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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Lin Kampf gegen Windmühlen

ästhetischen und wissenschaftlichen (jedes vornehme Haus sollte u. a. eine große
Bibliothek haben) sowie den Luxus gemeinnütziger Spenden und großartiger
Wohlthätigkeit.

Da wir uns einmal mit Herrn Vorster eingelassen haben, wollen wir
doch auch erwähnen, daß schon seine vor zwei Jahren erschienene Schrift eine
Veranlassung für uns enthielt, mit ihm anzubinden, von der wir damals keinen
Gebrauch gemacht haben. Aus dem im Grenzbotenverlag erschienenen Buche
"Weder Kapitalismus noch Kommunismus," das er nicht gelesen hat, zitirt
er nach einer von einem andern dagegen gerichteten Polemik die Behauptung,
daß die Anhäufung großer Reichtümer Massenelend zur Voraussetzung habe.
Wir können hier nicht nochmals auseinandersetzen, wie das gemeint ist; will
es Herr Vorster wissen, so mag er in dem genannten Buche den Abschnitt
von Seite 190 bis 204 lesen. Aber damit er jedenfalls erfährt, daß darin
kein Vorwurf gegen die Großindustrie liegt, wenigstens nicht gegen die Zweige,
die er vorzugsweise vertritt, wollen wir folgende Stelle von Seite 214 her¬
setzen: "Man muß unterscheiden zwischen Unternehmungen, die einen wirklichen
Kulturwert haben, und solchen, die keinen oder nur einen scheinbaren haben.
Unter den ersten nehmen Maschinenbauanstalten, Eisenbahnen, Schiffbau und
Elektrotechnik den obersten Rang ein. Bei allen diesen Industriezweigen walten
nun zwei merkwürdige Umstände ob: erstens der schon erwogne, daß sie trotz
aller Kapitalkouzentration dennoch Arbeiterelcnd weder zur Voraussetzung
haben noch erzeugen; zweitens: daß sie wegen ihrer einleuchtenden Nützlichkeit,
die auf einer gewissen Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung zur Notwendiges
wird, von der Gesamtheit betrieben werden würden, auch wenn kein Privat¬
kapitalist vorhanden wäre, der sich an ein solches Unternehmen wagen könnte."

Herr Vorster richtet seine Belehrungen an solche, "die durch ihre Lebens¬
stellung selten Einblick in gewerbliche Verhältnisse haben," und zu denen er
wahrscheinlich die Theoretiker der Nationalökonomie rechnet; den Männern der
Praxis, meint er, vermöge er nicht viel neues zu bieten. Wir müssen leider
bekennen, daß er auch uns nichts neues geboten, hat; es steht nichts in seinen
Broschüren, was man nicht schon hundertmal in den Büchern der "Theoretiker"
gelesen hätte, und was die angeführten Thatsachen und Zahlen betrifft, so
bekommt man dergleichen Angaben weit reichlicher nicht bloß in wissenschaft¬
lichen Werken, sondern auch in den Rechenschaftsberichten der Aktiengesellschaften
in den großen Zeitungen geliefert. Und in einem sehr wichtigen Puukt ist
Herr Vorster wohl sehr wenig Praktiker. Hat er in seinem Leben schon einmal
probirt, mit 1200 Mark Jahreseinnahme auszukommen? Wir kennen Leute,
die das jahrelang probirt haben, so genau, als ob wir in ihrer Haut steckten,
und das ist sehr wichtig für die Beurteilung der Lage und der Stimmung der
arbeitenden Klassen, die beide wiederum für den Sozialpolitiker sehr wichtig sind.




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ästhetischen und wissenschaftlichen (jedes vornehme Haus sollte u. a. eine große
Bibliothek haben) sowie den Luxus gemeinnütziger Spenden und großartiger
Wohlthätigkeit.

Da wir uns einmal mit Herrn Vorster eingelassen haben, wollen wir
doch auch erwähnen, daß schon seine vor zwei Jahren erschienene Schrift eine
Veranlassung für uns enthielt, mit ihm anzubinden, von der wir damals keinen
Gebrauch gemacht haben. Aus dem im Grenzbotenverlag erschienenen Buche
„Weder Kapitalismus noch Kommunismus," das er nicht gelesen hat, zitirt
er nach einer von einem andern dagegen gerichteten Polemik die Behauptung,
daß die Anhäufung großer Reichtümer Massenelend zur Voraussetzung habe.
Wir können hier nicht nochmals auseinandersetzen, wie das gemeint ist; will
es Herr Vorster wissen, so mag er in dem genannten Buche den Abschnitt
von Seite 190 bis 204 lesen. Aber damit er jedenfalls erfährt, daß darin
kein Vorwurf gegen die Großindustrie liegt, wenigstens nicht gegen die Zweige,
die er vorzugsweise vertritt, wollen wir folgende Stelle von Seite 214 her¬
setzen: „Man muß unterscheiden zwischen Unternehmungen, die einen wirklichen
Kulturwert haben, und solchen, die keinen oder nur einen scheinbaren haben.
Unter den ersten nehmen Maschinenbauanstalten, Eisenbahnen, Schiffbau und
Elektrotechnik den obersten Rang ein. Bei allen diesen Industriezweigen walten
nun zwei merkwürdige Umstände ob: erstens der schon erwogne, daß sie trotz
aller Kapitalkouzentration dennoch Arbeiterelcnd weder zur Voraussetzung
haben noch erzeugen; zweitens: daß sie wegen ihrer einleuchtenden Nützlichkeit,
die auf einer gewissen Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung zur Notwendiges
wird, von der Gesamtheit betrieben werden würden, auch wenn kein Privat¬
kapitalist vorhanden wäre, der sich an ein solches Unternehmen wagen könnte."

Herr Vorster richtet seine Belehrungen an solche, „die durch ihre Lebens¬
stellung selten Einblick in gewerbliche Verhältnisse haben," und zu denen er
wahrscheinlich die Theoretiker der Nationalökonomie rechnet; den Männern der
Praxis, meint er, vermöge er nicht viel neues zu bieten. Wir müssen leider
bekennen, daß er auch uns nichts neues geboten, hat; es steht nichts in seinen
Broschüren, was man nicht schon hundertmal in den Büchern der „Theoretiker"
gelesen hätte, und was die angeführten Thatsachen und Zahlen betrifft, so
bekommt man dergleichen Angaben weit reichlicher nicht bloß in wissenschaft¬
lichen Werken, sondern auch in den Rechenschaftsberichten der Aktiengesellschaften
in den großen Zeitungen geliefert. Und in einem sehr wichtigen Puukt ist
Herr Vorster wohl sehr wenig Praktiker. Hat er in seinem Leben schon einmal
probirt, mit 1200 Mark Jahreseinnahme auszukommen? Wir kennen Leute,
die das jahrelang probirt haben, so genau, als ob wir in ihrer Haut steckten,
und das ist sehr wichtig für die Beurteilung der Lage und der Stimmung der
arbeitenden Klassen, die beide wiederum für den Sozialpolitiker sehr wichtig sind.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/116>, abgerufen am 06.10.2024.