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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Sinncnschein, der durch die von der Physik vorausgesetzten Bewegungen eigen¬
schaftsloser Atome erzeugt wird (daß auch diese Atome nur hypothetische Wesen
sind, versteht sich von selbst), für eine Täuschung erklärt, durch die sich der
unbekannte Urheber der Natur eiuer UnWahrhaftigkeit schuldig mache, wenn
er darum die Natur abnorm nennt und daraus folgert, der Urheber der Natur
könne nicht das sittliche Gute, könne nicht Gott sein, so ist das eine Ab¬
surdität. Lasse ich mir durch eine Laterna magica Menschen und Kamele an
die Wand werfen, so ist das keine unsittliche Täuschung, denn ich will gar
nicht wirkliche lebendige Menschen und Kamele an der Wand haben, sondern
bloß das, was ich wirklich daran sehe, das farbige Bild dieser Wesen. Und
wenn Gott wollte, daß die Menschenseelen durch Sinneswahrnehmungen mit
einem Inhalt gefüllt und mittels ihrer Sinneswahrnehmungen einander gegen¬
seitig wahrzunehmen und auf einander einzuwirken in den Stand gesetzt würden,
wenn er auf diese Weise geistigen Wesen einen Quell des Lebens erschließen
und einen Schauplatz des Wirkens begründen wollte, und wenn diese Absicht
auf keine andre Weise erreicht werden konnte, als durch den Sinnenschein, so
ist doch dieser Sinnenschein wahrhaftig keine Täuschung. Wir Menschen sind
wirklich, die Sinneswahrnehmungen und die aus ihrer Verbindung hervor¬
gehenden Gedanken siud wirklich, die dadurch bewirkten Empfindungen, Ent¬
schließungen und Handlungen sind wirklich, in alledem liegt keine Täuschung.
Daß die Maschinerie, die dieses Wirkliche hervorbringt, anders beschaffen ist,
als sie sich der wissenschaftlich nicht gebildete Mensch vorstellt, das kann doch
auch noch keine Täuschung genannt werden. Mit gleichem Recht könnte man
die Dampfmaschine eine Täuschung nennen, weil der Wilde, der von der be¬
wegenden Kraft des Dampfes keine Vorstellung hat, die Maschine für ein leben¬
diges Wesen hält. Es kann umsoweniger von Täuschung die Rede sein, als
auch der wissenschaftlich Gebildete keineswegs das Geheimnis der Maschinerie
selbst, sondern nur die Gesetze zu ergründen vermag, nach denen sie arbeitet,
was ihn in den Stand setzt, sich einzelne Teile der großen Naturmaschinerie
dienstbar zu machen. Besonders Helmholtz und Lotze haben es sehr schön klar
gemacht, warum wir uns durch die Aufdeckung der rein subjektiven Natur
unsrer Sinneswahrnehmungen an der Wirklichkeit, dem Wert, dem Gebrauch
und Genuß der Dinge nicht dürfen irre machen lassen, und daß es Unsinn
wäre, wenn wir uns den Kopf wegreißen wollten, weil wir nicht wissen, wie
es unser Herrgott anfängt, uns einen Erdboden vorzuzaubern, auf dem wir
stehen, und farbige Blumen, die wir sehen, und Früchte, die wir genießen.
Wäre es nicht Wahnsinn, wenn wir den Appetit auf Kirschen verlieren wollten,
weil wir erfahren haben, daß sie nur Komplexe cigenschaftsloser Atome sind?
Und könnte uns der Erdboden sichrer tragen, als er uns trägt, wenn er nicht
der wäre, den uus die moderne Physik kennen lehrt, sondern das, wofür ihn
der gemeine Mann hält? Um dem Schöpfer einen Vorwurf daraus machen


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Sinncnschein, der durch die von der Physik vorausgesetzten Bewegungen eigen¬
schaftsloser Atome erzeugt wird (daß auch diese Atome nur hypothetische Wesen
sind, versteht sich von selbst), für eine Täuschung erklärt, durch die sich der
unbekannte Urheber der Natur eiuer UnWahrhaftigkeit schuldig mache, wenn
er darum die Natur abnorm nennt und daraus folgert, der Urheber der Natur
könne nicht das sittliche Gute, könne nicht Gott sein, so ist das eine Ab¬
surdität. Lasse ich mir durch eine Laterna magica Menschen und Kamele an
die Wand werfen, so ist das keine unsittliche Täuschung, denn ich will gar
nicht wirkliche lebendige Menschen und Kamele an der Wand haben, sondern
bloß das, was ich wirklich daran sehe, das farbige Bild dieser Wesen. Und
wenn Gott wollte, daß die Menschenseelen durch Sinneswahrnehmungen mit
einem Inhalt gefüllt und mittels ihrer Sinneswahrnehmungen einander gegen¬
seitig wahrzunehmen und auf einander einzuwirken in den Stand gesetzt würden,
wenn er auf diese Weise geistigen Wesen einen Quell des Lebens erschließen
und einen Schauplatz des Wirkens begründen wollte, und wenn diese Absicht
auf keine andre Weise erreicht werden konnte, als durch den Sinnenschein, so
ist doch dieser Sinnenschein wahrhaftig keine Täuschung. Wir Menschen sind
wirklich, die Sinneswahrnehmungen und die aus ihrer Verbindung hervor¬
gehenden Gedanken siud wirklich, die dadurch bewirkten Empfindungen, Ent¬
schließungen und Handlungen sind wirklich, in alledem liegt keine Täuschung.
Daß die Maschinerie, die dieses Wirkliche hervorbringt, anders beschaffen ist,
als sie sich der wissenschaftlich nicht gebildete Mensch vorstellt, das kann doch
auch noch keine Täuschung genannt werden. Mit gleichem Recht könnte man
die Dampfmaschine eine Täuschung nennen, weil der Wilde, der von der be¬
wegenden Kraft des Dampfes keine Vorstellung hat, die Maschine für ein leben¬
diges Wesen hält. Es kann umsoweniger von Täuschung die Rede sein, als
auch der wissenschaftlich Gebildete keineswegs das Geheimnis der Maschinerie
selbst, sondern nur die Gesetze zu ergründen vermag, nach denen sie arbeitet,
was ihn in den Stand setzt, sich einzelne Teile der großen Naturmaschinerie
dienstbar zu machen. Besonders Helmholtz und Lotze haben es sehr schön klar
gemacht, warum wir uns durch die Aufdeckung der rein subjektiven Natur
unsrer Sinneswahrnehmungen an der Wirklichkeit, dem Wert, dem Gebrauch
und Genuß der Dinge nicht dürfen irre machen lassen, und daß es Unsinn
wäre, wenn wir uns den Kopf wegreißen wollten, weil wir nicht wissen, wie
es unser Herrgott anfängt, uns einen Erdboden vorzuzaubern, auf dem wir
stehen, und farbige Blumen, die wir sehen, und Früchte, die wir genießen.
Wäre es nicht Wahnsinn, wenn wir den Appetit auf Kirschen verlieren wollten,
weil wir erfahren haben, daß sie nur Komplexe cigenschaftsloser Atome sind?
Und könnte uns der Erdboden sichrer tragen, als er uns trägt, wenn er nicht
der wäre, den uus die moderne Physik kennen lehrt, sondern das, wofür ihn
der gemeine Mann hält? Um dem Schöpfer einen Vorwurf daraus machen


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[0222] lvelterkläruiigsversnche Sinncnschein, der durch die von der Physik vorausgesetzten Bewegungen eigen¬ schaftsloser Atome erzeugt wird (daß auch diese Atome nur hypothetische Wesen sind, versteht sich von selbst), für eine Täuschung erklärt, durch die sich der unbekannte Urheber der Natur eiuer UnWahrhaftigkeit schuldig mache, wenn er darum die Natur abnorm nennt und daraus folgert, der Urheber der Natur könne nicht das sittliche Gute, könne nicht Gott sein, so ist das eine Ab¬ surdität. Lasse ich mir durch eine Laterna magica Menschen und Kamele an die Wand werfen, so ist das keine unsittliche Täuschung, denn ich will gar nicht wirkliche lebendige Menschen und Kamele an der Wand haben, sondern bloß das, was ich wirklich daran sehe, das farbige Bild dieser Wesen. Und wenn Gott wollte, daß die Menschenseelen durch Sinneswahrnehmungen mit einem Inhalt gefüllt und mittels ihrer Sinneswahrnehmungen einander gegen¬ seitig wahrzunehmen und auf einander einzuwirken in den Stand gesetzt würden, wenn er auf diese Weise geistigen Wesen einen Quell des Lebens erschließen und einen Schauplatz des Wirkens begründen wollte, und wenn diese Absicht auf keine andre Weise erreicht werden konnte, als durch den Sinnenschein, so ist doch dieser Sinnenschein wahrhaftig keine Täuschung. Wir Menschen sind wirklich, die Sinneswahrnehmungen und die aus ihrer Verbindung hervor¬ gehenden Gedanken siud wirklich, die dadurch bewirkten Empfindungen, Ent¬ schließungen und Handlungen sind wirklich, in alledem liegt keine Täuschung. Daß die Maschinerie, die dieses Wirkliche hervorbringt, anders beschaffen ist, als sie sich der wissenschaftlich nicht gebildete Mensch vorstellt, das kann doch auch noch keine Täuschung genannt werden. Mit gleichem Recht könnte man die Dampfmaschine eine Täuschung nennen, weil der Wilde, der von der be¬ wegenden Kraft des Dampfes keine Vorstellung hat, die Maschine für ein leben¬ diges Wesen hält. Es kann umsoweniger von Täuschung die Rede sein, als auch der wissenschaftlich Gebildete keineswegs das Geheimnis der Maschinerie selbst, sondern nur die Gesetze zu ergründen vermag, nach denen sie arbeitet, was ihn in den Stand setzt, sich einzelne Teile der großen Naturmaschinerie dienstbar zu machen. Besonders Helmholtz und Lotze haben es sehr schön klar gemacht, warum wir uns durch die Aufdeckung der rein subjektiven Natur unsrer Sinneswahrnehmungen an der Wirklichkeit, dem Wert, dem Gebrauch und Genuß der Dinge nicht dürfen irre machen lassen, und daß es Unsinn wäre, wenn wir uns den Kopf wegreißen wollten, weil wir nicht wissen, wie es unser Herrgott anfängt, uns einen Erdboden vorzuzaubern, auf dem wir stehen, und farbige Blumen, die wir sehen, und Früchte, die wir genießen. Wäre es nicht Wahnsinn, wenn wir den Appetit auf Kirschen verlieren wollten, weil wir erfahren haben, daß sie nur Komplexe cigenschaftsloser Atome sind? Und könnte uns der Erdboden sichrer tragen, als er uns trägt, wenn er nicht der wäre, den uus die moderne Physik kennen lehrt, sondern das, wofür ihn der gemeine Mann hält? Um dem Schöpfer einen Vorwurf daraus machen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/222>, abgerufen am 01.09.2024.