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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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es sich um einen Kampf für oder gegen Vorrechte handle, daß die Zwecke, zu
denen nicht bloß Staatseinmischung, sondern geradezu Staatsunterstützung ver¬
langt wird, mißbilligt werden von allen, die noch Gerechtigkeitsgefühl genng
haben, um "jedem das Seine" zu gönnen.

Und insofern allerdings ist eine Ähnlichkeit zwischen dem damaligen Kampf
gegen die Kornzölle und dem heute bei uus geführten Kampf gegen agrarische
Ausschreitungen. Zugleich aber ergiebt sich auch, daß wir gegen damals nicht
einen Fortschritt, sondern einen Rückschritt zu verzeichnen haben. sozial¬
politische Erwägungen waren schon damals stark maßgebend. Edle Volks¬
freunde verfolgten mit echt britischer Thatkraft und Zähigkeit ihre Ziele.
Ein Mann wie Cobden, der in uneigennütziger Weise alles an die Durch¬
führung einer Idee setzt, ist ein erhebendes Bild. Heute sollten billiger¬
weise sozialpolitische Bedenken für die Gesetzgebung viel mehr gelten, als
damals. Diese aber sind für die Agrarier, die über die Gesetzgebung so große
Macht ausüben, nicht vorhanden. Sie legen für ihre zu einer gerechten
Sozialpolitik im geraden Gegensatz stehenden Bestrebungen einen Eifer an den
Tag, der einer bessern Sache würdig wäre. Auf der Gegenseite aber fehlt die
nötige Kraft und Einigkeit, um diesen Vestrebuugeu erfolgreich zu widerstehen.
Dazu kommt, daß bei uns die Haltung der Negierung in gesetzgeberischen
Fragen viel bestimmender ist als in England, daß eine Volksbewegung von
der Negierung viel weniger beachtet wird und auf sie weniger Einfluß übt.
So liegen'für uns die Bedingungen, einer volksfreundlichen Politik den Sieg
zu verschaffen, viel ungünstiger, als damals in England. Und doch wird
immer mehr die Notwendigkeit empfunden, den agrarischen Ausschreitungen
Halt zu gebieten.

Aber auch wenn wir uns nur an die wirtschaftliche Seite der Frage halten,
müssen die von agrarfreundlicheu Blättern bei dieser Gelegenheit angestellten
Betrachtungen erheiternd wirken auf jeden, der nicht die Verhältnisse durch die
Parteibrille betrachtet. Da wird den Engländern vorgehalten, daß sie durch
Aufhebung der Kornzölle einen sehr dummen Streich gemacht hätten. Und
dieser Fehler soll noch bis in die Gegenwart herein seine Nachwirkungen auf
die englische Wirtschaftspolitik ausüben. Diese Blätter richten ernste wohl¬
wollende Mahnungen an England, weil sie es einem Abgrunde zutaumeln
sehen, ohne daß es selbst eine Ahnung davon habe. Auch geben sie zu ver¬
stehen, daß sich bessere Einsicht in England mit Notwendigkeit einstellen werde
und müsse. England, das alte Freihandelsland, auf die Buhu des Schutzzolls
zu bringen, welcher glänzende Erfolg wäre das für unsre Agrarier!

England hat seine Landwirtschaft zu Grunde gerichtet, so lautet der eine
von dieser Seite gegen die englische Wirtschaftspolitik erhobne Vorwurf. Dabei
wird geflissentlich verschwiegen, daß ans die Aufhebung der Kornzölle in Eng¬
land eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs folgte, an dem auch die Land-


Lin wirtschaftspolitischer Rückblick

es sich um einen Kampf für oder gegen Vorrechte handle, daß die Zwecke, zu
denen nicht bloß Staatseinmischung, sondern geradezu Staatsunterstützung ver¬
langt wird, mißbilligt werden von allen, die noch Gerechtigkeitsgefühl genng
haben, um „jedem das Seine" zu gönnen.

Und insofern allerdings ist eine Ähnlichkeit zwischen dem damaligen Kampf
gegen die Kornzölle und dem heute bei uus geführten Kampf gegen agrarische
Ausschreitungen. Zugleich aber ergiebt sich auch, daß wir gegen damals nicht
einen Fortschritt, sondern einen Rückschritt zu verzeichnen haben. sozial¬
politische Erwägungen waren schon damals stark maßgebend. Edle Volks¬
freunde verfolgten mit echt britischer Thatkraft und Zähigkeit ihre Ziele.
Ein Mann wie Cobden, der in uneigennütziger Weise alles an die Durch¬
führung einer Idee setzt, ist ein erhebendes Bild. Heute sollten billiger¬
weise sozialpolitische Bedenken für die Gesetzgebung viel mehr gelten, als
damals. Diese aber sind für die Agrarier, die über die Gesetzgebung so große
Macht ausüben, nicht vorhanden. Sie legen für ihre zu einer gerechten
Sozialpolitik im geraden Gegensatz stehenden Bestrebungen einen Eifer an den
Tag, der einer bessern Sache würdig wäre. Auf der Gegenseite aber fehlt die
nötige Kraft und Einigkeit, um diesen Vestrebuugeu erfolgreich zu widerstehen.
Dazu kommt, daß bei uns die Haltung der Negierung in gesetzgeberischen
Fragen viel bestimmender ist als in England, daß eine Volksbewegung von
der Negierung viel weniger beachtet wird und auf sie weniger Einfluß übt.
So liegen'für uns die Bedingungen, einer volksfreundlichen Politik den Sieg
zu verschaffen, viel ungünstiger, als damals in England. Und doch wird
immer mehr die Notwendigkeit empfunden, den agrarischen Ausschreitungen
Halt zu gebieten.

Aber auch wenn wir uns nur an die wirtschaftliche Seite der Frage halten,
müssen die von agrarfreundlicheu Blättern bei dieser Gelegenheit angestellten
Betrachtungen erheiternd wirken auf jeden, der nicht die Verhältnisse durch die
Parteibrille betrachtet. Da wird den Engländern vorgehalten, daß sie durch
Aufhebung der Kornzölle einen sehr dummen Streich gemacht hätten. Und
dieser Fehler soll noch bis in die Gegenwart herein seine Nachwirkungen auf
die englische Wirtschaftspolitik ausüben. Diese Blätter richten ernste wohl¬
wollende Mahnungen an England, weil sie es einem Abgrunde zutaumeln
sehen, ohne daß es selbst eine Ahnung davon habe. Auch geben sie zu ver¬
stehen, daß sich bessere Einsicht in England mit Notwendigkeit einstellen werde
und müsse. England, das alte Freihandelsland, auf die Buhu des Schutzzolls
zu bringen, welcher glänzende Erfolg wäre das für unsre Agrarier!

England hat seine Landwirtschaft zu Grunde gerichtet, so lautet der eine
von dieser Seite gegen die englische Wirtschaftspolitik erhobne Vorwurf. Dabei
wird geflissentlich verschwiegen, daß ans die Aufhebung der Kornzölle in Eng¬
land eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs folgte, an dem auch die Land-


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[0154] Lin wirtschaftspolitischer Rückblick es sich um einen Kampf für oder gegen Vorrechte handle, daß die Zwecke, zu denen nicht bloß Staatseinmischung, sondern geradezu Staatsunterstützung ver¬ langt wird, mißbilligt werden von allen, die noch Gerechtigkeitsgefühl genng haben, um „jedem das Seine" zu gönnen. Und insofern allerdings ist eine Ähnlichkeit zwischen dem damaligen Kampf gegen die Kornzölle und dem heute bei uus geführten Kampf gegen agrarische Ausschreitungen. Zugleich aber ergiebt sich auch, daß wir gegen damals nicht einen Fortschritt, sondern einen Rückschritt zu verzeichnen haben. sozial¬ politische Erwägungen waren schon damals stark maßgebend. Edle Volks¬ freunde verfolgten mit echt britischer Thatkraft und Zähigkeit ihre Ziele. Ein Mann wie Cobden, der in uneigennütziger Weise alles an die Durch¬ führung einer Idee setzt, ist ein erhebendes Bild. Heute sollten billiger¬ weise sozialpolitische Bedenken für die Gesetzgebung viel mehr gelten, als damals. Diese aber sind für die Agrarier, die über die Gesetzgebung so große Macht ausüben, nicht vorhanden. Sie legen für ihre zu einer gerechten Sozialpolitik im geraden Gegensatz stehenden Bestrebungen einen Eifer an den Tag, der einer bessern Sache würdig wäre. Auf der Gegenseite aber fehlt die nötige Kraft und Einigkeit, um diesen Vestrebuugeu erfolgreich zu widerstehen. Dazu kommt, daß bei uns die Haltung der Negierung in gesetzgeberischen Fragen viel bestimmender ist als in England, daß eine Volksbewegung von der Negierung viel weniger beachtet wird und auf sie weniger Einfluß übt. So liegen'für uns die Bedingungen, einer volksfreundlichen Politik den Sieg zu verschaffen, viel ungünstiger, als damals in England. Und doch wird immer mehr die Notwendigkeit empfunden, den agrarischen Ausschreitungen Halt zu gebieten. Aber auch wenn wir uns nur an die wirtschaftliche Seite der Frage halten, müssen die von agrarfreundlicheu Blättern bei dieser Gelegenheit angestellten Betrachtungen erheiternd wirken auf jeden, der nicht die Verhältnisse durch die Parteibrille betrachtet. Da wird den Engländern vorgehalten, daß sie durch Aufhebung der Kornzölle einen sehr dummen Streich gemacht hätten. Und dieser Fehler soll noch bis in die Gegenwart herein seine Nachwirkungen auf die englische Wirtschaftspolitik ausüben. Diese Blätter richten ernste wohl¬ wollende Mahnungen an England, weil sie es einem Abgrunde zutaumeln sehen, ohne daß es selbst eine Ahnung davon habe. Auch geben sie zu ver¬ stehen, daß sich bessere Einsicht in England mit Notwendigkeit einstellen werde und müsse. England, das alte Freihandelsland, auf die Buhu des Schutzzolls zu bringen, welcher glänzende Erfolg wäre das für unsre Agrarier! England hat seine Landwirtschaft zu Grunde gerichtet, so lautet der eine von dieser Seite gegen die englische Wirtschaftspolitik erhobne Vorwurf. Dabei wird geflissentlich verschwiegen, daß ans die Aufhebung der Kornzölle in Eng¬ land eine Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs folgte, an dem auch die Land-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/154>, abgerufen am 01.09.2024.