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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Sir Kampf gegen Windmühlen

sondern Stand aus, sondern ihr Dienstverhältnis bildet nur die Vorstufe zur
Selbständigkeit; sie haben Aussicht, spätestens mit dem dreißigsten Jahre selbst
Meister oder kleine Bauern zu werden. Dagegen hat der Fabrikarbeiter keine
Aussicht, Fabrikant zu werden. In den Jugeudjcchren der modernen Industrie
ist so etwas öfter vorgekommen, aber nachdem sie ausgebildet und fertig da
ist, findet der strebsame Arbeiter in den Söhnen der Fabrikanten und andrer
wohlhabender und nngesehner Leute Konkurrenten vor, die in der Partie
hundert Points vor ihm voraushaben, und auch schon der Zugang zu den
Beamtenstellen wird durch die Forderung von Schulzeugnissen erschwert. Es
kommt vor, daß sekundärer, die als Volontär in eine Maschinenfabrik ein¬
treten wollen, mit dem Bemerken zurückgewiesen werden, ohne das Abiturienten¬
zeugnis hätten sie keine Aussicht. Und überdies: auf fünfhundert oder tausend
Arbeiter kommt immer erst eine Großuuternehmerstelle, um die der Arbeiter
mit jenen begünstigter" Bewerbern zu konkurriren hat. Obwohl also auch
heute die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß sich ein einfacher Arbeiter
zum Großunternehmer emporschwingt, kommt doch diese Möglichkeit für die
soziale Lage der Arbeiter der Großindustrie gar nicht in Betracht. Der durch¬
schnittliche Fabrik- und Grubenarbeiter weiß, daß er als Arbeiter sterben
wird. Er kommt also zeitlebens nicht aus der Abhängigkeit heraus und bleibt
schon aus diesem Grunde unzufrieden, während der Handwerksgesell, der Acker¬
knecht mit der Selbständigkeit auch die Zufriedenheit erlangen kann, wenigstens
keine Änderung der Gesamtlage seines Standes anzustreben braucht. Und er
kann sich in schweren Zeiten durchhungern, ohne seine bürgerliche Existenz zu
verlieren, während der Lohnarbeiter durch jede wirtschaftliche Krisis der Gefahr
zu verlumpen ausgesetzt wird. Der zu lebenslänglicher Lohnarbeit verurteilte
ist also, ganz abgesehen von erschwerenden Umstünden, wie Gesuudheitsschäd-
lichkeit und Lebensgefährlichkeit seiner Arbeit, mit seiner Lage stets unzufrieden,
und da die Großindustrie diese Unzufriednen in Mafien von tausenden und
Hunderttausenden zusammendrängt und die räumlich von einander entfernten
Mafien bei der heutigen Entwicklung der Kommunikationsmittel den lebhaftesten
Gedankenaustausch mit einander unterhalten können, so ergiebt sich das übrige
von selbst: Sozialdemokratie, Gewerkverein, christlicher Arbeiterverein, Fahni,
Maffia oder wie es sonst heißen mag -- in irgend einer Form organisiren
sich die Lohnarbeiter gegen die Unternehmer. Und so entsteht die schlimme
Alternative, ob man diese dem Sozialismus zustrebenden Organisationen sich
frei entwickeln lassen, oder durch ihre Unterdrückung eine neue Art von Hörig¬
keit herstellen, die wirtschaftliche Abhängigkeit der Lohnarbeiter durch die gesetz¬
liche verstärken will. Aus diesem Grunde können wir nicht ohne Besorgnis
zusehen, wie die an sich notwendige und bei dem gegenwärtigen Stande unsrer
Bevölkerungsverhältnisse unendlich wohlthätige Großindustrie sich ins maßlose
entwickelt, und wie ein immer größerer Teil unsers Volks in den Stand der


Sir Kampf gegen Windmühlen

sondern Stand aus, sondern ihr Dienstverhältnis bildet nur die Vorstufe zur
Selbständigkeit; sie haben Aussicht, spätestens mit dem dreißigsten Jahre selbst
Meister oder kleine Bauern zu werden. Dagegen hat der Fabrikarbeiter keine
Aussicht, Fabrikant zu werden. In den Jugeudjcchren der modernen Industrie
ist so etwas öfter vorgekommen, aber nachdem sie ausgebildet und fertig da
ist, findet der strebsame Arbeiter in den Söhnen der Fabrikanten und andrer
wohlhabender und nngesehner Leute Konkurrenten vor, die in der Partie
hundert Points vor ihm voraushaben, und auch schon der Zugang zu den
Beamtenstellen wird durch die Forderung von Schulzeugnissen erschwert. Es
kommt vor, daß sekundärer, die als Volontär in eine Maschinenfabrik ein¬
treten wollen, mit dem Bemerken zurückgewiesen werden, ohne das Abiturienten¬
zeugnis hätten sie keine Aussicht. Und überdies: auf fünfhundert oder tausend
Arbeiter kommt immer erst eine Großuuternehmerstelle, um die der Arbeiter
mit jenen begünstigter« Bewerbern zu konkurriren hat. Obwohl also auch
heute die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß sich ein einfacher Arbeiter
zum Großunternehmer emporschwingt, kommt doch diese Möglichkeit für die
soziale Lage der Arbeiter der Großindustrie gar nicht in Betracht. Der durch¬
schnittliche Fabrik- und Grubenarbeiter weiß, daß er als Arbeiter sterben
wird. Er kommt also zeitlebens nicht aus der Abhängigkeit heraus und bleibt
schon aus diesem Grunde unzufrieden, während der Handwerksgesell, der Acker¬
knecht mit der Selbständigkeit auch die Zufriedenheit erlangen kann, wenigstens
keine Änderung der Gesamtlage seines Standes anzustreben braucht. Und er
kann sich in schweren Zeiten durchhungern, ohne seine bürgerliche Existenz zu
verlieren, während der Lohnarbeiter durch jede wirtschaftliche Krisis der Gefahr
zu verlumpen ausgesetzt wird. Der zu lebenslänglicher Lohnarbeit verurteilte
ist also, ganz abgesehen von erschwerenden Umstünden, wie Gesuudheitsschäd-
lichkeit und Lebensgefährlichkeit seiner Arbeit, mit seiner Lage stets unzufrieden,
und da die Großindustrie diese Unzufriednen in Mafien von tausenden und
Hunderttausenden zusammendrängt und die räumlich von einander entfernten
Mafien bei der heutigen Entwicklung der Kommunikationsmittel den lebhaftesten
Gedankenaustausch mit einander unterhalten können, so ergiebt sich das übrige
von selbst: Sozialdemokratie, Gewerkverein, christlicher Arbeiterverein, Fahni,
Maffia oder wie es sonst heißen mag — in irgend einer Form organisiren
sich die Lohnarbeiter gegen die Unternehmer. Und so entsteht die schlimme
Alternative, ob man diese dem Sozialismus zustrebenden Organisationen sich
frei entwickeln lassen, oder durch ihre Unterdrückung eine neue Art von Hörig¬
keit herstellen, die wirtschaftliche Abhängigkeit der Lohnarbeiter durch die gesetz¬
liche verstärken will. Aus diesem Grunde können wir nicht ohne Besorgnis
zusehen, wie die an sich notwendige und bei dem gegenwärtigen Stande unsrer
Bevölkerungsverhältnisse unendlich wohlthätige Großindustrie sich ins maßlose
entwickelt, und wie ein immer größerer Teil unsers Volks in den Stand der


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[0114] Sir Kampf gegen Windmühlen sondern Stand aus, sondern ihr Dienstverhältnis bildet nur die Vorstufe zur Selbständigkeit; sie haben Aussicht, spätestens mit dem dreißigsten Jahre selbst Meister oder kleine Bauern zu werden. Dagegen hat der Fabrikarbeiter keine Aussicht, Fabrikant zu werden. In den Jugeudjcchren der modernen Industrie ist so etwas öfter vorgekommen, aber nachdem sie ausgebildet und fertig da ist, findet der strebsame Arbeiter in den Söhnen der Fabrikanten und andrer wohlhabender und nngesehner Leute Konkurrenten vor, die in der Partie hundert Points vor ihm voraushaben, und auch schon der Zugang zu den Beamtenstellen wird durch die Forderung von Schulzeugnissen erschwert. Es kommt vor, daß sekundärer, die als Volontär in eine Maschinenfabrik ein¬ treten wollen, mit dem Bemerken zurückgewiesen werden, ohne das Abiturienten¬ zeugnis hätten sie keine Aussicht. Und überdies: auf fünfhundert oder tausend Arbeiter kommt immer erst eine Großuuternehmerstelle, um die der Arbeiter mit jenen begünstigter« Bewerbern zu konkurriren hat. Obwohl also auch heute die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß sich ein einfacher Arbeiter zum Großunternehmer emporschwingt, kommt doch diese Möglichkeit für die soziale Lage der Arbeiter der Großindustrie gar nicht in Betracht. Der durch¬ schnittliche Fabrik- und Grubenarbeiter weiß, daß er als Arbeiter sterben wird. Er kommt also zeitlebens nicht aus der Abhängigkeit heraus und bleibt schon aus diesem Grunde unzufrieden, während der Handwerksgesell, der Acker¬ knecht mit der Selbständigkeit auch die Zufriedenheit erlangen kann, wenigstens keine Änderung der Gesamtlage seines Standes anzustreben braucht. Und er kann sich in schweren Zeiten durchhungern, ohne seine bürgerliche Existenz zu verlieren, während der Lohnarbeiter durch jede wirtschaftliche Krisis der Gefahr zu verlumpen ausgesetzt wird. Der zu lebenslänglicher Lohnarbeit verurteilte ist also, ganz abgesehen von erschwerenden Umstünden, wie Gesuudheitsschäd- lichkeit und Lebensgefährlichkeit seiner Arbeit, mit seiner Lage stets unzufrieden, und da die Großindustrie diese Unzufriednen in Mafien von tausenden und Hunderttausenden zusammendrängt und die räumlich von einander entfernten Mafien bei der heutigen Entwicklung der Kommunikationsmittel den lebhaftesten Gedankenaustausch mit einander unterhalten können, so ergiebt sich das übrige von selbst: Sozialdemokratie, Gewerkverein, christlicher Arbeiterverein, Fahni, Maffia oder wie es sonst heißen mag — in irgend einer Form organisiren sich die Lohnarbeiter gegen die Unternehmer. Und so entsteht die schlimme Alternative, ob man diese dem Sozialismus zustrebenden Organisationen sich frei entwickeln lassen, oder durch ihre Unterdrückung eine neue Art von Hörig¬ keit herstellen, die wirtschaftliche Abhängigkeit der Lohnarbeiter durch die gesetz¬ liche verstärken will. Aus diesem Grunde können wir nicht ohne Besorgnis zusehen, wie die an sich notwendige und bei dem gegenwärtigen Stande unsrer Bevölkerungsverhältnisse unendlich wohlthätige Großindustrie sich ins maßlose entwickelt, und wie ein immer größerer Teil unsers Volks in den Stand der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/114>, abgerufen am 01.09.2024.