen greifen. Was im „Goldsitz" an einem Einzelnen gewagt worden war, das wurde nun hier in Masse geboten, wenn auch skizzen¬ hafter. Der Priester war sicherlich ein Leipziger Geistlicher, die männliche Figur ein Mitglied der „französischen Kolonie," der Jüngling irgend ein Thu¬ nichtgut aus einer Kaufmannsfamilie. Aber die Geschilderten waren so klug, zu schweigen, wenigstens die meisten. Da der Antiquar Kärtner, der die Schrift verkauft hatte, ein Academiens war wie Royer, so setzte sich der Bücheriuspektor mit dem Rektor der Uni¬ versität in Verbindung, verfügte sich mit dem Pedell an Kantners Stand und nahm 13 Exemplare weg, worauf der weitere Verkauf des Buches untersagt wurde. Nach ein paar Tagen aber wurde Kärtner aufs Rathaus bestellt und nun sagte er aus, er habe diese Schrift nur in Kommission, er verkaufe sie im Auftrage — des Studiosus Royer. Royer habe die Schrift aus Berlin bekommen. Bei der Verabredung sei nur von einem „Journal" die Rede gewesen; er, der Verkäufer, habe die Schrift weder gelesen, noch wisse er irgend etwas über iliren Verfasser, Zensor oder Drucker. Darauf ging der Bücheriuspektor nebst drei Beamten des Universitäts¬ gerichts in Röpers Wohnung (in einem Hintergebäude auf der Peterstraße), wo Royer mit seiner Schwester zusammen eine Stube bewohnte; die Mutter war vor kurzem gestorben. Da Royer nach Aussage der Schwester wieder „verreist" war, so wurde die Haussuchung verschoben. Als man aber drei Tage später wiederkam und die Wohnung verschlossen fand, ließ man sie in Gegenwart von Zeugen öffnen, ebenso alle Behältnisse, durchsuchte alles, fand aber nichts als einige wertlose Papiere. Am folgenden Tage aber kam eine Frau aus der „Goldner Hand" auf der Nicoiaistraße aufs Rathaus und zeigte an, gestern Abend habe die Schwester des Studenten Royer ein Paket Papiere zu ihr gebracht und dabei „sehr kläglich gethan." Es wurde sofort iii die Woh- nung der Frau geschickt, und da fanden sich nicht mir ein, sondern zwei Pakete vor, „eins in einer rothstreifichten Kvpfkissenzüche," und in den beiden Paketen war eine große Anzahl von Exemplaren der „Porträts," des „Goldfitz Suseka" und die ganze Stndentenbibliothek Röpers. Unter den mit aufgefundnen Pa¬ pieren aber war ein Brief des Buchdruckers Schmidt in Delitzsch, worin dieser mitteilt, Bürgermeister Barreidt in Delitzsch habe „das Manuskript nebst Geld" zurückgeschickt und sagen lassen, daß er es nicht vidimiren könne, ehe sich der Verfasser genannt habe; der Verfasser möge also nur seinen Namen auf das Manuskript setzen, damit der Druck nicht aufgehalten werde. Es konnte nicht zweifelhaft sein, daß hier das Manuskript der „Porträts" gemeint war. Am folgenden Tage wurde Röpers Schwester vernommen. Sie entwarf ein ganz trauriges Bild. Seit dem Tode der Mutter wohnten die beiden Ge¬ schwister bei einem Schneider in Aftermiete. Die einundzwanzigjährige Schwester .ernährte sich durch Nähen und mußte ihren Bruder Mit ernähren, da er so gut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/264>, abgerufen am 25.11.2024.