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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Lin Kampf gegen Windmühlen

besitzlosen Lohnarbeiter gedrängt wird. Wir glauben mit Schulze-Gävernitz,
daß in dem Kampfe der Großindustrie gegen die Agrarier, dessen Unvermeid¬
lichkeit ja wohl jetzt die nationalliberalen Herren in allen deutschen Gauen
endlich einzusehen anfangen, die Fabrikanten gezwungen sein werden, ihre Ar¬
beiter, also die Sozialdemokraten, als ihre natürlichen Bundesgenossen anzu¬
erkennen, aber diese erzwungne Bundesgenossenschaft wird bei uns so wenig
wie in England, wo sie wiederholt eine große Rolle gespielt hat, die Versöh¬
nung der Gemüter und den sozialen Frieden bedeuten. Dieser ist unsrer Über¬
zeugung nach dort nicht möglich, wo der größte Teil des Volks aus Lohn¬
arbeitern besteht. Daß wir ein der Volkszunahme entsprechendes Wachstum
jenes Mittelstandes, der allein den sozialen Frieden wahren kann, nicht von
der Zünftlerei und uicht vom Agrariertum und nicht von der Paragraphen¬
quacksalberei erwarten, sondern nur von einem für die Versorgung unsers Nach¬
wuchses hinreichenden Landerwerb, ist bekannt.

Vorster ist natürlich auch darum mit den Theoretikern unzufrieden, weil
sie das Streben der Arbeiter nach Lohnerhöhung aufmuntern. Aber es bleibt
doch nun einmal unbestreitbar, daß es der Konsument, und der Konsument
allein ist, der die Produktion im Gange erhält. Versagt der Massenkonsum,
so ist das in die Produktion gesteckte Kapital ins Wasser geworfen. Ehe¬
mals galt der Spruch: hat der Bauer Geld, so hats die ganze Welt, was
weiter nichts bedeutete, als daß der Bauer der Hauptabnehmer der Gewerbe¬
erzeugnisse war; heute ist die Zahl der Lohnarbeiter viel größer als die der
Bauern, daher ist ihre Konsumfähigkeit, das heißt ihr Einkommen, für die
Produktion wichtiger. Das mag man als ein Unglück ansehen, aber außer
dem von uns vorgeschlagnen Mittel giebt es keins, dieses Verhältnis zu ändern.
Vorster verkennt nun zwar nicht den Zusammenhang zwischen Produktion und
Konsum, verweist uns aber auf die ausländische Kundschaft. Darauf haben
wir schon oft geantwortet, daß diese Auskunft sür England gut war in der
Zeit, als es der ^vorlvsllox ok elle porta war, daß es aber damit nichts mehr
lst in einer Zeit, wo sich alle Völker auf die Maschinenindustrie verlegen.
Vorster glaubt den Leiden der Arbeiter dadurch abhelfen zu können, daß er
sie zur Müßigkeit und Wirtschaftlichkeit bekehrt. Sehr schön und moralisch;
nur werden mit seiner Predigt die Schnapsbrenner und die Bierbrauer, die
sieh zu den aller"nationalsten" Produzenten rechnen, sehr schlecht zufrieden
sein. Was uns betrifft, so haben wir uns über die Reform der Geselligkeit
und des Luxus oft genug ausgesprochen und die Bedingungen angegeben,
ohne deren Erfüllung alle Predigten in den Wind gesprochen sind. Den Luxus
der Reichen braucht Vorster gegen uns nicht in Schutz zu nehmen; wir finden
im. Gegenteil eine große Gescchr darin, daß die heutigen Sitten den Luxus
ungebührlich beschränken und zur Kapitalisirung der dadurch entstehenden Über¬
schüsse, zwingen. Natürlich verstehen wir unter Luxus vorzugsweise den


Lin Kampf gegen Windmühlen

besitzlosen Lohnarbeiter gedrängt wird. Wir glauben mit Schulze-Gävernitz,
daß in dem Kampfe der Großindustrie gegen die Agrarier, dessen Unvermeid¬
lichkeit ja wohl jetzt die nationalliberalen Herren in allen deutschen Gauen
endlich einzusehen anfangen, die Fabrikanten gezwungen sein werden, ihre Ar¬
beiter, also die Sozialdemokraten, als ihre natürlichen Bundesgenossen anzu¬
erkennen, aber diese erzwungne Bundesgenossenschaft wird bei uns so wenig
wie in England, wo sie wiederholt eine große Rolle gespielt hat, die Versöh¬
nung der Gemüter und den sozialen Frieden bedeuten. Dieser ist unsrer Über¬
zeugung nach dort nicht möglich, wo der größte Teil des Volks aus Lohn¬
arbeitern besteht. Daß wir ein der Volkszunahme entsprechendes Wachstum
jenes Mittelstandes, der allein den sozialen Frieden wahren kann, nicht von
der Zünftlerei und uicht vom Agrariertum und nicht von der Paragraphen¬
quacksalberei erwarten, sondern nur von einem für die Versorgung unsers Nach¬
wuchses hinreichenden Landerwerb, ist bekannt.

Vorster ist natürlich auch darum mit den Theoretikern unzufrieden, weil
sie das Streben der Arbeiter nach Lohnerhöhung aufmuntern. Aber es bleibt
doch nun einmal unbestreitbar, daß es der Konsument, und der Konsument
allein ist, der die Produktion im Gange erhält. Versagt der Massenkonsum,
so ist das in die Produktion gesteckte Kapital ins Wasser geworfen. Ehe¬
mals galt der Spruch: hat der Bauer Geld, so hats die ganze Welt, was
weiter nichts bedeutete, als daß der Bauer der Hauptabnehmer der Gewerbe¬
erzeugnisse war; heute ist die Zahl der Lohnarbeiter viel größer als die der
Bauern, daher ist ihre Konsumfähigkeit, das heißt ihr Einkommen, für die
Produktion wichtiger. Das mag man als ein Unglück ansehen, aber außer
dem von uns vorgeschlagnen Mittel giebt es keins, dieses Verhältnis zu ändern.
Vorster verkennt nun zwar nicht den Zusammenhang zwischen Produktion und
Konsum, verweist uns aber auf die ausländische Kundschaft. Darauf haben
wir schon oft geantwortet, daß diese Auskunft sür England gut war in der
Zeit, als es der ^vorlvsllox ok elle porta war, daß es aber damit nichts mehr
lst in einer Zeit, wo sich alle Völker auf die Maschinenindustrie verlegen.
Vorster glaubt den Leiden der Arbeiter dadurch abhelfen zu können, daß er
sie zur Müßigkeit und Wirtschaftlichkeit bekehrt. Sehr schön und moralisch;
nur werden mit seiner Predigt die Schnapsbrenner und die Bierbrauer, die
sieh zu den aller„nationalsten" Produzenten rechnen, sehr schlecht zufrieden
sein. Was uns betrifft, so haben wir uns über die Reform der Geselligkeit
und des Luxus oft genug ausgesprochen und die Bedingungen angegeben,
ohne deren Erfüllung alle Predigten in den Wind gesprochen sind. Den Luxus
der Reichen braucht Vorster gegen uns nicht in Schutz zu nehmen; wir finden
im. Gegenteil eine große Gescchr darin, daß die heutigen Sitten den Luxus
ungebührlich beschränken und zur Kapitalisirung der dadurch entstehenden Über¬
schüsse, zwingen. Natürlich verstehen wir unter Luxus vorzugsweise den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/115>, abgerufen am 01.09.2024.