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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Berliner Gewerbeausstellimg

kostenfrei in die Provinz abgeschoben. Soviel ist aber sicher: eigentliche Ar¬
beitlose gab es in diesem Winter kaum, denn alles, was arbeiten wollte, und
gerade die, deren Beschäftigung sonst im Winter von Zufällen abhängig, un¬
regelmäßig, manchmal gleich Null ist. wie Maurer. Maler usw., fanden draußen
in Treptow Arbeit, wenn sie nur wollten. In der Maschinenindustrie war
von einer Lohnsteigerung kaum etwas zu merken. Die Berliner Industrie
war imstande, mit der normalen Arbeiterzahl die Anforderungen der Aus¬
stellung zu erfüllen. Auf ein scheinbar weitab liegendes Gebiet aber hat das
große Ereignis seine Schatten geworfen. Ist die Dienstbotenfrage in Berlin
schon lange in einem "Stadium," das die Hausfrauen als hoffnungslos be¬
zeichnen, fo ist das womöglich durch die Ausstellung noch schlimmer geworden.
Alles, was von dem weiblichen Teil der Dienstboten den Beruf zu höheren in
sich fühlt, läßt sich durch die höhern Löhne und den scheinbar mühelosem Erwerb
verleiten, irgend eine passende oder unpassende Stellung für die Ausstellungs¬
monate anzunehmen, und wer es da erst einmal dazu gebracht hat, "Fräulein"
zu sein, ist natürlich nachher für jeden Dienst unbrauchbar. Wie es übrigens
um den mühelosem Erwerb steht, zeigen die Klagen mancher Verkäuferinnen,
die Tag für Tag, anch Sonntags, von 10 Uhr morgens bis 10, 11, ja
12 Uhr nachts in Treptow beschäftigt sind.

Der Verkehr von und nach Treptow hat sich, dank den großen Um- und
Neubauten, die die Stadt- und Ringbahn nicht gescheut hat, besser gestaltet,
als man nach den Erfahrungen der landwirtschaftlichen Ausstellung vom Jahre
1894, die ja anch im Treptower Park hauste, befürchten mußte. Fremde
mögen zwar oft genug über Überfüllung klagen, der Berliner aber ist ja auf
der Stadtbahn durch jahrelange Gewohnheit, ganz gegen seine sonstige Natur,
so geduldig geworden, daß er Kupees, die "nur" mit 14 bis 18 Personen
gefüllt sind, als völlig normal ansieht. Übrigens ist es doch klar, daß
es bei derartigen Massenanhüufungen, namentlich des Abends, selbst bei idealen
Verkehrsverhältnissen ohne Gedränge und Stockungen nie abgehen wird. Die
Stadtbahn hat sich bis jetzt, abgesehen von der Zugüberfüllung, die namentlich
in der zweiten Wagenklasse sonderbar genug anmutet, glänzend aus der Affäre
gezogen. Verkehrsstockungen, wie sie in frühern Jahren zu den ganz gewöhn¬
lichen Sonntagsereignissen gehörten, und wobei manchmal Verspätungen bis
zu einer halben Stunde, viertelstundenlanges Liegenbleiben auf der Strecke
Absperren der Bahnsteige u. dergl. vorkamen, sind bis jetzt nicht vorgekommen'
Zu bedauern ist es, daß das Hochbahnprojekt von Siemers und Hälfte, ob¬
wohl es seit dem Jahre 1891 fertig ist, auf dem Instanzenweg eingefroren ist.
Die Hochbahn hätte die Stadtbahn entlastet und dem Potsdamer und Hallischen
Thorviertel eine ausgezeichnete Verbindung nach Treptow geboten. So sind
diese Stadtteile auf die Pferdebahnen und die elektrischen Bahnen angewiesen.
Aber soviel Linien es auch sind, sie genügen zusammen mit Omnibussen und


Grenzboten III 1896
Die Berliner Gewerbeausstellimg

kostenfrei in die Provinz abgeschoben. Soviel ist aber sicher: eigentliche Ar¬
beitlose gab es in diesem Winter kaum, denn alles, was arbeiten wollte, und
gerade die, deren Beschäftigung sonst im Winter von Zufällen abhängig, un¬
regelmäßig, manchmal gleich Null ist. wie Maurer. Maler usw., fanden draußen
in Treptow Arbeit, wenn sie nur wollten. In der Maschinenindustrie war
von einer Lohnsteigerung kaum etwas zu merken. Die Berliner Industrie
war imstande, mit der normalen Arbeiterzahl die Anforderungen der Aus¬
stellung zu erfüllen. Auf ein scheinbar weitab liegendes Gebiet aber hat das
große Ereignis seine Schatten geworfen. Ist die Dienstbotenfrage in Berlin
schon lange in einem „Stadium," das die Hausfrauen als hoffnungslos be¬
zeichnen, fo ist das womöglich durch die Ausstellung noch schlimmer geworden.
Alles, was von dem weiblichen Teil der Dienstboten den Beruf zu höheren in
sich fühlt, läßt sich durch die höhern Löhne und den scheinbar mühelosem Erwerb
verleiten, irgend eine passende oder unpassende Stellung für die Ausstellungs¬
monate anzunehmen, und wer es da erst einmal dazu gebracht hat, „Fräulein"
zu sein, ist natürlich nachher für jeden Dienst unbrauchbar. Wie es übrigens
um den mühelosem Erwerb steht, zeigen die Klagen mancher Verkäuferinnen,
die Tag für Tag, anch Sonntags, von 10 Uhr morgens bis 10, 11, ja
12 Uhr nachts in Treptow beschäftigt sind.

Der Verkehr von und nach Treptow hat sich, dank den großen Um- und
Neubauten, die die Stadt- und Ringbahn nicht gescheut hat, besser gestaltet,
als man nach den Erfahrungen der landwirtschaftlichen Ausstellung vom Jahre
1894, die ja anch im Treptower Park hauste, befürchten mußte. Fremde
mögen zwar oft genug über Überfüllung klagen, der Berliner aber ist ja auf
der Stadtbahn durch jahrelange Gewohnheit, ganz gegen seine sonstige Natur,
so geduldig geworden, daß er Kupees, die „nur" mit 14 bis 18 Personen
gefüllt sind, als völlig normal ansieht. Übrigens ist es doch klar, daß
es bei derartigen Massenanhüufungen, namentlich des Abends, selbst bei idealen
Verkehrsverhältnissen ohne Gedränge und Stockungen nie abgehen wird. Die
Stadtbahn hat sich bis jetzt, abgesehen von der Zugüberfüllung, die namentlich
in der zweiten Wagenklasse sonderbar genug anmutet, glänzend aus der Affäre
gezogen. Verkehrsstockungen, wie sie in frühern Jahren zu den ganz gewöhn¬
lichen Sonntagsereignissen gehörten, und wobei manchmal Verspätungen bis
zu einer halben Stunde, viertelstundenlanges Liegenbleiben auf der Strecke
Absperren der Bahnsteige u. dergl. vorkamen, sind bis jetzt nicht vorgekommen'
Zu bedauern ist es, daß das Hochbahnprojekt von Siemers und Hälfte, ob¬
wohl es seit dem Jahre 1891 fertig ist, auf dem Instanzenweg eingefroren ist.
Die Hochbahn hätte die Stadtbahn entlastet und dem Potsdamer und Hallischen
Thorviertel eine ausgezeichnete Verbindung nach Treptow geboten. So sind
diese Stadtteile auf die Pferdebahnen und die elektrischen Bahnen angewiesen.
Aber soviel Linien es auch sind, sie genügen zusammen mit Omnibussen und


Grenzboten III 1896
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[0025] Die Berliner Gewerbeausstellimg kostenfrei in die Provinz abgeschoben. Soviel ist aber sicher: eigentliche Ar¬ beitlose gab es in diesem Winter kaum, denn alles, was arbeiten wollte, und gerade die, deren Beschäftigung sonst im Winter von Zufällen abhängig, un¬ regelmäßig, manchmal gleich Null ist. wie Maurer. Maler usw., fanden draußen in Treptow Arbeit, wenn sie nur wollten. In der Maschinenindustrie war von einer Lohnsteigerung kaum etwas zu merken. Die Berliner Industrie war imstande, mit der normalen Arbeiterzahl die Anforderungen der Aus¬ stellung zu erfüllen. Auf ein scheinbar weitab liegendes Gebiet aber hat das große Ereignis seine Schatten geworfen. Ist die Dienstbotenfrage in Berlin schon lange in einem „Stadium," das die Hausfrauen als hoffnungslos be¬ zeichnen, fo ist das womöglich durch die Ausstellung noch schlimmer geworden. Alles, was von dem weiblichen Teil der Dienstboten den Beruf zu höheren in sich fühlt, läßt sich durch die höhern Löhne und den scheinbar mühelosem Erwerb verleiten, irgend eine passende oder unpassende Stellung für die Ausstellungs¬ monate anzunehmen, und wer es da erst einmal dazu gebracht hat, „Fräulein" zu sein, ist natürlich nachher für jeden Dienst unbrauchbar. Wie es übrigens um den mühelosem Erwerb steht, zeigen die Klagen mancher Verkäuferinnen, die Tag für Tag, anch Sonntags, von 10 Uhr morgens bis 10, 11, ja 12 Uhr nachts in Treptow beschäftigt sind. Der Verkehr von und nach Treptow hat sich, dank den großen Um- und Neubauten, die die Stadt- und Ringbahn nicht gescheut hat, besser gestaltet, als man nach den Erfahrungen der landwirtschaftlichen Ausstellung vom Jahre 1894, die ja anch im Treptower Park hauste, befürchten mußte. Fremde mögen zwar oft genug über Überfüllung klagen, der Berliner aber ist ja auf der Stadtbahn durch jahrelange Gewohnheit, ganz gegen seine sonstige Natur, so geduldig geworden, daß er Kupees, die „nur" mit 14 bis 18 Personen gefüllt sind, als völlig normal ansieht. Übrigens ist es doch klar, daß es bei derartigen Massenanhüufungen, namentlich des Abends, selbst bei idealen Verkehrsverhältnissen ohne Gedränge und Stockungen nie abgehen wird. Die Stadtbahn hat sich bis jetzt, abgesehen von der Zugüberfüllung, die namentlich in der zweiten Wagenklasse sonderbar genug anmutet, glänzend aus der Affäre gezogen. Verkehrsstockungen, wie sie in frühern Jahren zu den ganz gewöhn¬ lichen Sonntagsereignissen gehörten, und wobei manchmal Verspätungen bis zu einer halben Stunde, viertelstundenlanges Liegenbleiben auf der Strecke Absperren der Bahnsteige u. dergl. vorkamen, sind bis jetzt nicht vorgekommen' Zu bedauern ist es, daß das Hochbahnprojekt von Siemers und Hälfte, ob¬ wohl es seit dem Jahre 1891 fertig ist, auf dem Instanzenweg eingefroren ist. Die Hochbahn hätte die Stadtbahn entlastet und dem Potsdamer und Hallischen Thorviertel eine ausgezeichnete Verbindung nach Treptow geboten. So sind diese Stadtteile auf die Pferdebahnen und die elektrischen Bahnen angewiesen. Aber soviel Linien es auch sind, sie genügen zusammen mit Omnibussen und Grenzboten III 1896

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/25>, abgerufen am 01.09.2024.