Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Schule und Politik und Erinnerungen mit hinübernimmt ins Leben, die unendlich mehr wirken, Schule und Politik und Erinnerungen mit hinübernimmt ins Leben, die unendlich mehr wirken, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222366"/> <fw type="header" place="top"> Schule und Politik</fw><lb/> <p xml:id="ID_201" prev="#ID_200" next="#ID_202"> und Erinnerungen mit hinübernimmt ins Leben, die unendlich mehr wirken,<lb/> als das bloße Wort. Wenn heute der Ruf zu den Waffen ertönte, wie damals<lb/> im Jahre 1870, da könnte die Schule ja gar nicht anders, sie müßte ihre<lb/> Schüler hinweisen auf das, was vorgegangen ist, und auf das, was bevor¬<lb/> steht, sie müßte versuchen, soweit es überhaupt möglich ist, das zum Verständnis<lb/> zu bringen, was rings um sie vorgeht. Denn sie steht nicht nur äußerlich<lb/> mitten drin, sondern auch manchem ihrer eignen Angehörigen gälte der Ruf<lb/> zu den Fahnen, keiner ist unter den Lehrern und Schülern, der nicht mindestens<lb/> einen Verwandten oder Freund unter denen hätte, die ihm folgen würden, und<lb/> immer fühlt sie sich als ein Glied des großen Ganzen, als Teil des Vater¬<lb/> landes. Wie ganz anders stehen wir jetzt, als unter dem absoluten Staate des<lb/> vorigen Jahrhunderts! Als während des siebenjährigen Krieges Friedrich der<lb/> Große sich gelegentlich hier im Leipziger Winterquartier um die Häupter der<lb/> deutscheu Litteratur bekümmerte, die er immer noch in Pleiß-Athen suchte, und<lb/> unter ihnen auch Gellert zu sich berief, da wagte der Dichter und Gelehrte<lb/> im Verlaufe des Gesprächs die schüchterne Bemerkung: „Wenn Ew. Majestät<lb/> Deutschland den Frieden geben wollten!" um sofort, als der König etwas un¬<lb/> wirsch entgegnete: „Hat Ers denn nicht gehört? Es sind ja dreie wider mich!"<lb/> sich ängstlich zurückzuziehen mit der für uns beinahe unverständlichen Be¬<lb/> merkung: „Ich bekümmere mich mehr um alte als um neue Geschichte," worauf<lb/> man das ganze flüchtig angeschlagne politische Thema sofort fallen ließ. Nichts<lb/> bezeichnender für die damalige Stellung des Lehrstandes zu den allerwichtigsten<lb/> politischen Dingen, als diese paar Worte! Der König glaubt den sächsischen<lb/> Gelehrten erst auf die politische Lage hinweisen zu müssen, und dieser lehnt<lb/> jede Beschäftigung mit der „neuen Geschichte," die alltäglich aus dem Rasseln<lb/> preußischer Trommeln und dem Anblick preußischer Uniformen so eindringlich<lb/> zu ihm sprach, ab als eine Sache, die ihn gar nichts angehe, die man ihm<lb/> billigerweise nicht zumuten dürfe. Auch noch dem jungen Ranke in Schul¬<lb/> pforte schlug die Kunde von den Schlachten Napoleons wie eine ferne Sage<lb/> ans Ohr, die ihn weniger berührte, als etwa der Kampf bei den Thermopylen,<lb/> obwohl er die französischen Heersäulen jahraus jahrein an den Mauern seiner<lb/> Fürstenschule vorüberziehen sah und den Kanonendonner von Großgörschen<lb/> hören konnte. Es war damals eben wirklich so, wie Friedrich der Große einmal<lb/> gesagt hat: „Der friedliche Bürger soll es gar nicht merken, wenn sich die<lb/> Nation schlüge." Die Nation schlug sich eben damals gar nicht, der friedliche<lb/> Bürger, und vollends der Gelehrte, hatte damals nur einen Beruf, eine Fa¬<lb/> milie, eine Heimat, aber kein Vaterland! Und jetzt? Als im Jahre 1866 der<lb/> Entscheidungskampf um die Zukunft Deutschlands entbrannte, als unsre säch¬<lb/> sischen Truppen das Land räumen mußten und über die Nordgrenze die preu¬<lb/> ßischen Heersäulen hereinbrachen, als sie in endlosen, stundenlangen, unabseh¬<lb/> baren Kolonnen mit blitzenden Bajonetten und wehenden Lanzenfähnchcn und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
Schule und Politik
und Erinnerungen mit hinübernimmt ins Leben, die unendlich mehr wirken,
als das bloße Wort. Wenn heute der Ruf zu den Waffen ertönte, wie damals
im Jahre 1870, da könnte die Schule ja gar nicht anders, sie müßte ihre
Schüler hinweisen auf das, was vorgegangen ist, und auf das, was bevor¬
steht, sie müßte versuchen, soweit es überhaupt möglich ist, das zum Verständnis
zu bringen, was rings um sie vorgeht. Denn sie steht nicht nur äußerlich
mitten drin, sondern auch manchem ihrer eignen Angehörigen gälte der Ruf
zu den Fahnen, keiner ist unter den Lehrern und Schülern, der nicht mindestens
einen Verwandten oder Freund unter denen hätte, die ihm folgen würden, und
immer fühlt sie sich als ein Glied des großen Ganzen, als Teil des Vater¬
landes. Wie ganz anders stehen wir jetzt, als unter dem absoluten Staate des
vorigen Jahrhunderts! Als während des siebenjährigen Krieges Friedrich der
Große sich gelegentlich hier im Leipziger Winterquartier um die Häupter der
deutscheu Litteratur bekümmerte, die er immer noch in Pleiß-Athen suchte, und
unter ihnen auch Gellert zu sich berief, da wagte der Dichter und Gelehrte
im Verlaufe des Gesprächs die schüchterne Bemerkung: „Wenn Ew. Majestät
Deutschland den Frieden geben wollten!" um sofort, als der König etwas un¬
wirsch entgegnete: „Hat Ers denn nicht gehört? Es sind ja dreie wider mich!"
sich ängstlich zurückzuziehen mit der für uns beinahe unverständlichen Be¬
merkung: „Ich bekümmere mich mehr um alte als um neue Geschichte," worauf
man das ganze flüchtig angeschlagne politische Thema sofort fallen ließ. Nichts
bezeichnender für die damalige Stellung des Lehrstandes zu den allerwichtigsten
politischen Dingen, als diese paar Worte! Der König glaubt den sächsischen
Gelehrten erst auf die politische Lage hinweisen zu müssen, und dieser lehnt
jede Beschäftigung mit der „neuen Geschichte," die alltäglich aus dem Rasseln
preußischer Trommeln und dem Anblick preußischer Uniformen so eindringlich
zu ihm sprach, ab als eine Sache, die ihn gar nichts angehe, die man ihm
billigerweise nicht zumuten dürfe. Auch noch dem jungen Ranke in Schul¬
pforte schlug die Kunde von den Schlachten Napoleons wie eine ferne Sage
ans Ohr, die ihn weniger berührte, als etwa der Kampf bei den Thermopylen,
obwohl er die französischen Heersäulen jahraus jahrein an den Mauern seiner
Fürstenschule vorüberziehen sah und den Kanonendonner von Großgörschen
hören konnte. Es war damals eben wirklich so, wie Friedrich der Große einmal
gesagt hat: „Der friedliche Bürger soll es gar nicht merken, wenn sich die
Nation schlüge." Die Nation schlug sich eben damals gar nicht, der friedliche
Bürger, und vollends der Gelehrte, hatte damals nur einen Beruf, eine Fa¬
milie, eine Heimat, aber kein Vaterland! Und jetzt? Als im Jahre 1866 der
Entscheidungskampf um die Zukunft Deutschlands entbrannte, als unsre säch¬
sischen Truppen das Land räumen mußten und über die Nordgrenze die preu¬
ßischen Heersäulen hereinbrachen, als sie in endlosen, stundenlangen, unabseh¬
baren Kolonnen mit blitzenden Bajonetten und wehenden Lanzenfähnchcn und
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