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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterversicherung

dienstvollen Bearbeiter dieser Frage, dem Vorsitzenden der Berliner Jnvali-
ditäts- und Altersversichernngsanstalt, Dr. Freund, in der Hauptsache befürwortet
wird, näher einzugehen. Gerade dem Geschäftsmann muß es in die Augen
springen, daß eine solche Vielfältigkeit der mehr oder weniger selbständigen
Apparate, die durch die Organe der Jnvaliditäts- und Altersversicherung und
der Krankenkassen noch weiter vervielfältigt wird, ganz abgesehen von dem
mangelhaften Arbeitsergebnis, vor allem viel zu teuer arbeitet und Millionen
jährlich zwecklos vergeudet.

Es ist sehr erfreulich, daß jetzt auch in den Arbeitgeberkreisen das Gefühl
für diese Vergeudung von Nationalvermögen lebendiger zu werden scheint. In
dem Jahresbericht der pfälzischen Handelskammer in Ludwigshafen am Rhein
für 1895 heißt es: "Ju allen Kreisen des pfälzischen Gewerbestandes und
der pfälzischen Industrie wird einmütig gewünscht, daß die jetzige Organi¬
sation der Unfallversicherungsgenossenschaften nach Berufen aufgegeben werde
und dafür territoriale Unfallversicheruugsgenvssenschaften geschaffen würden,
die für einen bestimmten Bezirk, in Bnicrn für je einen Regierungsbezirk,
alle zu verhindernden Personen zu umfassen hätten. Man glaubt, daß hier¬
durch am ehesten die wünschenswerte Vereinfachung nicht nur in der Organi¬
sation der Berufsgenossenschaften, sondern überhaupt der gesamten deutschen
sozialen Gesetzgebung erreicht werden würde, weil jeder einzelne Fall genauer
untersucht und die Entschädigungen gerechter bemessen werden, auch die Be¬
teiligten bessern Einblick in die Verhandlung".'" erhalten und nötigenfalls per¬
sönlich zugezogen werden könnten, ganz abgesehen davon, daß die Ver-
waltungskosten wesentlich vermindert werden würden." Allgemein sei die An¬
sicht verbreitet, heißt es an einer andern Stelle, daß die Arbeiterversicherungs-
gesetze in ihrer jetzigen Form ihren Zweck nicht vollkommen erfüllten und daß
wie gründliche Umgestaltung und Reorganisation des Versichernngswesens ein¬
treten müsse, deren Hauptziel eine Verringerung der Verwaltungskosten durch
Vereinfachung der Organisation und Zusammenlegung der verschiednen Ber-
sicheruugsarten und eine wesentlich höhere Leistung an die versicherten Arbeiter
jinn müßte. Die Kammer hat deshalb eine eingehende Umfrage über die
Wirkungen der Versicherungsgesetzgebnng und die erwünschten Abänderungen
die ihr zugehörigen Gewerbtreibenden gerichtet und will auf Grund der
so gewonnenen Unterlage praktische Vorschläge zur Reform ansnrbeitcn.

Leider ist der pfälzische Bericht ein weißer Sperling unter der Masse von
Pcipier, die von deu deutscheu Handels- und Gewerbekammern auch für 1895
Wieder mit Druckerschwärze Versehen worden ist. Was die doch wahrlich jetzt
oben anstehenden sozialen Verhältnisse im allgemeinen und die Sozialversiche¬
rung im besondern anlangt, ist leider an Öde des Inhalts in diesen Berichten
seit Jahren das menschenmögliche geleistet worden. Aber die Not wird mich
die Herren, die in den Berufsgenossenschaften wie in den Handelskammern so


Die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterversicherung

dienstvollen Bearbeiter dieser Frage, dem Vorsitzenden der Berliner Jnvali-
ditäts- und Altersversichernngsanstalt, Dr. Freund, in der Hauptsache befürwortet
wird, näher einzugehen. Gerade dem Geschäftsmann muß es in die Augen
springen, daß eine solche Vielfältigkeit der mehr oder weniger selbständigen
Apparate, die durch die Organe der Jnvaliditäts- und Altersversicherung und
der Krankenkassen noch weiter vervielfältigt wird, ganz abgesehen von dem
mangelhaften Arbeitsergebnis, vor allem viel zu teuer arbeitet und Millionen
jährlich zwecklos vergeudet.

Es ist sehr erfreulich, daß jetzt auch in den Arbeitgeberkreisen das Gefühl
für diese Vergeudung von Nationalvermögen lebendiger zu werden scheint. In
dem Jahresbericht der pfälzischen Handelskammer in Ludwigshafen am Rhein
für 1895 heißt es: „Ju allen Kreisen des pfälzischen Gewerbestandes und
der pfälzischen Industrie wird einmütig gewünscht, daß die jetzige Organi¬
sation der Unfallversicherungsgenossenschaften nach Berufen aufgegeben werde
und dafür territoriale Unfallversicheruugsgenvssenschaften geschaffen würden,
die für einen bestimmten Bezirk, in Bnicrn für je einen Regierungsbezirk,
alle zu verhindernden Personen zu umfassen hätten. Man glaubt, daß hier¬
durch am ehesten die wünschenswerte Vereinfachung nicht nur in der Organi¬
sation der Berufsgenossenschaften, sondern überhaupt der gesamten deutschen
sozialen Gesetzgebung erreicht werden würde, weil jeder einzelne Fall genauer
untersucht und die Entschädigungen gerechter bemessen werden, auch die Be¬
teiligten bessern Einblick in die Verhandlung«.'» erhalten und nötigenfalls per¬
sönlich zugezogen werden könnten, ganz abgesehen davon, daß die Ver-
waltungskosten wesentlich vermindert werden würden." Allgemein sei die An¬
sicht verbreitet, heißt es an einer andern Stelle, daß die Arbeiterversicherungs-
gesetze in ihrer jetzigen Form ihren Zweck nicht vollkommen erfüllten und daß
wie gründliche Umgestaltung und Reorganisation des Versichernngswesens ein¬
treten müsse, deren Hauptziel eine Verringerung der Verwaltungskosten durch
Vereinfachung der Organisation und Zusammenlegung der verschiednen Ber-
sicheruugsarten und eine wesentlich höhere Leistung an die versicherten Arbeiter
jinn müßte. Die Kammer hat deshalb eine eingehende Umfrage über die
Wirkungen der Versicherungsgesetzgebnng und die erwünschten Abänderungen
die ihr zugehörigen Gewerbtreibenden gerichtet und will auf Grund der
so gewonnenen Unterlage praktische Vorschläge zur Reform ansnrbeitcn.

Leider ist der pfälzische Bericht ein weißer Sperling unter der Masse von
Pcipier, die von deu deutscheu Handels- und Gewerbekammern auch für 1895
Wieder mit Druckerschwärze Versehen worden ist. Was die doch wahrlich jetzt
oben anstehenden sozialen Verhältnisse im allgemeinen und die Sozialversiche¬
rung im besondern anlangt, ist leider an Öde des Inhalts in diesen Berichten
seit Jahren das menschenmögliche geleistet worden. Aber die Not wird mich
die Herren, die in den Berufsgenossenschaften wie in den Handelskammern so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/255>, abgerufen am 01.09.2024.