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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterversicherung

herrlich "unter sich" und mit sich zufrieden sind, beten lehren, wenn erst in der
Mehrheit der Arbeitgeber die Erkenntnis Platz greift, daß es Heller Unsinn
ist, wenn ein pfälzischer Unternehmer, wie er seiner Handels und Gewerbe¬
kammer angezeigt hat, für die Arbeiteruufallversicherung allein den dreifachen
Betrag der gesamten Staatssteuer jährlich zahlen muß, ohne daß dadurch der
Zmeck, die berechtigten Entschädigungsansprüche vollständig zu erfüllen, er¬
reicht wird.

Wir haben vorhin schon für einen andern Zweck die Einrichtung be¬
sonderer Heilanstalten durch die Berufsgenossenschaften für deren besondre
Krankenpflege angeführt. Auch rücksichtlich der Vergeudung des National¬
vermögens können wir auf dieses gesonderte Vorgehen in den drei Versicherungs¬
zweigen hinweisen. Alle drei haben es vorwiegend zuerst mit Krankheitsfällen
und ihrer Heilung zu thun, alle drei haben das gleiche Interesse an verständiger
Sorge für die Wiederherstellung der Kranken und an dem Kampfe gegen
die Simulation. Ist es da nicht geradezu widersinnig, für diesen Zweck kostspielige
getrennte Einrichtungen zu treffen, vollends neben den Millionen und aber
Millionen, die von den Gemeinden und weitern Kommunalverbänden für den¬
selben Zweck und in der Hauptsache für dieselbe Bevölkeruugsklasse jährlich
aufgewendet werden? Wenn hier eine vernünftige Einheitlichkeit in den Be¬
strebungen herrschte, so konnte mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht
nur ein enges Netz von Gemeinde-, Bezirks- und Kreiskrauken- und Rekou-
valeszenteuhänsern über ganz Deutschland geschaffen werden, sondern auch von
Alters-, Invaliden- und Siechenhäusern, die bei richtiger Verwaltung uuter
Zuziehung von Vertretern der arbeitenden Klasse bald genng der Stolz der
deutschen Arbeiterschaft werden könnten. Und das, ohne daß dadurch die bisher
anch arg verzettelten Experimente, die Kapitalien der Arbeiterversicherungs¬
anstalten für den Bau vou Arbeiterwohnungen fruchtbar zu machen, aus-
geschlossen würden.

Die vor einigen Monaten in Berlin zunächst freilich ergebnislos ab¬
gehaltenen Beratungen über die Abänderung der Arbeiterversicherungsgesetze
haben, obwohl das von manchen Organen der Unfallbernfsgcnossenschaften bis
zum letzten Augenblick "auf Grund zuverlässigster Information" geleugnet
wurde, gezeigt, daß mau auch in den obersten und am meisten dabei interessirten
Staatsbeamtenkreisen zu der Überzeugung gekommen ist, daß eine Verein¬
fachung der Arbeiterversicherung durch eine zweckmäßige Zusammenfassung der
drei zur Zeit getrennt organisirten Versicherungszweige notwendig ist. Leider
scheint man sich im Neichsamt des Innern noch zu nichts entschließen zu können,
sondern den Weg der Flickarbeit an den getrennten Gebäuden weiter fort¬
setzen zu wollen. Es ist doch auch gar zu hart, der Selbstverherrlichung, in
den Berufsgenossenschaften ein Ende machen zu sollen! Aber die schlechte Wirt-


Die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterversicherung

herrlich „unter sich" und mit sich zufrieden sind, beten lehren, wenn erst in der
Mehrheit der Arbeitgeber die Erkenntnis Platz greift, daß es Heller Unsinn
ist, wenn ein pfälzischer Unternehmer, wie er seiner Handels und Gewerbe¬
kammer angezeigt hat, für die Arbeiteruufallversicherung allein den dreifachen
Betrag der gesamten Staatssteuer jährlich zahlen muß, ohne daß dadurch der
Zmeck, die berechtigten Entschädigungsansprüche vollständig zu erfüllen, er¬
reicht wird.

Wir haben vorhin schon für einen andern Zweck die Einrichtung be¬
sonderer Heilanstalten durch die Berufsgenossenschaften für deren besondre
Krankenpflege angeführt. Auch rücksichtlich der Vergeudung des National¬
vermögens können wir auf dieses gesonderte Vorgehen in den drei Versicherungs¬
zweigen hinweisen. Alle drei haben es vorwiegend zuerst mit Krankheitsfällen
und ihrer Heilung zu thun, alle drei haben das gleiche Interesse an verständiger
Sorge für die Wiederherstellung der Kranken und an dem Kampfe gegen
die Simulation. Ist es da nicht geradezu widersinnig, für diesen Zweck kostspielige
getrennte Einrichtungen zu treffen, vollends neben den Millionen und aber
Millionen, die von den Gemeinden und weitern Kommunalverbänden für den¬
selben Zweck und in der Hauptsache für dieselbe Bevölkeruugsklasse jährlich
aufgewendet werden? Wenn hier eine vernünftige Einheitlichkeit in den Be¬
strebungen herrschte, so konnte mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht
nur ein enges Netz von Gemeinde-, Bezirks- und Kreiskrauken- und Rekou-
valeszenteuhänsern über ganz Deutschland geschaffen werden, sondern auch von
Alters-, Invaliden- und Siechenhäusern, die bei richtiger Verwaltung uuter
Zuziehung von Vertretern der arbeitenden Klasse bald genng der Stolz der
deutschen Arbeiterschaft werden könnten. Und das, ohne daß dadurch die bisher
anch arg verzettelten Experimente, die Kapitalien der Arbeiterversicherungs¬
anstalten für den Bau vou Arbeiterwohnungen fruchtbar zu machen, aus-
geschlossen würden.

Die vor einigen Monaten in Berlin zunächst freilich ergebnislos ab¬
gehaltenen Beratungen über die Abänderung der Arbeiterversicherungsgesetze
haben, obwohl das von manchen Organen der Unfallbernfsgcnossenschaften bis
zum letzten Augenblick „auf Grund zuverlässigster Information" geleugnet
wurde, gezeigt, daß mau auch in den obersten und am meisten dabei interessirten
Staatsbeamtenkreisen zu der Überzeugung gekommen ist, daß eine Verein¬
fachung der Arbeiterversicherung durch eine zweckmäßige Zusammenfassung der
drei zur Zeit getrennt organisirten Versicherungszweige notwendig ist. Leider
scheint man sich im Neichsamt des Innern noch zu nichts entschließen zu können,
sondern den Weg der Flickarbeit an den getrennten Gebäuden weiter fort¬
setzen zu wollen. Es ist doch auch gar zu hart, der Selbstverherrlichung, in
den Berufsgenossenschaften ein Ende machen zu sollen! Aber die schlechte Wirt-


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[0256] Die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterversicherung herrlich „unter sich" und mit sich zufrieden sind, beten lehren, wenn erst in der Mehrheit der Arbeitgeber die Erkenntnis Platz greift, daß es Heller Unsinn ist, wenn ein pfälzischer Unternehmer, wie er seiner Handels und Gewerbe¬ kammer angezeigt hat, für die Arbeiteruufallversicherung allein den dreifachen Betrag der gesamten Staatssteuer jährlich zahlen muß, ohne daß dadurch der Zmeck, die berechtigten Entschädigungsansprüche vollständig zu erfüllen, er¬ reicht wird. Wir haben vorhin schon für einen andern Zweck die Einrichtung be¬ sonderer Heilanstalten durch die Berufsgenossenschaften für deren besondre Krankenpflege angeführt. Auch rücksichtlich der Vergeudung des National¬ vermögens können wir auf dieses gesonderte Vorgehen in den drei Versicherungs¬ zweigen hinweisen. Alle drei haben es vorwiegend zuerst mit Krankheitsfällen und ihrer Heilung zu thun, alle drei haben das gleiche Interesse an verständiger Sorge für die Wiederherstellung der Kranken und an dem Kampfe gegen die Simulation. Ist es da nicht geradezu widersinnig, für diesen Zweck kostspielige getrennte Einrichtungen zu treffen, vollends neben den Millionen und aber Millionen, die von den Gemeinden und weitern Kommunalverbänden für den¬ selben Zweck und in der Hauptsache für dieselbe Bevölkeruugsklasse jährlich aufgewendet werden? Wenn hier eine vernünftige Einheitlichkeit in den Be¬ strebungen herrschte, so konnte mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht nur ein enges Netz von Gemeinde-, Bezirks- und Kreiskrauken- und Rekou- valeszenteuhänsern über ganz Deutschland geschaffen werden, sondern auch von Alters-, Invaliden- und Siechenhäusern, die bei richtiger Verwaltung uuter Zuziehung von Vertretern der arbeitenden Klasse bald genng der Stolz der deutschen Arbeiterschaft werden könnten. Und das, ohne daß dadurch die bisher anch arg verzettelten Experimente, die Kapitalien der Arbeiterversicherungs¬ anstalten für den Bau vou Arbeiterwohnungen fruchtbar zu machen, aus- geschlossen würden. Die vor einigen Monaten in Berlin zunächst freilich ergebnislos ab¬ gehaltenen Beratungen über die Abänderung der Arbeiterversicherungsgesetze haben, obwohl das von manchen Organen der Unfallbernfsgcnossenschaften bis zum letzten Augenblick „auf Grund zuverlässigster Information" geleugnet wurde, gezeigt, daß mau auch in den obersten und am meisten dabei interessirten Staatsbeamtenkreisen zu der Überzeugung gekommen ist, daß eine Verein¬ fachung der Arbeiterversicherung durch eine zweckmäßige Zusammenfassung der drei zur Zeit getrennt organisirten Versicherungszweige notwendig ist. Leider scheint man sich im Neichsamt des Innern noch zu nichts entschließen zu können, sondern den Weg der Flickarbeit an den getrennten Gebäuden weiter fort¬ setzen zu wollen. Es ist doch auch gar zu hart, der Selbstverherrlichung, in den Berufsgenossenschaften ein Ende machen zu sollen! Aber die schlechte Wirt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/256>, abgerufen am 24.11.2024.