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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft

die von andern stammt, durch wiederholtes Sprechen über denselben Gegenstand
so aneignen, daß man schließlich in Zweifel darüber gerät, ob man einen
eignen oder einen fremden Ausdruck gebraucht, um so mehr, als bei dem
raschen Aneinanderreihen der Gedanken beim Sprechen leicht eine Bemerkung
(wie der und der sagt usw.), die das geistige Eigentum des andern wahren
würde, unterdrückt wird. Um so mehr erwächst dem gewissenhaften Schrift¬
steller, wenn er die Feder in die Hand nimmt, die Verpflichtung, sobald ihm
irgend ein leiser Verdacht dieser Art gegen sich selbst aufstößt, die betreffenden
Werke nachzuschlagen. Jedenfalls füllt der ganze Entschuldigungsgrund Muthers
weg, wenn es sich um ganze Stellen, um Viertelseiten handelt, die eben nur
abgeschrieben sein können.

Goethes Wort in Ehren: "Alles Geschelte ist schon gedacht worden,
man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken." Aber man muß es eben
auch noch einmal denken, und dabei wird man wohl auch zu einer eignen
Fassung kommen. Fehlt einem aber Zeit, Lust oder Befähigung, das noch
einmal Gedachte ebenso treffend oder noch schärfer, als man es vorfand, aus¬
zudrücken, so ist wirklich der Aufwand von ein paar Strichelchen ("--") so
geringfügig, daß man sie schon hinsetzen kann. Und es verrät eine bedenkliche
Geringschätzung gegen die Geistesarbeit andrer, wenn man mit vollem Bewußt¬
sein erklärt, sich über diese kleine Mühe hinwegsetzen zu dürfen.

Der Hinweis Muthers, daß ja am Ende seines Werkes die Quellen auf¬
geführt seien, genügt nicht zu seiner Entschuldigung. Denn in einem Werke,
das neben der Gelehrtenwelt so ausdrücklich auf Laienkreise berechnet ist, kaun
man nicht voraussetzen, daß der Leser die Litteratur soweit beherrsche, daß er
selber merke, ob an dieser oder jener Stelle Mulder oder ein andrer spricht. Er
wird unwillkürlich meinen, alles, was er lese, seien Muthersche Gedanken. Ein
vornehm denkender Verfasser wird es aber nicht wünschen, daß der Leser fremde
Ware für seine eigne halte, er wird ängstlich alles vermeiden, was ihn in den
Verdacht des Plagiats oder auch nur der Geringschätzung fremder Geistes¬
arbeit bringen kann.

Für mich also ist diese Sache abgethan. Hätten wir es nun mit einem
Verfasser zu thun, der keine eignen Gedanken hat, der ans Armseligkeit andre
plündert, so wäre kein Wort mehr zu verlieren. Wir hätten dann einen gewöhn¬
lichen Plagiator vor uns, der sich mit fremden Federn schmückt, und der von
dem Augenblick an, wo er entlarvt ist, nicht mehr in Betracht kommt. Das
ist aber bei Mulder nicht der Fall. Auch seine erbittertsten Gegner -- und
man wird mich vielleicht zu ihnen zählen -- werden zugeben müssen, daß der
Grundgedanke und der größte Teil des Werkes Muthers höchst eigne Leistung
ist. Armselig kann man den Verfasser der "Geschichte der Malerei im neun¬
zehnten Jahrhundert" auch nicht nennen. Denn er verfügt auch da, wo er
andre nicht benutzt, über eine lebendige Darstellungsgabe, über eine ungewöhn-


Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft

die von andern stammt, durch wiederholtes Sprechen über denselben Gegenstand
so aneignen, daß man schließlich in Zweifel darüber gerät, ob man einen
eignen oder einen fremden Ausdruck gebraucht, um so mehr, als bei dem
raschen Aneinanderreihen der Gedanken beim Sprechen leicht eine Bemerkung
(wie der und der sagt usw.), die das geistige Eigentum des andern wahren
würde, unterdrückt wird. Um so mehr erwächst dem gewissenhaften Schrift¬
steller, wenn er die Feder in die Hand nimmt, die Verpflichtung, sobald ihm
irgend ein leiser Verdacht dieser Art gegen sich selbst aufstößt, die betreffenden
Werke nachzuschlagen. Jedenfalls füllt der ganze Entschuldigungsgrund Muthers
weg, wenn es sich um ganze Stellen, um Viertelseiten handelt, die eben nur
abgeschrieben sein können.

Goethes Wort in Ehren: „Alles Geschelte ist schon gedacht worden,
man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken." Aber man muß es eben
auch noch einmal denken, und dabei wird man wohl auch zu einer eignen
Fassung kommen. Fehlt einem aber Zeit, Lust oder Befähigung, das noch
einmal Gedachte ebenso treffend oder noch schärfer, als man es vorfand, aus¬
zudrücken, so ist wirklich der Aufwand von ein paar Strichelchen („—") so
geringfügig, daß man sie schon hinsetzen kann. Und es verrät eine bedenkliche
Geringschätzung gegen die Geistesarbeit andrer, wenn man mit vollem Bewußt¬
sein erklärt, sich über diese kleine Mühe hinwegsetzen zu dürfen.

Der Hinweis Muthers, daß ja am Ende seines Werkes die Quellen auf¬
geführt seien, genügt nicht zu seiner Entschuldigung. Denn in einem Werke,
das neben der Gelehrtenwelt so ausdrücklich auf Laienkreise berechnet ist, kaun
man nicht voraussetzen, daß der Leser die Litteratur soweit beherrsche, daß er
selber merke, ob an dieser oder jener Stelle Mulder oder ein andrer spricht. Er
wird unwillkürlich meinen, alles, was er lese, seien Muthersche Gedanken. Ein
vornehm denkender Verfasser wird es aber nicht wünschen, daß der Leser fremde
Ware für seine eigne halte, er wird ängstlich alles vermeiden, was ihn in den
Verdacht des Plagiats oder auch nur der Geringschätzung fremder Geistes¬
arbeit bringen kann.

Für mich also ist diese Sache abgethan. Hätten wir es nun mit einem
Verfasser zu thun, der keine eignen Gedanken hat, der ans Armseligkeit andre
plündert, so wäre kein Wort mehr zu verlieren. Wir hätten dann einen gewöhn¬
lichen Plagiator vor uns, der sich mit fremden Federn schmückt, und der von
dem Augenblick an, wo er entlarvt ist, nicht mehr in Betracht kommt. Das
ist aber bei Mulder nicht der Fall. Auch seine erbittertsten Gegner — und
man wird mich vielleicht zu ihnen zählen — werden zugeben müssen, daß der
Grundgedanke und der größte Teil des Werkes Muthers höchst eigne Leistung
ist. Armselig kann man den Verfasser der „Geschichte der Malerei im neun¬
zehnten Jahrhundert" auch nicht nennen. Denn er verfügt auch da, wo er
andre nicht benutzt, über eine lebendige Darstellungsgabe, über eine ungewöhn-


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[0132] Richard Mulder und die deutsche Kunstwissenschaft die von andern stammt, durch wiederholtes Sprechen über denselben Gegenstand so aneignen, daß man schließlich in Zweifel darüber gerät, ob man einen eignen oder einen fremden Ausdruck gebraucht, um so mehr, als bei dem raschen Aneinanderreihen der Gedanken beim Sprechen leicht eine Bemerkung (wie der und der sagt usw.), die das geistige Eigentum des andern wahren würde, unterdrückt wird. Um so mehr erwächst dem gewissenhaften Schrift¬ steller, wenn er die Feder in die Hand nimmt, die Verpflichtung, sobald ihm irgend ein leiser Verdacht dieser Art gegen sich selbst aufstößt, die betreffenden Werke nachzuschlagen. Jedenfalls füllt der ganze Entschuldigungsgrund Muthers weg, wenn es sich um ganze Stellen, um Viertelseiten handelt, die eben nur abgeschrieben sein können. Goethes Wort in Ehren: „Alles Geschelte ist schon gedacht worden, man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken." Aber man muß es eben auch noch einmal denken, und dabei wird man wohl auch zu einer eignen Fassung kommen. Fehlt einem aber Zeit, Lust oder Befähigung, das noch einmal Gedachte ebenso treffend oder noch schärfer, als man es vorfand, aus¬ zudrücken, so ist wirklich der Aufwand von ein paar Strichelchen („—") so geringfügig, daß man sie schon hinsetzen kann. Und es verrät eine bedenkliche Geringschätzung gegen die Geistesarbeit andrer, wenn man mit vollem Bewußt¬ sein erklärt, sich über diese kleine Mühe hinwegsetzen zu dürfen. Der Hinweis Muthers, daß ja am Ende seines Werkes die Quellen auf¬ geführt seien, genügt nicht zu seiner Entschuldigung. Denn in einem Werke, das neben der Gelehrtenwelt so ausdrücklich auf Laienkreise berechnet ist, kaun man nicht voraussetzen, daß der Leser die Litteratur soweit beherrsche, daß er selber merke, ob an dieser oder jener Stelle Mulder oder ein andrer spricht. Er wird unwillkürlich meinen, alles, was er lese, seien Muthersche Gedanken. Ein vornehm denkender Verfasser wird es aber nicht wünschen, daß der Leser fremde Ware für seine eigne halte, er wird ängstlich alles vermeiden, was ihn in den Verdacht des Plagiats oder auch nur der Geringschätzung fremder Geistes¬ arbeit bringen kann. Für mich also ist diese Sache abgethan. Hätten wir es nun mit einem Verfasser zu thun, der keine eignen Gedanken hat, der ans Armseligkeit andre plündert, so wäre kein Wort mehr zu verlieren. Wir hätten dann einen gewöhn¬ lichen Plagiator vor uns, der sich mit fremden Federn schmückt, und der von dem Augenblick an, wo er entlarvt ist, nicht mehr in Betracht kommt. Das ist aber bei Mulder nicht der Fall. Auch seine erbittertsten Gegner — und man wird mich vielleicht zu ihnen zählen — werden zugeben müssen, daß der Grundgedanke und der größte Teil des Werkes Muthers höchst eigne Leistung ist. Armselig kann man den Verfasser der „Geschichte der Malerei im neun¬ zehnten Jahrhundert" auch nicht nennen. Denn er verfügt auch da, wo er andre nicht benutzt, über eine lebendige Darstellungsgabe, über eine ungewöhn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/132>, abgerufen am 01.09.2024.