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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Berliner GeWerbeausstellung

Da des finanziellen Ergebnisses wegen bei Ausstellungen immer mit dem
großen Publikum zu rechnen ist, so wird ja oft behauptet, daß es ohne Tingel¬
tangel nun einmal nicht gehe. Auch hier ist in der Platzverteilung sehr an¬
erkennenswert, daß der Vergnügungspark möglichst weit vom Mittelpunkt ab¬
liegt, so weit, daß ihn der, der ihn nicht gerade sucht, auch nicht findet. Doch
ist auch dort manches, was über den bloßen Jahrmarktstrubel der Hippodrome,
der internationalen Künstlerorchester u. dergl. hinausgeht und Interesse bietet.
Wir erwähnen nur den Fesselballon und das lenkbare Luftschiff, das sich aller¬
dings, nach den bisherigen Flugversuchen zu schließen, mehr von dem Winde
als von dem Luftschiffer lenken zu lassen scheint, eine Eigenschaft, die aber
seine unzähligen Namensgefährten bisher immer gehabt haben.

Große Anziehungspunkte für die Besucher sind die Sonderausstellungen
Alt-Berlin und Kairo. Bei Alt-Berlin scheint uns das Schönste der wirklich
reizvolle Blick auf die alten, "verwitterten" Mauern und Türme von der
Kolonialausstellung aus zu sein. Die Schönheit des Karpfenteiches mit seinen
grünumbuschten Ufern wird leider nicht genug beachtet. Mancher, der die
Ausstellung im Fluge genießen will, stürmt gerade an den schönsten Punkten
gleichgiltig vorüber. Der geschichtliche Wert der Ausstellung Alt-Berlin ist
gering; die paar in mittelalterlichen Kostümen umherstolzirenden Alt-Berliner
genügen nicht, um in die winkligen Gassen und scheinbar baufälligen Baracken
Stimmung zu bringen. Die Sammlung von Berliner Altertümern ist kläglich
ausgefallen. In "Kairo" ziehen natürlich die Araber, wie sie alle, auch wenn
es die traurigsten Fellahs sind, genannt werden, mit ihren Eseln und Kamelen,
mit ihren langen Flinten die Hauptaufmerksamkeit des Publikums auf sich,
mehr als alle Bauten, die teilweise vortreffliche Bilder antiker und moderner
ägyptischer Baukunst zeigen.

Die Wirkungen der Ausstellung äußern sich für die ganze Stadt zunächst
in der vermehrten Fremdenzahl; trotzdem sind die Lebensmittelpreise so gut
wie gar nicht, die Wohnungspreise, namentlich die Preise einzelner Zimmer,
nur im Südosten etwas, die Hotel- und Gastwirtschaftspreise auch nur
unbedeutend und auch nur hie und da in die Höhe gegangen. Einen un¬
mittelbaren Vorteil hat der Südosten der Stadt bis jetzt hauptsächlich durch
Brückenbauten und Straßenregnlirungen gehabt; der große Fremdenstrom geht
doch mit der Stadtbahn an ihnen vorüber ins Zentrum und nach dem Westen
der Stadt. Während im übrigen die Löhne infolge der Ausstellung nur wenig
oder gar nicht in die Höhe gegangen sind, nutzten während des Baues natürlich
alle Bauhandwerker die Sachlage nach Kräften aus. Trotz des großen Zu¬
flusses von außen erreichten die Löhne zuletzt für Sonntags- und Überstunden¬
arbeit die Höhe von 1,50 bis 2 Mark die Stunde. Nach Vollendung der
Hauptarbeiten wurden dann, um einen zu großen Rückschlag zu vermeiden,
alle zum "Bau" gehörenden arbeitlos gewordnen von hilfebereiten Genossen


Die Berliner GeWerbeausstellung

Da des finanziellen Ergebnisses wegen bei Ausstellungen immer mit dem
großen Publikum zu rechnen ist, so wird ja oft behauptet, daß es ohne Tingel¬
tangel nun einmal nicht gehe. Auch hier ist in der Platzverteilung sehr an¬
erkennenswert, daß der Vergnügungspark möglichst weit vom Mittelpunkt ab¬
liegt, so weit, daß ihn der, der ihn nicht gerade sucht, auch nicht findet. Doch
ist auch dort manches, was über den bloßen Jahrmarktstrubel der Hippodrome,
der internationalen Künstlerorchester u. dergl. hinausgeht und Interesse bietet.
Wir erwähnen nur den Fesselballon und das lenkbare Luftschiff, das sich aller¬
dings, nach den bisherigen Flugversuchen zu schließen, mehr von dem Winde
als von dem Luftschiffer lenken zu lassen scheint, eine Eigenschaft, die aber
seine unzähligen Namensgefährten bisher immer gehabt haben.

Große Anziehungspunkte für die Besucher sind die Sonderausstellungen
Alt-Berlin und Kairo. Bei Alt-Berlin scheint uns das Schönste der wirklich
reizvolle Blick auf die alten, „verwitterten" Mauern und Türme von der
Kolonialausstellung aus zu sein. Die Schönheit des Karpfenteiches mit seinen
grünumbuschten Ufern wird leider nicht genug beachtet. Mancher, der die
Ausstellung im Fluge genießen will, stürmt gerade an den schönsten Punkten
gleichgiltig vorüber. Der geschichtliche Wert der Ausstellung Alt-Berlin ist
gering; die paar in mittelalterlichen Kostümen umherstolzirenden Alt-Berliner
genügen nicht, um in die winkligen Gassen und scheinbar baufälligen Baracken
Stimmung zu bringen. Die Sammlung von Berliner Altertümern ist kläglich
ausgefallen. In „Kairo" ziehen natürlich die Araber, wie sie alle, auch wenn
es die traurigsten Fellahs sind, genannt werden, mit ihren Eseln und Kamelen,
mit ihren langen Flinten die Hauptaufmerksamkeit des Publikums auf sich,
mehr als alle Bauten, die teilweise vortreffliche Bilder antiker und moderner
ägyptischer Baukunst zeigen.

Die Wirkungen der Ausstellung äußern sich für die ganze Stadt zunächst
in der vermehrten Fremdenzahl; trotzdem sind die Lebensmittelpreise so gut
wie gar nicht, die Wohnungspreise, namentlich die Preise einzelner Zimmer,
nur im Südosten etwas, die Hotel- und Gastwirtschaftspreise auch nur
unbedeutend und auch nur hie und da in die Höhe gegangen. Einen un¬
mittelbaren Vorteil hat der Südosten der Stadt bis jetzt hauptsächlich durch
Brückenbauten und Straßenregnlirungen gehabt; der große Fremdenstrom geht
doch mit der Stadtbahn an ihnen vorüber ins Zentrum und nach dem Westen
der Stadt. Während im übrigen die Löhne infolge der Ausstellung nur wenig
oder gar nicht in die Höhe gegangen sind, nutzten während des Baues natürlich
alle Bauhandwerker die Sachlage nach Kräften aus. Trotz des großen Zu¬
flusses von außen erreichten die Löhne zuletzt für Sonntags- und Überstunden¬
arbeit die Höhe von 1,50 bis 2 Mark die Stunde. Nach Vollendung der
Hauptarbeiten wurden dann, um einen zu großen Rückschlag zu vermeiden,
alle zum „Bau" gehörenden arbeitlos gewordnen von hilfebereiten Genossen


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[0024] Die Berliner GeWerbeausstellung Da des finanziellen Ergebnisses wegen bei Ausstellungen immer mit dem großen Publikum zu rechnen ist, so wird ja oft behauptet, daß es ohne Tingel¬ tangel nun einmal nicht gehe. Auch hier ist in der Platzverteilung sehr an¬ erkennenswert, daß der Vergnügungspark möglichst weit vom Mittelpunkt ab¬ liegt, so weit, daß ihn der, der ihn nicht gerade sucht, auch nicht findet. Doch ist auch dort manches, was über den bloßen Jahrmarktstrubel der Hippodrome, der internationalen Künstlerorchester u. dergl. hinausgeht und Interesse bietet. Wir erwähnen nur den Fesselballon und das lenkbare Luftschiff, das sich aller¬ dings, nach den bisherigen Flugversuchen zu schließen, mehr von dem Winde als von dem Luftschiffer lenken zu lassen scheint, eine Eigenschaft, die aber seine unzähligen Namensgefährten bisher immer gehabt haben. Große Anziehungspunkte für die Besucher sind die Sonderausstellungen Alt-Berlin und Kairo. Bei Alt-Berlin scheint uns das Schönste der wirklich reizvolle Blick auf die alten, „verwitterten" Mauern und Türme von der Kolonialausstellung aus zu sein. Die Schönheit des Karpfenteiches mit seinen grünumbuschten Ufern wird leider nicht genug beachtet. Mancher, der die Ausstellung im Fluge genießen will, stürmt gerade an den schönsten Punkten gleichgiltig vorüber. Der geschichtliche Wert der Ausstellung Alt-Berlin ist gering; die paar in mittelalterlichen Kostümen umherstolzirenden Alt-Berliner genügen nicht, um in die winkligen Gassen und scheinbar baufälligen Baracken Stimmung zu bringen. Die Sammlung von Berliner Altertümern ist kläglich ausgefallen. In „Kairo" ziehen natürlich die Araber, wie sie alle, auch wenn es die traurigsten Fellahs sind, genannt werden, mit ihren Eseln und Kamelen, mit ihren langen Flinten die Hauptaufmerksamkeit des Publikums auf sich, mehr als alle Bauten, die teilweise vortreffliche Bilder antiker und moderner ägyptischer Baukunst zeigen. Die Wirkungen der Ausstellung äußern sich für die ganze Stadt zunächst in der vermehrten Fremdenzahl; trotzdem sind die Lebensmittelpreise so gut wie gar nicht, die Wohnungspreise, namentlich die Preise einzelner Zimmer, nur im Südosten etwas, die Hotel- und Gastwirtschaftspreise auch nur unbedeutend und auch nur hie und da in die Höhe gegangen. Einen un¬ mittelbaren Vorteil hat der Südosten der Stadt bis jetzt hauptsächlich durch Brückenbauten und Straßenregnlirungen gehabt; der große Fremdenstrom geht doch mit der Stadtbahn an ihnen vorüber ins Zentrum und nach dem Westen der Stadt. Während im übrigen die Löhne infolge der Ausstellung nur wenig oder gar nicht in die Höhe gegangen sind, nutzten während des Baues natürlich alle Bauhandwerker die Sachlage nach Kräften aus. Trotz des großen Zu¬ flusses von außen erreichten die Löhne zuletzt für Sonntags- und Überstunden¬ arbeit die Höhe von 1,50 bis 2 Mark die Stunde. Nach Vollendung der Hauptarbeiten wurden dann, um einen zu großen Rückschlag zu vermeiden, alle zum „Bau" gehörenden arbeitlos gewordnen von hilfebereiten Genossen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/24>, abgerufen am 01.09.2024.