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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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zu können, daß er uns das Leben und Wirken und Genießen gerade auf diese
Weise ermöglicht hat, müßten wir doch erst eine bessere Weise gefunden haben,
die das nicht enthielte, was man, wenn man durchaus will, eine Täuschung
nennen mag.

Nicht ganz so leicht ist das andre Bedenken gegen die Gleichsetzung des
Schöpfers mit dem höchsten moralischen Gut im sittlichen Sinn als bloße Ab¬
surdität abzuweisen; hat doch die Frage: Wie kann der gute und heilige Gott
Urheber des Übels sein, oder woher kann es stammen, wenn es nicht aus
Gott stammt? von alten Zeiten her die Denkenden gequält und einerseits zum
manichäischen Dualismus, andrerseits zum Pessimismus geführt. Zuzugeben
ist, daß keine der Theodieeen, die von wohlmeinenden Männern ersonnen worden
sind, befriedigt, und daß auch der Teufel und die Erbsünde nur Beschwichtigungs¬
mittel für kindliche Gemüter sind. Wenn ein Augustinus, ein Calvin einen
Gott, der ihrer Ansicht nach die Mehrzahl der Menschen zu dem einzigen
Zweck geschaffen hat, in ihren ewigen Qualen seine Gerechtigkeit zu verherr¬
lichen, für den Allgütiger und Allheiligcn zu halten vermögen, so weiß man
nicht, ob man in diesen großen Männern einen geistigen oder einen sittlichen
Mangel annehmen soll. Es scheint, daß der Übermacht des "Milieu" auch
die größten Geister bis zu einem gewissen Grade erliegen, sodaß ihnen auch
das Unvernünftigste, wenn es sich einmal unbestrittne Geltung errungen hat,
vernünftig erscheint. Also darin geben wir Spir Recht, daß es unerklärlich
ist, wie der gütige Gott eine mit Übeln erfüllte Welt schaffen konnte,
aber wir bestreiten, daß es darum logisch geboten sei, dem Wesen, das die
sittliche Norm in sich enthält, die Weltschöpfung abzusprechen. Es ist reine
Willkür, wenn Spir behauptet, bei der Ausrede, die Sache sei unerklärlich,
dürfe man nicht stehen bleiben, man müsse zur Leugnung des unbegreiflichen
Zusammenhangs fortschreiten. Da dieses ganze Dasein ein unlösbares Rätsel
ist, warum soll man da gerade diesen Glauben, der sich aus so vielen Gründen
empfiehlt, deswegen verwerfen, weil er unbegreifliches enthält? Stellen wir
einmal folgende Hypothese auf -- alle solche Hypothese" können ja nur kindisches
Gestammel sein, weil wir dem Unerforschten gegenüber alle zeitlebens un¬
mündige Kinder bleiben, aber es giebt doch Kinder, die ein wenig reifer und
vorwitziger als die Kirchkinder sind, und denen die sür diese zurecht gemachten
Beruhigungsmittel gar zu kindlich vorkommen. Denken wir uns also, daß
Gott bewußte Einzelwesen habe schaffen wollen, die Lust und Unlust empfinden,
daß er aber nicht unbedingt frei und allmächtig, sondern an gewisse in ihm
selber liegende und uns natürlich unbegreifliche Gesetze gebunden sei. Das eine
dieser Gesetze offenbart sich uns in der Natur. Wir sehen da, daß organisches
Leben nur bei einem gewissen Wärmegrade möglich ist, und wir wüßten nicht,
wie die Wärme und das Licht, das wenigstens sür die höhern Organismen
notwendig ist, auf andre Weise erzeugt und mit den übrigen Lebensbedingungen


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zu können, daß er uns das Leben und Wirken und Genießen gerade auf diese
Weise ermöglicht hat, müßten wir doch erst eine bessere Weise gefunden haben,
die das nicht enthielte, was man, wenn man durchaus will, eine Täuschung
nennen mag.

Nicht ganz so leicht ist das andre Bedenken gegen die Gleichsetzung des
Schöpfers mit dem höchsten moralischen Gut im sittlichen Sinn als bloße Ab¬
surdität abzuweisen; hat doch die Frage: Wie kann der gute und heilige Gott
Urheber des Übels sein, oder woher kann es stammen, wenn es nicht aus
Gott stammt? von alten Zeiten her die Denkenden gequält und einerseits zum
manichäischen Dualismus, andrerseits zum Pessimismus geführt. Zuzugeben
ist, daß keine der Theodieeen, die von wohlmeinenden Männern ersonnen worden
sind, befriedigt, und daß auch der Teufel und die Erbsünde nur Beschwichtigungs¬
mittel für kindliche Gemüter sind. Wenn ein Augustinus, ein Calvin einen
Gott, der ihrer Ansicht nach die Mehrzahl der Menschen zu dem einzigen
Zweck geschaffen hat, in ihren ewigen Qualen seine Gerechtigkeit zu verherr¬
lichen, für den Allgütiger und Allheiligcn zu halten vermögen, so weiß man
nicht, ob man in diesen großen Männern einen geistigen oder einen sittlichen
Mangel annehmen soll. Es scheint, daß der Übermacht des „Milieu" auch
die größten Geister bis zu einem gewissen Grade erliegen, sodaß ihnen auch
das Unvernünftigste, wenn es sich einmal unbestrittne Geltung errungen hat,
vernünftig erscheint. Also darin geben wir Spir Recht, daß es unerklärlich
ist, wie der gütige Gott eine mit Übeln erfüllte Welt schaffen konnte,
aber wir bestreiten, daß es darum logisch geboten sei, dem Wesen, das die
sittliche Norm in sich enthält, die Weltschöpfung abzusprechen. Es ist reine
Willkür, wenn Spir behauptet, bei der Ausrede, die Sache sei unerklärlich,
dürfe man nicht stehen bleiben, man müsse zur Leugnung des unbegreiflichen
Zusammenhangs fortschreiten. Da dieses ganze Dasein ein unlösbares Rätsel
ist, warum soll man da gerade diesen Glauben, der sich aus so vielen Gründen
empfiehlt, deswegen verwerfen, weil er unbegreifliches enthält? Stellen wir
einmal folgende Hypothese auf — alle solche Hypothese» können ja nur kindisches
Gestammel sein, weil wir dem Unerforschten gegenüber alle zeitlebens un¬
mündige Kinder bleiben, aber es giebt doch Kinder, die ein wenig reifer und
vorwitziger als die Kirchkinder sind, und denen die sür diese zurecht gemachten
Beruhigungsmittel gar zu kindlich vorkommen. Denken wir uns also, daß
Gott bewußte Einzelwesen habe schaffen wollen, die Lust und Unlust empfinden,
daß er aber nicht unbedingt frei und allmächtig, sondern an gewisse in ihm
selber liegende und uns natürlich unbegreifliche Gesetze gebunden sei. Das eine
dieser Gesetze offenbart sich uns in der Natur. Wir sehen da, daß organisches
Leben nur bei einem gewissen Wärmegrade möglich ist, und wir wüßten nicht,
wie die Wärme und das Licht, das wenigstens sür die höhern Organismen
notwendig ist, auf andre Weise erzeugt und mit den übrigen Lebensbedingungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/223>, abgerufen am 26.11.2024.