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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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doch viel zu arm, um mehr als ein Drittel zu den gemeinsamen Lasten beizu¬
steuern; im Gegenteil, die Quote müsse herabgesetzt werden. Die rührigste Partei
im Laude schreit nach Unabhängigkeit. Kossuth, dessen Sohn sich jetzt aufspielt und
spottweise Erbpräsident der ungarischen Republik genannt wird, dachte bekanntlich
schon einmal daran, einen russischen Großfürsten zum König zu machen, das Bei¬
spiel der orientalisch-slawischen Nachbarn stärkt ohne Zweifel die Großmachtsgelüste.
So darf mau gespannt sein, was die nächsten Jahre bringen werden.




Litteratur
Weiteres zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte.

Ein Eng¬
länder, dessen Buch soeben in deutscher Übersetzung erschienen ist (Englische
Wirtschaftsgeschichte. Eine Einleitung in die Entwicklung von Wirtschafts¬
leben und Wirtschaftslehre vou W. I. Ashley, M. A.. Professor der Wirtschafts¬
geschichte an der Harwarduuiversität. Autorisirte Übersetzung von Robert Oppen¬
heim. I. Das Mittelalter. Leipzig, Duncker und Humblot, 1896), steht der in
Deutschland herrschenden Marktheorie kritisch gegenüber. Er neigt der Ansicht
des Fühlet de Coulanges zu, nach der die Grundherrschaften nicht durch mi߬
bräuchliche Verwandlung der obrigkeitlichen Gewalt in Besitzrecht und der freien
Bauern in Hörige entstanden sein, sondern auf die Römerzeit zurückgehen sollen.
So hat ja auch unser Nitzsch die Städte, die nach Maurer Ansiedlungen freier
Markgenossen sind, aus Frohnhöfeu hervorgehen lassen. Beide Schulen werden
Recht haben für verschiedne Zeiten und Gegenden (insbesondre auch Nitzsch und
Maurer für verschiedne Städte), denn derselbe Vorgang hat in verschiedne" Gegenden
zu verschiednen Zeiten gespielt und hat sich in mancher Gegend mehrere mal wieder¬
holt. Die Deutschen des westlichen Germaniens sind uuter dem Einfluß zuerst
der Römerherrschaft, dann der Feudalverfassung aus Freien zu Hörigen herab¬
gesunken, in der zweiten Hälfte des Mittelalters frei geworden, dann bei dessen
Ausgange mit Hilfe des römischen Rechts und durch die blutige Unterdrückung ihres
Aufstandes aufs neue geknechtet wordeu, bis ihnen das neunzehnte Jahrhundert
wieder die Freiheit brachte. In Ostelbien hat sich der Wandel bis jetzt erst einmal,
oder wenn man will, anderthalbmal vollzogen; die freien deutschen Ansiedler sind
vom sechzehnten Jahrhundert ab geknechtet und im neunzehnten wieder frei ge¬
worden. Ashley beginnt seine Geschichte mit dem elften Jahrhundert, weil man
von deu Zuständen der ältern Zeit nichts genaues wisse, und da trifft er denn
natürlich überall Grundherren und nur ausnahmsweise Freisassen. In England
saßen ja eben, vou der Römerzeit anzufangen, drei bis vier Schichten von Er¬
oberern über einander, die ersten Ansiedler deutscher Abstammung, die Angelsachsen,
fanden schon Herrschafts- und Dienstverhältnisse Vor und begründeten selbst welche,
während die in die deutschen Urwälder einwandernden Germanen ganz oder nahezu
menschenleere Gebiete vorfanden und die ihrem Kultnrstande angemessene Mark-
verfasfnug rein durchführen konnten. Solche Zustände also, wie sie Cäsar und
Tacitus in Germanien beobachteten, haben in England seit dem Beginne der
historischen Zeit niemals bestehen können.


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doch viel zu arm, um mehr als ein Drittel zu den gemeinsamen Lasten beizu¬
steuern; im Gegenteil, die Quote müsse herabgesetzt werden. Die rührigste Partei
im Laude schreit nach Unabhängigkeit. Kossuth, dessen Sohn sich jetzt aufspielt und
spottweise Erbpräsident der ungarischen Republik genannt wird, dachte bekanntlich
schon einmal daran, einen russischen Großfürsten zum König zu machen, das Bei¬
spiel der orientalisch-slawischen Nachbarn stärkt ohne Zweifel die Großmachtsgelüste.
So darf mau gespannt sein, was die nächsten Jahre bringen werden.




Litteratur
Weiteres zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte.

Ein Eng¬
länder, dessen Buch soeben in deutscher Übersetzung erschienen ist (Englische
Wirtschaftsgeschichte. Eine Einleitung in die Entwicklung von Wirtschafts¬
leben und Wirtschaftslehre vou W. I. Ashley, M. A.. Professor der Wirtschafts¬
geschichte an der Harwarduuiversität. Autorisirte Übersetzung von Robert Oppen¬
heim. I. Das Mittelalter. Leipzig, Duncker und Humblot, 1896), steht der in
Deutschland herrschenden Marktheorie kritisch gegenüber. Er neigt der Ansicht
des Fühlet de Coulanges zu, nach der die Grundherrschaften nicht durch mi߬
bräuchliche Verwandlung der obrigkeitlichen Gewalt in Besitzrecht und der freien
Bauern in Hörige entstanden sein, sondern auf die Römerzeit zurückgehen sollen.
So hat ja auch unser Nitzsch die Städte, die nach Maurer Ansiedlungen freier
Markgenossen sind, aus Frohnhöfeu hervorgehen lassen. Beide Schulen werden
Recht haben für verschiedne Zeiten und Gegenden (insbesondre auch Nitzsch und
Maurer für verschiedne Städte), denn derselbe Vorgang hat in verschiedne» Gegenden
zu verschiednen Zeiten gespielt und hat sich in mancher Gegend mehrere mal wieder¬
holt. Die Deutschen des westlichen Germaniens sind uuter dem Einfluß zuerst
der Römerherrschaft, dann der Feudalverfassung aus Freien zu Hörigen herab¬
gesunken, in der zweiten Hälfte des Mittelalters frei geworden, dann bei dessen
Ausgange mit Hilfe des römischen Rechts und durch die blutige Unterdrückung ihres
Aufstandes aufs neue geknechtet wordeu, bis ihnen das neunzehnte Jahrhundert
wieder die Freiheit brachte. In Ostelbien hat sich der Wandel bis jetzt erst einmal,
oder wenn man will, anderthalbmal vollzogen; die freien deutschen Ansiedler sind
vom sechzehnten Jahrhundert ab geknechtet und im neunzehnten wieder frei ge¬
worden. Ashley beginnt seine Geschichte mit dem elften Jahrhundert, weil man
von deu Zuständen der ältern Zeit nichts genaues wisse, und da trifft er denn
natürlich überall Grundherren und nur ausnahmsweise Freisassen. In England
saßen ja eben, vou der Römerzeit anzufangen, drei bis vier Schichten von Er¬
oberern über einander, die ersten Ansiedler deutscher Abstammung, die Angelsachsen,
fanden schon Herrschafts- und Dienstverhältnisse Vor und begründeten selbst welche,
während die in die deutschen Urwälder einwandernden Germanen ganz oder nahezu
menschenleere Gebiete vorfanden und die ihrem Kultnrstande angemessene Mark-
verfasfnug rein durchführen konnten. Solche Zustände also, wie sie Cäsar und
Tacitus in Germanien beobachteten, haben in England seit dem Beginne der
historischen Zeit niemals bestehen können.


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[0244] Litteratur doch viel zu arm, um mehr als ein Drittel zu den gemeinsamen Lasten beizu¬ steuern; im Gegenteil, die Quote müsse herabgesetzt werden. Die rührigste Partei im Laude schreit nach Unabhängigkeit. Kossuth, dessen Sohn sich jetzt aufspielt und spottweise Erbpräsident der ungarischen Republik genannt wird, dachte bekanntlich schon einmal daran, einen russischen Großfürsten zum König zu machen, das Bei¬ spiel der orientalisch-slawischen Nachbarn stärkt ohne Zweifel die Großmachtsgelüste. So darf mau gespannt sein, was die nächsten Jahre bringen werden. Litteratur Weiteres zur mittelalterlichen Wirtschaftsgeschichte. Ein Eng¬ länder, dessen Buch soeben in deutscher Übersetzung erschienen ist (Englische Wirtschaftsgeschichte. Eine Einleitung in die Entwicklung von Wirtschafts¬ leben und Wirtschaftslehre vou W. I. Ashley, M. A.. Professor der Wirtschafts¬ geschichte an der Harwarduuiversität. Autorisirte Übersetzung von Robert Oppen¬ heim. I. Das Mittelalter. Leipzig, Duncker und Humblot, 1896), steht der in Deutschland herrschenden Marktheorie kritisch gegenüber. Er neigt der Ansicht des Fühlet de Coulanges zu, nach der die Grundherrschaften nicht durch mi߬ bräuchliche Verwandlung der obrigkeitlichen Gewalt in Besitzrecht und der freien Bauern in Hörige entstanden sein, sondern auf die Römerzeit zurückgehen sollen. So hat ja auch unser Nitzsch die Städte, die nach Maurer Ansiedlungen freier Markgenossen sind, aus Frohnhöfeu hervorgehen lassen. Beide Schulen werden Recht haben für verschiedne Zeiten und Gegenden (insbesondre auch Nitzsch und Maurer für verschiedne Städte), denn derselbe Vorgang hat in verschiedne» Gegenden zu verschiednen Zeiten gespielt und hat sich in mancher Gegend mehrere mal wieder¬ holt. Die Deutschen des westlichen Germaniens sind uuter dem Einfluß zuerst der Römerherrschaft, dann der Feudalverfassung aus Freien zu Hörigen herab¬ gesunken, in der zweiten Hälfte des Mittelalters frei geworden, dann bei dessen Ausgange mit Hilfe des römischen Rechts und durch die blutige Unterdrückung ihres Aufstandes aufs neue geknechtet wordeu, bis ihnen das neunzehnte Jahrhundert wieder die Freiheit brachte. In Ostelbien hat sich der Wandel bis jetzt erst einmal, oder wenn man will, anderthalbmal vollzogen; die freien deutschen Ansiedler sind vom sechzehnten Jahrhundert ab geknechtet und im neunzehnten wieder frei ge¬ worden. Ashley beginnt seine Geschichte mit dem elften Jahrhundert, weil man von deu Zuständen der ältern Zeit nichts genaues wisse, und da trifft er denn natürlich überall Grundherren und nur ausnahmsweise Freisassen. In England saßen ja eben, vou der Römerzeit anzufangen, drei bis vier Schichten von Er¬ oberern über einander, die ersten Ansiedler deutscher Abstammung, die Angelsachsen, fanden schon Herrschafts- und Dienstverhältnisse Vor und begründeten selbst welche, während die in die deutschen Urwälder einwandernden Germanen ganz oder nahezu menschenleere Gebiete vorfanden und die ihrem Kultnrstande angemessene Mark- verfasfnug rein durchführen konnten. Solche Zustände also, wie sie Cäsar und Tacitus in Germanien beobachteten, haben in England seit dem Beginne der historischen Zeit niemals bestehen können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/244>, abgerufen am 01.09.2024.