Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Schulprogramme

Gebieten, achtunggebietenden Leistungen, die bisweilen hohen wissenschaftlichen
Wert haben und verdienten, an andrer Stelle zugänglicher gemacht zu werden.
Aber sie bleiben doch Ausnahmen und bestätigen nur die Regel, daß der Ertrag
nicht der aufgewandten Mühe und den aufgewandten Kosten entspricht. Soll
man aber wirklich, um diese verhältnismäßig wenigen guten Früchte zu ziehen,
die Leute, die sich nicht berufen fühlen, nötigen, den Griffel in die ungewohnte
Hand zu nehmen?

Ist aber der Gewinn gering, wenn man bedenkt, daß alljährlich in Deutsch¬
land mindestens 1500 Programmabhandlungen erscheinen, so würde auch der
Schade für die Wissenschaft nicht groß sein, wenn hier starke Kürzungen ein¬
träten. Ein gänzlicher Wegfall der Programmabhandlnng würde uns nicht
als das Rechte erscheinen. Denn die "gelehrten Schulen" möchten das Lpitlleton
orimns doch nicht ganz über dem Hauptwort beiseite lassen. Aber starke Ein¬
schränkungen scheinen geboten.

Schon einmal, 1865, hat sich eine preußische Direktorenkonferenz mit
diesem Gegenstande befaßt. Der Wortführer, der feinsinnige August Lehnerdt
(damals in Thorn, später am Königsberger Friedrichskollegium), stand der
Programmabhandlung günstig gegenüber, erkannte aber doch schon die Schäden
und machte Vorschläge, um abzuhelfen. Später hat sich auch Ludwig Wiese
näher damit beschäftigt, und endlich hat man noch in einer in Dresden,
wenn ich nicht irre, 1872 abgehaltenen Konferenz die schon damals zu be¬
denklicher Höhe angeschwollne Programmlitteratur vermindern wollen. Seitdem
ruht aber die Frage. Es ist nichts geschehen, und die Programmlitteratur
ist in den letzten dreißig Jahren zu einem Meere angeschwollen. Sie ist das
Entsetzen jedes Bibliothekars, der alljährlich nach örtlichen oder sachlichen Ge¬
sichtspunkten die Einzelschriften unterbringen und katalogisiren muß; dabei
sind sie für den wissenschaftlich arbeitenden oft schwer zu erlangen, sie werden
leicht übersehen und geben wenig Ertrag, und drittens, sie sind sehr teuer.
Wiese rechnete 1860 für die damaligen preußischen Gymnasien 14000 Thaler,
Lehnerdt 1865 sür das gesamte Deutschland 25000 Thaler jährliche Kosten
heraus. Mau kann wohl annehmen, daß bei der heutigen Ausdehnung des
Programmwesens diese Schriften (wir meinen nur die wissenschaftlichen Bei¬
lagen) von 1860 bis 1896 den deutschen Schulverwaltungen acht bis zehn
Millionen Mark gekostet haben. Den alljährlichen Aufwand dafür kann man
sicher auf 300000 Mark berechne". Da scheint es denn doch an der Zeit,
sich einmal wieder der Frage zuzuwenden, ob man hier nicht bedeutend sparen
könnte, und ob man nicht durch starke Verminderung der wissenschaftlichen Pro¬
grammabhandlungen der Wissenschaft und zugleich der Schule einen Dienst
erweisen würde.

Das würde aber unzweifelhaft geschehen, wenn man die für den Pro¬
grammdruck ausgeworfne Summe dem Nechnungstitel des Gymnasialhaushalts


Die Schulprogramme

Gebieten, achtunggebietenden Leistungen, die bisweilen hohen wissenschaftlichen
Wert haben und verdienten, an andrer Stelle zugänglicher gemacht zu werden.
Aber sie bleiben doch Ausnahmen und bestätigen nur die Regel, daß der Ertrag
nicht der aufgewandten Mühe und den aufgewandten Kosten entspricht. Soll
man aber wirklich, um diese verhältnismäßig wenigen guten Früchte zu ziehen,
die Leute, die sich nicht berufen fühlen, nötigen, den Griffel in die ungewohnte
Hand zu nehmen?

Ist aber der Gewinn gering, wenn man bedenkt, daß alljährlich in Deutsch¬
land mindestens 1500 Programmabhandlungen erscheinen, so würde auch der
Schade für die Wissenschaft nicht groß sein, wenn hier starke Kürzungen ein¬
träten. Ein gänzlicher Wegfall der Programmabhandlnng würde uns nicht
als das Rechte erscheinen. Denn die „gelehrten Schulen" möchten das Lpitlleton
orimns doch nicht ganz über dem Hauptwort beiseite lassen. Aber starke Ein¬
schränkungen scheinen geboten.

Schon einmal, 1865, hat sich eine preußische Direktorenkonferenz mit
diesem Gegenstande befaßt. Der Wortführer, der feinsinnige August Lehnerdt
(damals in Thorn, später am Königsberger Friedrichskollegium), stand der
Programmabhandlung günstig gegenüber, erkannte aber doch schon die Schäden
und machte Vorschläge, um abzuhelfen. Später hat sich auch Ludwig Wiese
näher damit beschäftigt, und endlich hat man noch in einer in Dresden,
wenn ich nicht irre, 1872 abgehaltenen Konferenz die schon damals zu be¬
denklicher Höhe angeschwollne Programmlitteratur vermindern wollen. Seitdem
ruht aber die Frage. Es ist nichts geschehen, und die Programmlitteratur
ist in den letzten dreißig Jahren zu einem Meere angeschwollen. Sie ist das
Entsetzen jedes Bibliothekars, der alljährlich nach örtlichen oder sachlichen Ge¬
sichtspunkten die Einzelschriften unterbringen und katalogisiren muß; dabei
sind sie für den wissenschaftlich arbeitenden oft schwer zu erlangen, sie werden
leicht übersehen und geben wenig Ertrag, und drittens, sie sind sehr teuer.
Wiese rechnete 1860 für die damaligen preußischen Gymnasien 14000 Thaler,
Lehnerdt 1865 sür das gesamte Deutschland 25000 Thaler jährliche Kosten
heraus. Mau kann wohl annehmen, daß bei der heutigen Ausdehnung des
Programmwesens diese Schriften (wir meinen nur die wissenschaftlichen Bei¬
lagen) von 1860 bis 1896 den deutschen Schulverwaltungen acht bis zehn
Millionen Mark gekostet haben. Den alljährlichen Aufwand dafür kann man
sicher auf 300000 Mark berechne». Da scheint es denn doch an der Zeit,
sich einmal wieder der Frage zuzuwenden, ob man hier nicht bedeutend sparen
könnte, und ob man nicht durch starke Verminderung der wissenschaftlichen Pro¬
grammabhandlungen der Wissenschaft und zugleich der Schule einen Dienst
erweisen würde.

Das würde aber unzweifelhaft geschehen, wenn man die für den Pro¬
grammdruck ausgeworfne Summe dem Nechnungstitel des Gymnasialhaushalts


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0127" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223069"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Schulprogramme</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_409" prev="#ID_408"> Gebieten, achtunggebietenden Leistungen, die bisweilen hohen wissenschaftlichen<lb/>
Wert haben und verdienten, an andrer Stelle zugänglicher gemacht zu werden.<lb/>
Aber sie bleiben doch Ausnahmen und bestätigen nur die Regel, daß der Ertrag<lb/>
nicht der aufgewandten Mühe und den aufgewandten Kosten entspricht. Soll<lb/>
man aber wirklich, um diese verhältnismäßig wenigen guten Früchte zu ziehen,<lb/>
die Leute, die sich nicht berufen fühlen, nötigen, den Griffel in die ungewohnte<lb/>
Hand zu nehmen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_410"> Ist aber der Gewinn gering, wenn man bedenkt, daß alljährlich in Deutsch¬<lb/>
land mindestens 1500 Programmabhandlungen erscheinen, so würde auch der<lb/>
Schade für die Wissenschaft nicht groß sein, wenn hier starke Kürzungen ein¬<lb/>
träten. Ein gänzlicher Wegfall der Programmabhandlnng würde uns nicht<lb/>
als das Rechte erscheinen. Denn die &#x201E;gelehrten Schulen" möchten das Lpitlleton<lb/>
orimns doch nicht ganz über dem Hauptwort beiseite lassen. Aber starke Ein¬<lb/>
schränkungen scheinen geboten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_411"> Schon einmal, 1865, hat sich eine preußische Direktorenkonferenz mit<lb/>
diesem Gegenstande befaßt. Der Wortführer, der feinsinnige August Lehnerdt<lb/>
(damals in Thorn, später am Königsberger Friedrichskollegium), stand der<lb/>
Programmabhandlung günstig gegenüber, erkannte aber doch schon die Schäden<lb/>
und machte Vorschläge, um abzuhelfen. Später hat sich auch Ludwig Wiese<lb/>
näher damit beschäftigt, und endlich hat man noch in einer in Dresden,<lb/>
wenn ich nicht irre, 1872 abgehaltenen Konferenz die schon damals zu be¬<lb/>
denklicher Höhe angeschwollne Programmlitteratur vermindern wollen. Seitdem<lb/>
ruht aber die Frage. Es ist nichts geschehen, und die Programmlitteratur<lb/>
ist in den letzten dreißig Jahren zu einem Meere angeschwollen. Sie ist das<lb/>
Entsetzen jedes Bibliothekars, der alljährlich nach örtlichen oder sachlichen Ge¬<lb/>
sichtspunkten die Einzelschriften unterbringen und katalogisiren muß; dabei<lb/>
sind sie für den wissenschaftlich arbeitenden oft schwer zu erlangen, sie werden<lb/>
leicht übersehen und geben wenig Ertrag, und drittens, sie sind sehr teuer.<lb/>
Wiese rechnete 1860 für die damaligen preußischen Gymnasien 14000 Thaler,<lb/>
Lehnerdt 1865 sür das gesamte Deutschland 25000 Thaler jährliche Kosten<lb/>
heraus. Mau kann wohl annehmen, daß bei der heutigen Ausdehnung des<lb/>
Programmwesens diese Schriften (wir meinen nur die wissenschaftlichen Bei¬<lb/>
lagen) von 1860 bis 1896 den deutschen Schulverwaltungen acht bis zehn<lb/>
Millionen Mark gekostet haben. Den alljährlichen Aufwand dafür kann man<lb/>
sicher auf 300000 Mark berechne». Da scheint es denn doch an der Zeit,<lb/>
sich einmal wieder der Frage zuzuwenden, ob man hier nicht bedeutend sparen<lb/>
könnte, und ob man nicht durch starke Verminderung der wissenschaftlichen Pro¬<lb/>
grammabhandlungen der Wissenschaft und zugleich der Schule einen Dienst<lb/>
erweisen würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_412" next="#ID_413"> Das würde aber unzweifelhaft geschehen, wenn man die für den Pro¬<lb/>
grammdruck ausgeworfne Summe dem Nechnungstitel des Gymnasialhaushalts</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0127] Die Schulprogramme Gebieten, achtunggebietenden Leistungen, die bisweilen hohen wissenschaftlichen Wert haben und verdienten, an andrer Stelle zugänglicher gemacht zu werden. Aber sie bleiben doch Ausnahmen und bestätigen nur die Regel, daß der Ertrag nicht der aufgewandten Mühe und den aufgewandten Kosten entspricht. Soll man aber wirklich, um diese verhältnismäßig wenigen guten Früchte zu ziehen, die Leute, die sich nicht berufen fühlen, nötigen, den Griffel in die ungewohnte Hand zu nehmen? Ist aber der Gewinn gering, wenn man bedenkt, daß alljährlich in Deutsch¬ land mindestens 1500 Programmabhandlungen erscheinen, so würde auch der Schade für die Wissenschaft nicht groß sein, wenn hier starke Kürzungen ein¬ träten. Ein gänzlicher Wegfall der Programmabhandlnng würde uns nicht als das Rechte erscheinen. Denn die „gelehrten Schulen" möchten das Lpitlleton orimns doch nicht ganz über dem Hauptwort beiseite lassen. Aber starke Ein¬ schränkungen scheinen geboten. Schon einmal, 1865, hat sich eine preußische Direktorenkonferenz mit diesem Gegenstande befaßt. Der Wortführer, der feinsinnige August Lehnerdt (damals in Thorn, später am Königsberger Friedrichskollegium), stand der Programmabhandlung günstig gegenüber, erkannte aber doch schon die Schäden und machte Vorschläge, um abzuhelfen. Später hat sich auch Ludwig Wiese näher damit beschäftigt, und endlich hat man noch in einer in Dresden, wenn ich nicht irre, 1872 abgehaltenen Konferenz die schon damals zu be¬ denklicher Höhe angeschwollne Programmlitteratur vermindern wollen. Seitdem ruht aber die Frage. Es ist nichts geschehen, und die Programmlitteratur ist in den letzten dreißig Jahren zu einem Meere angeschwollen. Sie ist das Entsetzen jedes Bibliothekars, der alljährlich nach örtlichen oder sachlichen Ge¬ sichtspunkten die Einzelschriften unterbringen und katalogisiren muß; dabei sind sie für den wissenschaftlich arbeitenden oft schwer zu erlangen, sie werden leicht übersehen und geben wenig Ertrag, und drittens, sie sind sehr teuer. Wiese rechnete 1860 für die damaligen preußischen Gymnasien 14000 Thaler, Lehnerdt 1865 sür das gesamte Deutschland 25000 Thaler jährliche Kosten heraus. Mau kann wohl annehmen, daß bei der heutigen Ausdehnung des Programmwesens diese Schriften (wir meinen nur die wissenschaftlichen Bei¬ lagen) von 1860 bis 1896 den deutschen Schulverwaltungen acht bis zehn Millionen Mark gekostet haben. Den alljährlichen Aufwand dafür kann man sicher auf 300000 Mark berechne». Da scheint es denn doch an der Zeit, sich einmal wieder der Frage zuzuwenden, ob man hier nicht bedeutend sparen könnte, und ob man nicht durch starke Verminderung der wissenschaftlichen Pro¬ grammabhandlungen der Wissenschaft und zugleich der Schule einen Dienst erweisen würde. Das würde aber unzweifelhaft geschehen, wenn man die für den Pro¬ grammdruck ausgeworfne Summe dem Nechnungstitel des Gymnasialhaushalts

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/127
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/127>, abgerufen am 01.09.2024.