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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Schulprogramme

zuführen könnte, der sie am nötigsten braucht, und aus dem sie auch in ein¬
zelnen Staaten (z.B. in Sachsen) bestritten werden muß: der Schulbibliothek.
Jeder höhern Lehranstalt sind für ein Jahr zu Bibliothekzweckeu bis zu tausend
Mark bewilligt. Davon müssen bezahlt werden: die Fortsetzungen größerer
Werke, die Zeitschriften, die Prämienbücher, soweit sie nicht aus Stiftungen
stammen, der Buchbinder und alle Gelegenheitsschriften, also auch das Pro¬
gramm. Nun ist ja die Summe für Erweiterung der Bibliotheken von den
Landesvertretungen gern und ausgiebig gesteigert worden. Aber diese Steige¬
rung hat nicht entfernt mit dem Wachsen des Bedürfnisses Schritt gehalten.
Man denke nur an die Entwicklung des Zeitschriftenwesens. Im Anfang unsers
Jahrhunderts begnügte man sich mit der einen Jenaischen Litteraturzeitung;
hente muß der Lesezirkel einer mittlern Gymnasialstadt mindestens fünf philo¬
logische Zeitschriften aufweisen, lind wie würden sich die Mathematiker, die
Germanisten, die Neusprachler, die Theologen, die Historiker, die Kunstfreunde
zurückgesetzt sühlen, wenn man ihnen nicht auch ihr publizistisch-wissenschaft¬
liches Tröpflein zumessen wollte. Was das allein kostet! 100 bis 150 Mark
jährlich sind nur für diese periodischen Schriften zu rechnen, ganz abgesehen
von dem Buchbinder, der doch auch nicht umsonst arbeitet. Die Herstellung
des Programms läßt sich bei mittlerer Ausdehnung ebenfalls auf 200 bis
250 Mark anschlagen, bisweilen (besonders bei Hinzufügung von Tafeln und
Abbildungen) kostet es viel mehr, nur selten wird der Betrag unter 200 Mark
bleiben. Die Fortsetzungen größerer Werke kosten mit den Prämienbüchern
zusammen ebenfalls 200 bis 250 Mark. So bleiben denn für Neuanschaffungen
kaum 300 Mark übrig: ganz ungenügend, den Zweck der Gymnasialbibliotheken
zu erfüllen und den Lehrerkollegien das nötige wissenschaftliche Rüstzeug zu
bieten. Die Folge dieser Beschränkung hat sich denn auch schon gezeigt. Es
ist eine bedauerliche Thatsache, daß die meisten Gymnasialbibliotheken außer¬
ordentlich lückenhaft sind, ja daß sich die Verwaltungen oft Bücher versagen
müssen, die jeder gebildete Mensch ohne weiteres darin erwarten sollte. Die
neueste Auflage der Konversationslexika wird man wohl kaum verlangen, aber
daß die letzte derartige Anschaffung fünfzig Jahre zurückliegt, kann man oft
erleben. Und wie viel Bibliotheken haben kein Geld, sich so wichtige Werke
wie z. B. Rankes Weltgeschichte zu kaufen! Gewöhnlich weisen die Bibliotheken
alter, berühmter Anstalten Schätze aus alten Zeiten auf, die man dort gar
nicht vermutet, und die ein herrliches Zeugnis für die Freigebigkeit früherer
Jahrhunderte find, wo man noch nicht alles vom Staat erwartete, wo noch
die Bürger der Städte für die Schule in ihren Mauern nicht immer bloß
Tadel, sondern auch bisweilen eine offne Hand hatten. Wer die Schätze unsrer
Tage dort suchen wollte, z.B. archäologische Tafelwerke, der würde sich ver¬
geblich umsehen: man würde ihn als "sonderbaren Schwärmer" betrachten, da
ja den Wissenden wohl bekannt ist, daß ost das allernötigste Werkzeug sehlt.


Die Schulprogramme

zuführen könnte, der sie am nötigsten braucht, und aus dem sie auch in ein¬
zelnen Staaten (z.B. in Sachsen) bestritten werden muß: der Schulbibliothek.
Jeder höhern Lehranstalt sind für ein Jahr zu Bibliothekzweckeu bis zu tausend
Mark bewilligt. Davon müssen bezahlt werden: die Fortsetzungen größerer
Werke, die Zeitschriften, die Prämienbücher, soweit sie nicht aus Stiftungen
stammen, der Buchbinder und alle Gelegenheitsschriften, also auch das Pro¬
gramm. Nun ist ja die Summe für Erweiterung der Bibliotheken von den
Landesvertretungen gern und ausgiebig gesteigert worden. Aber diese Steige¬
rung hat nicht entfernt mit dem Wachsen des Bedürfnisses Schritt gehalten.
Man denke nur an die Entwicklung des Zeitschriftenwesens. Im Anfang unsers
Jahrhunderts begnügte man sich mit der einen Jenaischen Litteraturzeitung;
hente muß der Lesezirkel einer mittlern Gymnasialstadt mindestens fünf philo¬
logische Zeitschriften aufweisen, lind wie würden sich die Mathematiker, die
Germanisten, die Neusprachler, die Theologen, die Historiker, die Kunstfreunde
zurückgesetzt sühlen, wenn man ihnen nicht auch ihr publizistisch-wissenschaft¬
liches Tröpflein zumessen wollte. Was das allein kostet! 100 bis 150 Mark
jährlich sind nur für diese periodischen Schriften zu rechnen, ganz abgesehen
von dem Buchbinder, der doch auch nicht umsonst arbeitet. Die Herstellung
des Programms läßt sich bei mittlerer Ausdehnung ebenfalls auf 200 bis
250 Mark anschlagen, bisweilen (besonders bei Hinzufügung von Tafeln und
Abbildungen) kostet es viel mehr, nur selten wird der Betrag unter 200 Mark
bleiben. Die Fortsetzungen größerer Werke kosten mit den Prämienbüchern
zusammen ebenfalls 200 bis 250 Mark. So bleiben denn für Neuanschaffungen
kaum 300 Mark übrig: ganz ungenügend, den Zweck der Gymnasialbibliotheken
zu erfüllen und den Lehrerkollegien das nötige wissenschaftliche Rüstzeug zu
bieten. Die Folge dieser Beschränkung hat sich denn auch schon gezeigt. Es
ist eine bedauerliche Thatsache, daß die meisten Gymnasialbibliotheken außer¬
ordentlich lückenhaft sind, ja daß sich die Verwaltungen oft Bücher versagen
müssen, die jeder gebildete Mensch ohne weiteres darin erwarten sollte. Die
neueste Auflage der Konversationslexika wird man wohl kaum verlangen, aber
daß die letzte derartige Anschaffung fünfzig Jahre zurückliegt, kann man oft
erleben. Und wie viel Bibliotheken haben kein Geld, sich so wichtige Werke
wie z. B. Rankes Weltgeschichte zu kaufen! Gewöhnlich weisen die Bibliotheken
alter, berühmter Anstalten Schätze aus alten Zeiten auf, die man dort gar
nicht vermutet, und die ein herrliches Zeugnis für die Freigebigkeit früherer
Jahrhunderte find, wo man noch nicht alles vom Staat erwartete, wo noch
die Bürger der Städte für die Schule in ihren Mauern nicht immer bloß
Tadel, sondern auch bisweilen eine offne Hand hatten. Wer die Schätze unsrer
Tage dort suchen wollte, z.B. archäologische Tafelwerke, der würde sich ver¬
geblich umsehen: man würde ihn als „sonderbaren Schwärmer" betrachten, da
ja den Wissenden wohl bekannt ist, daß ost das allernötigste Werkzeug sehlt.


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[0128] Die Schulprogramme zuführen könnte, der sie am nötigsten braucht, und aus dem sie auch in ein¬ zelnen Staaten (z.B. in Sachsen) bestritten werden muß: der Schulbibliothek. Jeder höhern Lehranstalt sind für ein Jahr zu Bibliothekzweckeu bis zu tausend Mark bewilligt. Davon müssen bezahlt werden: die Fortsetzungen größerer Werke, die Zeitschriften, die Prämienbücher, soweit sie nicht aus Stiftungen stammen, der Buchbinder und alle Gelegenheitsschriften, also auch das Pro¬ gramm. Nun ist ja die Summe für Erweiterung der Bibliotheken von den Landesvertretungen gern und ausgiebig gesteigert worden. Aber diese Steige¬ rung hat nicht entfernt mit dem Wachsen des Bedürfnisses Schritt gehalten. Man denke nur an die Entwicklung des Zeitschriftenwesens. Im Anfang unsers Jahrhunderts begnügte man sich mit der einen Jenaischen Litteraturzeitung; hente muß der Lesezirkel einer mittlern Gymnasialstadt mindestens fünf philo¬ logische Zeitschriften aufweisen, lind wie würden sich die Mathematiker, die Germanisten, die Neusprachler, die Theologen, die Historiker, die Kunstfreunde zurückgesetzt sühlen, wenn man ihnen nicht auch ihr publizistisch-wissenschaft¬ liches Tröpflein zumessen wollte. Was das allein kostet! 100 bis 150 Mark jährlich sind nur für diese periodischen Schriften zu rechnen, ganz abgesehen von dem Buchbinder, der doch auch nicht umsonst arbeitet. Die Herstellung des Programms läßt sich bei mittlerer Ausdehnung ebenfalls auf 200 bis 250 Mark anschlagen, bisweilen (besonders bei Hinzufügung von Tafeln und Abbildungen) kostet es viel mehr, nur selten wird der Betrag unter 200 Mark bleiben. Die Fortsetzungen größerer Werke kosten mit den Prämienbüchern zusammen ebenfalls 200 bis 250 Mark. So bleiben denn für Neuanschaffungen kaum 300 Mark übrig: ganz ungenügend, den Zweck der Gymnasialbibliotheken zu erfüllen und den Lehrerkollegien das nötige wissenschaftliche Rüstzeug zu bieten. Die Folge dieser Beschränkung hat sich denn auch schon gezeigt. Es ist eine bedauerliche Thatsache, daß die meisten Gymnasialbibliotheken außer¬ ordentlich lückenhaft sind, ja daß sich die Verwaltungen oft Bücher versagen müssen, die jeder gebildete Mensch ohne weiteres darin erwarten sollte. Die neueste Auflage der Konversationslexika wird man wohl kaum verlangen, aber daß die letzte derartige Anschaffung fünfzig Jahre zurückliegt, kann man oft erleben. Und wie viel Bibliotheken haben kein Geld, sich so wichtige Werke wie z. B. Rankes Weltgeschichte zu kaufen! Gewöhnlich weisen die Bibliotheken alter, berühmter Anstalten Schätze aus alten Zeiten auf, die man dort gar nicht vermutet, und die ein herrliches Zeugnis für die Freigebigkeit früherer Jahrhunderte find, wo man noch nicht alles vom Staat erwartete, wo noch die Bürger der Städte für die Schule in ihren Mauern nicht immer bloß Tadel, sondern auch bisweilen eine offne Hand hatten. Wer die Schätze unsrer Tage dort suchen wollte, z.B. archäologische Tafelwerke, der würde sich ver¬ geblich umsehen: man würde ihn als „sonderbaren Schwärmer" betrachten, da ja den Wissenden wohl bekannt ist, daß ost das allernötigste Werkzeug sehlt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/128>, abgerufen am 01.09.2024.