Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Ernst Lurtius Otfried Müller; besonders den zweiten radiu sich Curtius zum Vorbild. Seit In die Zeit seiner glücklichen und außerordentlich erfolgreichen Göttinger Ernst Lurtius Otfried Müller; besonders den zweiten radiu sich Curtius zum Vorbild. Seit In die Zeit seiner glücklichen und außerordentlich erfolgreichen Göttinger <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223126"/> <fw type="header" place="top"> Ernst Lurtius</fw><lb/> <p xml:id="ID_559" prev="#ID_558"> Otfried Müller; besonders den zweiten radiu sich Curtius zum Vorbild. Seit<lb/> 1851 erschien sein zweibändiges Werk über den Peloponnes, eine historisch-<lb/> geographische Beschreibung der Halbinsel, wie man sie bis dahin in Deutschland<lb/> von keinem Lande der antiken Welt gehabt hatte. Daraus beschäftigten ihn<lb/> Untersuchungen über die Topographie von Athen, die mit einem Kartenwerk<lb/> (1868) vorläufig abgeschlossen wurden. Ein zweites folgte später (1878), als<lb/> er diese Studien in viel größerm Umfange wieder aufgenommen hatte. Seine<lb/> großen Verdienste um die Ermittlung des Thatsächlichen, die Veranlassung von<lb/> Originalaufnahmen und die Beschaffung vieler neuen Abbildungen wurde von<lb/> allen Seiten anerkannt. In Bezug auf seine Konstruktion des Einzelnen in<lb/> der Topographie begegnete er vielfachem Widerspruch. Er wollte die Spuren<lb/> des antiken Lebens auf dem von der modernen Kultur bedeckten Boden dem<lb/> Leser nicht nur philologisch erklären, sondern ihm auch eine möglichst lebendige<lb/> Vorstellung von dem Erklärten geben. In die großen Lücken einer äußerst<lb/> mangelhaften Überlieferung mußte die nachschaffende Phantasie des Historikers<lb/> Ersatzstücke einfügen, oder er mußte darauf verzichten, anschaulich zu schildern.<lb/> Und dieser Verzicht erschien manchem seiner Beurteiler (wie die Menschen nun<lb/> einmal sind, pflegt Homer zu sagen) als die wahre Aufgabe der Wissenschaft.</p><lb/> <p xml:id="ID_560" next="#ID_561"> In die Zeit seiner glücklichen und außerordentlich erfolgreichen Göttinger<lb/> Lehrthätigkeit gehört seine Griechische Geschichte bis zur Schlacht bei Chürouea<lb/> in drei Bänden. Sie ist die erste nach den Quellen geschriebne griechische Ge¬<lb/> schichte eines Deutschen. In vielen Auflagen verbreitet, ist sie mit Recht ein<lb/> sehr beliebtes, man darf sogar sagen: ein berühmtes Buch geworden. Sie<lb/> gab aber auch den ersten Anlaß zu Angriffen, denen nun einmal kein be¬<lb/> deutender Mann entgeht. Der Vergleich mit Mommsens Römischer Geschichte,<lb/> die in demselben Verlag erschien, war nahegelegt. Man vermißte bei Curtius<lb/> die treffende Schilderung und die bezeichnende Sprache. Man fand die großen<lb/> geschichtlichen Erscheinungen zu allgemein aufgefaßt und viele Einzelheiten nicht<lb/> scharf genug aus den Quellen herausgearbeitet, und man vermißte namentlich<lb/> die Schärfe in der Behandlung des Politischen. Mau wies dafür auf das<lb/> etwas ältere Werk des Engländers Grote hin. Bei diesem Vergleich vergaß<lb/> man, welche Bedeutung gerade sür diesen Teil der Geschichte die größere oder<lb/> geringere Ausführlichkeit hat, die sich ein Schriftsteller nach dem Plane und<lb/> Umfange des Ganzen gestatten kann. Die Überlieferung über die äußere und<lb/> innere Politik der einzelnen griechischen Staaten in der klassischen Zeit ist sehr<lb/> dürftig. Zu sichern Urteilen ist in zahlreichen Fällen gar nicht zu gelangen,<lb/> weder den Handlungen der verschiednen Männer gegenüber, noch in Bezug auf<lb/> den Verlauf und die Bedeutung bestimmter geschichtlicher Vorgänge. Der<lb/> einzelne moderne Forscher wendet nun der innern Geschichte der griechischen<lb/> Staaten während der Perserkriege oder der Politik des Perikles ein sehr ver¬<lb/> schieden bemessenes Interesse zu, es giebt auch ohne Zweifel verschiedne Be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0184]
Ernst Lurtius
Otfried Müller; besonders den zweiten radiu sich Curtius zum Vorbild. Seit
1851 erschien sein zweibändiges Werk über den Peloponnes, eine historisch-
geographische Beschreibung der Halbinsel, wie man sie bis dahin in Deutschland
von keinem Lande der antiken Welt gehabt hatte. Daraus beschäftigten ihn
Untersuchungen über die Topographie von Athen, die mit einem Kartenwerk
(1868) vorläufig abgeschlossen wurden. Ein zweites folgte später (1878), als
er diese Studien in viel größerm Umfange wieder aufgenommen hatte. Seine
großen Verdienste um die Ermittlung des Thatsächlichen, die Veranlassung von
Originalaufnahmen und die Beschaffung vieler neuen Abbildungen wurde von
allen Seiten anerkannt. In Bezug auf seine Konstruktion des Einzelnen in
der Topographie begegnete er vielfachem Widerspruch. Er wollte die Spuren
des antiken Lebens auf dem von der modernen Kultur bedeckten Boden dem
Leser nicht nur philologisch erklären, sondern ihm auch eine möglichst lebendige
Vorstellung von dem Erklärten geben. In die großen Lücken einer äußerst
mangelhaften Überlieferung mußte die nachschaffende Phantasie des Historikers
Ersatzstücke einfügen, oder er mußte darauf verzichten, anschaulich zu schildern.
Und dieser Verzicht erschien manchem seiner Beurteiler (wie die Menschen nun
einmal sind, pflegt Homer zu sagen) als die wahre Aufgabe der Wissenschaft.
In die Zeit seiner glücklichen und außerordentlich erfolgreichen Göttinger
Lehrthätigkeit gehört seine Griechische Geschichte bis zur Schlacht bei Chürouea
in drei Bänden. Sie ist die erste nach den Quellen geschriebne griechische Ge¬
schichte eines Deutschen. In vielen Auflagen verbreitet, ist sie mit Recht ein
sehr beliebtes, man darf sogar sagen: ein berühmtes Buch geworden. Sie
gab aber auch den ersten Anlaß zu Angriffen, denen nun einmal kein be¬
deutender Mann entgeht. Der Vergleich mit Mommsens Römischer Geschichte,
die in demselben Verlag erschien, war nahegelegt. Man vermißte bei Curtius
die treffende Schilderung und die bezeichnende Sprache. Man fand die großen
geschichtlichen Erscheinungen zu allgemein aufgefaßt und viele Einzelheiten nicht
scharf genug aus den Quellen herausgearbeitet, und man vermißte namentlich
die Schärfe in der Behandlung des Politischen. Mau wies dafür auf das
etwas ältere Werk des Engländers Grote hin. Bei diesem Vergleich vergaß
man, welche Bedeutung gerade sür diesen Teil der Geschichte die größere oder
geringere Ausführlichkeit hat, die sich ein Schriftsteller nach dem Plane und
Umfange des Ganzen gestatten kann. Die Überlieferung über die äußere und
innere Politik der einzelnen griechischen Staaten in der klassischen Zeit ist sehr
dürftig. Zu sichern Urteilen ist in zahlreichen Fällen gar nicht zu gelangen,
weder den Handlungen der verschiednen Männer gegenüber, noch in Bezug auf
den Verlauf und die Bedeutung bestimmter geschichtlicher Vorgänge. Der
einzelne moderne Forscher wendet nun der innern Geschichte der griechischen
Staaten während der Perserkriege oder der Politik des Perikles ein sehr ver¬
schieden bemessenes Interesse zu, es giebt auch ohne Zweifel verschiedne Be-
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