Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft

Da ist es denn begreiflich, daß ein Angriff auf die Person des Verfassers
in Kreisen, die sich sonst um "Gelehrtenstreit" wenig kümmern, das lebhafteste
Interesse erweckt, und es ist berechtigt, auch außerhalb der Fachlitteratur zu
diesem Streite Stellung zu nehmen und zur Klärung der Sache beizutragen.

Zwar auf den Streit zwischen Volbehr und Mulder möchte ich nicht
näher eingehen, sondern nur kurz darüber berichten. Volbehr hat in einer
Broschüre: "Ein Originalaufsatz Dr. Richard Muthers, Professors an der Uni¬
versität Breslau," nachzuweisen gesucht, daß ihn Mulder in unlauterer Weise
benutzt habe, daß Mulder mit Volbehrs Gedanken und Worten in einer Weise
gearbeitet habe, daß der Leser nicht zur Klarheit darüber habe kommen können,
ob er es mit Mutherschen oder mit Volbehrschen Ausführungen zu thun habe,
ja daß er eher habe annehmen müssen, es handle sich in dem Aufsatze "Goethe
und die Kunst" um Muthersche und nicht um Volbehrsche Gedanken. Die
Philosophische Fakultät der Universität Breslau hat sich daraufhin entschlossen
-- was selten geschieht! --, gegen ihr eignes Mitglied eine Mißbilligung aus-
zusprechen. Auch andre Gelehrte sind für Volbehr eingetreten. Mulder hat
sich dann in einer Broschüre: "Die Mutherhetze, ein Beitrag zur Psychologie
des Neides und der Verleumdung," zu rechtfertigen gesucht. Darauf hat man
ihm aber nachgewiesen, daß er auch in seiner "Geschichte der Malerei" andre
Forscher benutzt hat, ohne die Quellen so anzugeben, daß der Leser merken
kann, daß er es nicht mit Mnthers eignen Leistungen zu thun habe. Erst
kürzlich ist in einem Aufsatze der Deutschen Wochenschrift: "Ein Virtuose des
Plagiats" der Beweis geliefert worden, daß Mulder in dem angeführten
Werke Hermann Grimm und den Heidelberger Karl Neumann wörtlich aus¬
geschrieben hat. Es würde nicht schwer halten, noch mehr Material bei¬
zubringen, zu zeigen, wie er z.B. aus Dohmes "Kunst und Künstler" und
aus Katalogen geschöpft hat. Aber was hätte das für Wert? Für den Laien
genügen die angegebnen Fülle, und der Fachmann weiß die Stellen, wo Mulder
mit den Worten andrer redet, selber zu finden. Überdies hat ja Mulder dieses
Bauen mit Steinen, die er nicht selbst beHauen hat, schon unumwunden zu¬
gegeben.

Es handelt sich jetzt also in diesem Streite nur noch darum, ob diese
Art der Benutzung fremder Erzeugnisse statthaft und harmlos ist, wie Mulder
in seiner Broschüre behauptet, oder unzulässig und unlauter, wie Volbehr und
andre meinen. Für mich besteht kein Zweifel darüber, daß Muthers Ent¬
schuldigung nicht stichhaltig ist, daß von ihm das geistige Eigentum andrer
Forscher nicht genügend als solches kenntlich gemacht, also nicht gehörig re¬
spektier worden ist. Zwar kenne ich aus eigner Erfahrung die große Gefahr,
der man sich aussetzt, wenn man seine litterarischen Veröffentlichungen un¬
mittelbar aus den Vorlesungen hervorgehen läßt. Man kann sich in der That
diese oder jene charakteristische Fassung einer künstlerischen Auffassungsweise,


Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft

Da ist es denn begreiflich, daß ein Angriff auf die Person des Verfassers
in Kreisen, die sich sonst um „Gelehrtenstreit" wenig kümmern, das lebhafteste
Interesse erweckt, und es ist berechtigt, auch außerhalb der Fachlitteratur zu
diesem Streite Stellung zu nehmen und zur Klärung der Sache beizutragen.

Zwar auf den Streit zwischen Volbehr und Mulder möchte ich nicht
näher eingehen, sondern nur kurz darüber berichten. Volbehr hat in einer
Broschüre: „Ein Originalaufsatz Dr. Richard Muthers, Professors an der Uni¬
versität Breslau," nachzuweisen gesucht, daß ihn Mulder in unlauterer Weise
benutzt habe, daß Mulder mit Volbehrs Gedanken und Worten in einer Weise
gearbeitet habe, daß der Leser nicht zur Klarheit darüber habe kommen können,
ob er es mit Mutherschen oder mit Volbehrschen Ausführungen zu thun habe,
ja daß er eher habe annehmen müssen, es handle sich in dem Aufsatze „Goethe
und die Kunst" um Muthersche und nicht um Volbehrsche Gedanken. Die
Philosophische Fakultät der Universität Breslau hat sich daraufhin entschlossen
— was selten geschieht! —, gegen ihr eignes Mitglied eine Mißbilligung aus-
zusprechen. Auch andre Gelehrte sind für Volbehr eingetreten. Mulder hat
sich dann in einer Broschüre: „Die Mutherhetze, ein Beitrag zur Psychologie
des Neides und der Verleumdung," zu rechtfertigen gesucht. Darauf hat man
ihm aber nachgewiesen, daß er auch in seiner „Geschichte der Malerei" andre
Forscher benutzt hat, ohne die Quellen so anzugeben, daß der Leser merken
kann, daß er es nicht mit Mnthers eignen Leistungen zu thun habe. Erst
kürzlich ist in einem Aufsatze der Deutschen Wochenschrift: „Ein Virtuose des
Plagiats" der Beweis geliefert worden, daß Mulder in dem angeführten
Werke Hermann Grimm und den Heidelberger Karl Neumann wörtlich aus¬
geschrieben hat. Es würde nicht schwer halten, noch mehr Material bei¬
zubringen, zu zeigen, wie er z.B. aus Dohmes „Kunst und Künstler" und
aus Katalogen geschöpft hat. Aber was hätte das für Wert? Für den Laien
genügen die angegebnen Fülle, und der Fachmann weiß die Stellen, wo Mulder
mit den Worten andrer redet, selber zu finden. Überdies hat ja Mulder dieses
Bauen mit Steinen, die er nicht selbst beHauen hat, schon unumwunden zu¬
gegeben.

Es handelt sich jetzt also in diesem Streite nur noch darum, ob diese
Art der Benutzung fremder Erzeugnisse statthaft und harmlos ist, wie Mulder
in seiner Broschüre behauptet, oder unzulässig und unlauter, wie Volbehr und
andre meinen. Für mich besteht kein Zweifel darüber, daß Muthers Ent¬
schuldigung nicht stichhaltig ist, daß von ihm das geistige Eigentum andrer
Forscher nicht genügend als solches kenntlich gemacht, also nicht gehörig re¬
spektier worden ist. Zwar kenne ich aus eigner Erfahrung die große Gefahr,
der man sich aussetzt, wenn man seine litterarischen Veröffentlichungen un¬
mittelbar aus den Vorlesungen hervorgehen läßt. Man kann sich in der That
diese oder jene charakteristische Fassung einer künstlerischen Auffassungsweise,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223073"/>
          <fw type="header" place="top"> Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_419"> Da ist es denn begreiflich, daß ein Angriff auf die Person des Verfassers<lb/>
in Kreisen, die sich sonst um &#x201E;Gelehrtenstreit" wenig kümmern, das lebhafteste<lb/>
Interesse erweckt, und es ist berechtigt, auch außerhalb der Fachlitteratur zu<lb/>
diesem Streite Stellung zu nehmen und zur Klärung der Sache beizutragen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_420"> Zwar auf den Streit zwischen Volbehr und Mulder möchte ich nicht<lb/>
näher eingehen, sondern nur kurz darüber berichten. Volbehr hat in einer<lb/>
Broschüre: &#x201E;Ein Originalaufsatz Dr. Richard Muthers, Professors an der Uni¬<lb/>
versität Breslau," nachzuweisen gesucht, daß ihn Mulder in unlauterer Weise<lb/>
benutzt habe, daß Mulder mit Volbehrs Gedanken und Worten in einer Weise<lb/>
gearbeitet habe, daß der Leser nicht zur Klarheit darüber habe kommen können,<lb/>
ob er es mit Mutherschen oder mit Volbehrschen Ausführungen zu thun habe,<lb/>
ja daß er eher habe annehmen müssen, es handle sich in dem Aufsatze &#x201E;Goethe<lb/>
und die Kunst" um Muthersche und nicht um Volbehrsche Gedanken. Die<lb/>
Philosophische Fakultät der Universität Breslau hat sich daraufhin entschlossen<lb/>
&#x2014; was selten geschieht! &#x2014;, gegen ihr eignes Mitglied eine Mißbilligung aus-<lb/>
zusprechen. Auch andre Gelehrte sind für Volbehr eingetreten. Mulder hat<lb/>
sich dann in einer Broschüre: &#x201E;Die Mutherhetze, ein Beitrag zur Psychologie<lb/>
des Neides und der Verleumdung," zu rechtfertigen gesucht. Darauf hat man<lb/>
ihm aber nachgewiesen, daß er auch in seiner &#x201E;Geschichte der Malerei" andre<lb/>
Forscher benutzt hat, ohne die Quellen so anzugeben, daß der Leser merken<lb/>
kann, daß er es nicht mit Mnthers eignen Leistungen zu thun habe. Erst<lb/>
kürzlich ist in einem Aufsatze der Deutschen Wochenschrift: &#x201E;Ein Virtuose des<lb/>
Plagiats" der Beweis geliefert worden, daß Mulder in dem angeführten<lb/>
Werke Hermann Grimm und den Heidelberger Karl Neumann wörtlich aus¬<lb/>
geschrieben hat. Es würde nicht schwer halten, noch mehr Material bei¬<lb/>
zubringen, zu zeigen, wie er z.B. aus Dohmes &#x201E;Kunst und Künstler" und<lb/>
aus Katalogen geschöpft hat. Aber was hätte das für Wert? Für den Laien<lb/>
genügen die angegebnen Fülle, und der Fachmann weiß die Stellen, wo Mulder<lb/>
mit den Worten andrer redet, selber zu finden. Überdies hat ja Mulder dieses<lb/>
Bauen mit Steinen, die er nicht selbst beHauen hat, schon unumwunden zu¬<lb/>
gegeben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_421" next="#ID_422"> Es handelt sich jetzt also in diesem Streite nur noch darum, ob diese<lb/>
Art der Benutzung fremder Erzeugnisse statthaft und harmlos ist, wie Mulder<lb/>
in seiner Broschüre behauptet, oder unzulässig und unlauter, wie Volbehr und<lb/>
andre meinen. Für mich besteht kein Zweifel darüber, daß Muthers Ent¬<lb/>
schuldigung nicht stichhaltig ist, daß von ihm das geistige Eigentum andrer<lb/>
Forscher nicht genügend als solches kenntlich gemacht, also nicht gehörig re¬<lb/>
spektier worden ist. Zwar kenne ich aus eigner Erfahrung die große Gefahr,<lb/>
der man sich aussetzt, wenn man seine litterarischen Veröffentlichungen un¬<lb/>
mittelbar aus den Vorlesungen hervorgehen läßt. Man kann sich in der That<lb/>
diese oder jene charakteristische Fassung einer künstlerischen Auffassungsweise,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0131] Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft Da ist es denn begreiflich, daß ein Angriff auf die Person des Verfassers in Kreisen, die sich sonst um „Gelehrtenstreit" wenig kümmern, das lebhafteste Interesse erweckt, und es ist berechtigt, auch außerhalb der Fachlitteratur zu diesem Streite Stellung zu nehmen und zur Klärung der Sache beizutragen. Zwar auf den Streit zwischen Volbehr und Mulder möchte ich nicht näher eingehen, sondern nur kurz darüber berichten. Volbehr hat in einer Broschüre: „Ein Originalaufsatz Dr. Richard Muthers, Professors an der Uni¬ versität Breslau," nachzuweisen gesucht, daß ihn Mulder in unlauterer Weise benutzt habe, daß Mulder mit Volbehrs Gedanken und Worten in einer Weise gearbeitet habe, daß der Leser nicht zur Klarheit darüber habe kommen können, ob er es mit Mutherschen oder mit Volbehrschen Ausführungen zu thun habe, ja daß er eher habe annehmen müssen, es handle sich in dem Aufsatze „Goethe und die Kunst" um Muthersche und nicht um Volbehrsche Gedanken. Die Philosophische Fakultät der Universität Breslau hat sich daraufhin entschlossen — was selten geschieht! —, gegen ihr eignes Mitglied eine Mißbilligung aus- zusprechen. Auch andre Gelehrte sind für Volbehr eingetreten. Mulder hat sich dann in einer Broschüre: „Die Mutherhetze, ein Beitrag zur Psychologie des Neides und der Verleumdung," zu rechtfertigen gesucht. Darauf hat man ihm aber nachgewiesen, daß er auch in seiner „Geschichte der Malerei" andre Forscher benutzt hat, ohne die Quellen so anzugeben, daß der Leser merken kann, daß er es nicht mit Mnthers eignen Leistungen zu thun habe. Erst kürzlich ist in einem Aufsatze der Deutschen Wochenschrift: „Ein Virtuose des Plagiats" der Beweis geliefert worden, daß Mulder in dem angeführten Werke Hermann Grimm und den Heidelberger Karl Neumann wörtlich aus¬ geschrieben hat. Es würde nicht schwer halten, noch mehr Material bei¬ zubringen, zu zeigen, wie er z.B. aus Dohmes „Kunst und Künstler" und aus Katalogen geschöpft hat. Aber was hätte das für Wert? Für den Laien genügen die angegebnen Fülle, und der Fachmann weiß die Stellen, wo Mulder mit den Worten andrer redet, selber zu finden. Überdies hat ja Mulder dieses Bauen mit Steinen, die er nicht selbst beHauen hat, schon unumwunden zu¬ gegeben. Es handelt sich jetzt also in diesem Streite nur noch darum, ob diese Art der Benutzung fremder Erzeugnisse statthaft und harmlos ist, wie Mulder in seiner Broschüre behauptet, oder unzulässig und unlauter, wie Volbehr und andre meinen. Für mich besteht kein Zweifel darüber, daß Muthers Ent¬ schuldigung nicht stichhaltig ist, daß von ihm das geistige Eigentum andrer Forscher nicht genügend als solches kenntlich gemacht, also nicht gehörig re¬ spektier worden ist. Zwar kenne ich aus eigner Erfahrung die große Gefahr, der man sich aussetzt, wenn man seine litterarischen Veröffentlichungen un¬ mittelbar aus den Vorlesungen hervorgehen läßt. Man kann sich in der That diese oder jene charakteristische Fassung einer künstlerischen Auffassungsweise,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/131
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/131>, abgerufen am 01.09.2024.