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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Schule und Politik

tale Idealismus, der in diesem uralten Kulturlande nach luftigen abstrakten
Theorien einen politischen Neubau aufrichten wollte, wie auf einem noch ganz
unbebauten Boden, und schließlich nnter Strömen von Vink und Thränen zwar
eine neue Gesellschaftsordnung durchgesetzt, aber die Grundlagen einer festen
Staatsordnung für immer zerstört hat.

Was bei jeuer französischen Schulbildung verzeihlich war, da sie in einem
absoluten Staate wirkte, und in einer Zeit, die von geschichtlichem Verständnis
noch nichts wußte, das wäre bei uus unverzeihlich. Denn wie reich sind die
im weiteste" Sinne geschichtlichen Bildungsmittel, über die wir verfüge"! Wir
wollen im Altertum in die völlig abgeschlossene, daher vollkommen übersehbare
und unbefangner Beurteilung zugängliche Entwicklung zweier großen Völker
einführen, auf der unsre eigne Kultur beruht, wir zeige" unsern Schülern das
Werden und Wnchseu unsers eignen Volkes und seiner Litteratur durch dunkle
Jrrgänge hindurch zu strahlendem Licht, aus düstern Tiefen zu freier Höhe,
in Schuld und Leiden, in Kampf und Sieg, wir lassen sie auch einen Einblick
gewinnen in die Wandlungen der Kirche. Und das alles sollte, recht ange¬
wendet, ohne Einfluß sein? Das sollte den heranwachsenden Jüngling nicht
einigermaßen schützen vor blinder Schwärmerei und doktrinärem Eigensinn,
das sollte nicht in ihm das Verständnis für seine Zeit und die Fähigkeit, ihre
Aufgaben zu löse", erwecken? Das sollte ihn nicht zum festen Patrioten machen
helfen, der die alte Erbsünde unsers Volkes, das Erbstück einer verworrnen
und kleinen Vergangenheit, die uns noch heute lähmende politische und kirchliche
Parteisucht, überwindet um des Vaterlands willen? Wer das nicht glaubt,
der glaubt an die höchste und schönste Aufgabe unsrer Schulen riethe.

Doch wenn es die Schule ablehnen muß. einzutreten in den streit des
Tages um innere Fragen. so wird sie um so mehr berechtigt sein, da teil¬
zunehmen, wo es sich um große allgemeine nationale Angelegenheiten handelt,
"tho in den meisten Fällen'um entscheidende Fragen der auswärtigen Politik.
Darin liegt die Berechtigung patriotischer Feste für die Schule. Wenn wir
die Geburtstage des Königs und des Kaisers feiern, so wolle" wir nicht allem
hinweisen auf die Ehrfurcht, Liebe und Treue, die wir dem Oberhaupte des
Reichs und dem Herrscher unsers Heimatlandes schulden, souderu auch darauf,
daß der Monarch'hoch über allen Parteien steht, daß sich in ihm die Einheit
"ut Macht des Vaterlandes verkörpert, die zu wahren und zu stärken die
Aufgabe aller Parteien ist. Und wenn nur den Sedantag in Reden und fröh¬
lichen Tnruspielen feiern, so ist das keine Verhöhnung und Herausforderung
unsers damaligen Gegners, sondern die Erinnerung an eine unvergeßliche Zeit
und unvergleichliche Erfolge. Aber mit vaterländischen Festen ist es noch nicht
gethan. Die Schule hat' vielmehr die Ausgabe, bei großen Entscheidungen
mindestens ihren reifern Zöglingen das Verständnis zu vermitteln für das, was
vorgeht, damit das junge Geschlecht mit empfindet, was es äußerlich mit erlebt.


Schule und Politik

tale Idealismus, der in diesem uralten Kulturlande nach luftigen abstrakten
Theorien einen politischen Neubau aufrichten wollte, wie auf einem noch ganz
unbebauten Boden, und schließlich nnter Strömen von Vink und Thränen zwar
eine neue Gesellschaftsordnung durchgesetzt, aber die Grundlagen einer festen
Staatsordnung für immer zerstört hat.

Was bei jeuer französischen Schulbildung verzeihlich war, da sie in einem
absoluten Staate wirkte, und in einer Zeit, die von geschichtlichem Verständnis
noch nichts wußte, das wäre bei uus unverzeihlich. Denn wie reich sind die
im weiteste» Sinne geschichtlichen Bildungsmittel, über die wir verfüge»! Wir
wollen im Altertum in die völlig abgeschlossene, daher vollkommen übersehbare
und unbefangner Beurteilung zugängliche Entwicklung zweier großen Völker
einführen, auf der unsre eigne Kultur beruht, wir zeige« unsern Schülern das
Werden und Wnchseu unsers eignen Volkes und seiner Litteratur durch dunkle
Jrrgänge hindurch zu strahlendem Licht, aus düstern Tiefen zu freier Höhe,
in Schuld und Leiden, in Kampf und Sieg, wir lassen sie auch einen Einblick
gewinnen in die Wandlungen der Kirche. Und das alles sollte, recht ange¬
wendet, ohne Einfluß sein? Das sollte den heranwachsenden Jüngling nicht
einigermaßen schützen vor blinder Schwärmerei und doktrinärem Eigensinn,
das sollte nicht in ihm das Verständnis für seine Zeit und die Fähigkeit, ihre
Aufgaben zu löse», erwecken? Das sollte ihn nicht zum festen Patrioten machen
helfen, der die alte Erbsünde unsers Volkes, das Erbstück einer verworrnen
und kleinen Vergangenheit, die uns noch heute lähmende politische und kirchliche
Parteisucht, überwindet um des Vaterlands willen? Wer das nicht glaubt,
der glaubt an die höchste und schönste Aufgabe unsrer Schulen riethe.

Doch wenn es die Schule ablehnen muß. einzutreten in den streit des
Tages um innere Fragen. so wird sie um so mehr berechtigt sein, da teil¬
zunehmen, wo es sich um große allgemeine nationale Angelegenheiten handelt,
"tho in den meisten Fällen'um entscheidende Fragen der auswärtigen Politik.
Darin liegt die Berechtigung patriotischer Feste für die Schule. Wenn wir
die Geburtstage des Königs und des Kaisers feiern, so wolle» wir nicht allem
hinweisen auf die Ehrfurcht, Liebe und Treue, die wir dem Oberhaupte des
Reichs und dem Herrscher unsers Heimatlandes schulden, souderu auch darauf,
daß der Monarch'hoch über allen Parteien steht, daß sich in ihm die Einheit
»ut Macht des Vaterlandes verkörpert, die zu wahren und zu stärken die
Aufgabe aller Parteien ist. Und wenn nur den Sedantag in Reden und fröh¬
lichen Tnruspielen feiern, so ist das keine Verhöhnung und Herausforderung
unsers damaligen Gegners, sondern die Erinnerung an eine unvergeßliche Zeit
und unvergleichliche Erfolge. Aber mit vaterländischen Festen ist es noch nicht
gethan. Die Schule hat' vielmehr die Ausgabe, bei großen Entscheidungen
mindestens ihren reifern Zöglingen das Verständnis zu vermitteln für das, was
vorgeht, damit das junge Geschlecht mit empfindet, was es äußerlich mit erlebt.


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[0061] Schule und Politik tale Idealismus, der in diesem uralten Kulturlande nach luftigen abstrakten Theorien einen politischen Neubau aufrichten wollte, wie auf einem noch ganz unbebauten Boden, und schließlich nnter Strömen von Vink und Thränen zwar eine neue Gesellschaftsordnung durchgesetzt, aber die Grundlagen einer festen Staatsordnung für immer zerstört hat. Was bei jeuer französischen Schulbildung verzeihlich war, da sie in einem absoluten Staate wirkte, und in einer Zeit, die von geschichtlichem Verständnis noch nichts wußte, das wäre bei uus unverzeihlich. Denn wie reich sind die im weiteste» Sinne geschichtlichen Bildungsmittel, über die wir verfüge»! Wir wollen im Altertum in die völlig abgeschlossene, daher vollkommen übersehbare und unbefangner Beurteilung zugängliche Entwicklung zweier großen Völker einführen, auf der unsre eigne Kultur beruht, wir zeige« unsern Schülern das Werden und Wnchseu unsers eignen Volkes und seiner Litteratur durch dunkle Jrrgänge hindurch zu strahlendem Licht, aus düstern Tiefen zu freier Höhe, in Schuld und Leiden, in Kampf und Sieg, wir lassen sie auch einen Einblick gewinnen in die Wandlungen der Kirche. Und das alles sollte, recht ange¬ wendet, ohne Einfluß sein? Das sollte den heranwachsenden Jüngling nicht einigermaßen schützen vor blinder Schwärmerei und doktrinärem Eigensinn, das sollte nicht in ihm das Verständnis für seine Zeit und die Fähigkeit, ihre Aufgaben zu löse», erwecken? Das sollte ihn nicht zum festen Patrioten machen helfen, der die alte Erbsünde unsers Volkes, das Erbstück einer verworrnen und kleinen Vergangenheit, die uns noch heute lähmende politische und kirchliche Parteisucht, überwindet um des Vaterlands willen? Wer das nicht glaubt, der glaubt an die höchste und schönste Aufgabe unsrer Schulen riethe. Doch wenn es die Schule ablehnen muß. einzutreten in den streit des Tages um innere Fragen. so wird sie um so mehr berechtigt sein, da teil¬ zunehmen, wo es sich um große allgemeine nationale Angelegenheiten handelt, "tho in den meisten Fällen'um entscheidende Fragen der auswärtigen Politik. Darin liegt die Berechtigung patriotischer Feste für die Schule. Wenn wir die Geburtstage des Königs und des Kaisers feiern, so wolle» wir nicht allem hinweisen auf die Ehrfurcht, Liebe und Treue, die wir dem Oberhaupte des Reichs und dem Herrscher unsers Heimatlandes schulden, souderu auch darauf, daß der Monarch'hoch über allen Parteien steht, daß sich in ihm die Einheit »ut Macht des Vaterlandes verkörpert, die zu wahren und zu stärken die Aufgabe aller Parteien ist. Und wenn nur den Sedantag in Reden und fröh¬ lichen Tnruspielen feiern, so ist das keine Verhöhnung und Herausforderung unsers damaligen Gegners, sondern die Erinnerung an eine unvergeßliche Zeit und unvergleichliche Erfolge. Aber mit vaterländischen Festen ist es noch nicht gethan. Die Schule hat' vielmehr die Ausgabe, bei großen Entscheidungen mindestens ihren reifern Zöglingen das Verständnis zu vermitteln für das, was vorgeht, damit das junge Geschlecht mit empfindet, was es äußerlich mit erlebt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/61>, abgerufen am 15.01.2025.