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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Schule und Politik

dröhnenden Geschützzügen durch die sächsische Oberlausitz der blauen Bergkette
zuzogen, die die Grenze Böhmens bezeichnet, um dort in blutigen Schlachte"
die bange Frage zu entscheiden, was aus Deutschland und Sachsen werden
sollte, als jedes Haus Einquartierung hatte und fast jeder Tag Gefangne und
Verwundete, mancher auch eroberte, kotbedeckte, blutbespritzte Geschütze und
Wagen brachte, als die dumpfen Schläge des Kanonendonners von München-
grütz herüberklangen, da drängten die Schüler des Gymnasiums in Zittau
geradezu ihre Lehrer, sie sollten ihnen erklären und deuten, was denn da
eigentlich unter ihren Augen vorgehe, was sie mit erschütterter und zweifelnder
Seele sahen, und da war keiner, der sich diesen Bitten versagt hätte. Und
doch, wie schwer war es in diesem Augenblick, eine Erklärung zu geben, denn
wir standen im Bürger- und Bruderkriege, und wir vermochten mit ganzem
Herzen weder hüben noch drüben zu sein! Mit wie gehobner Stimmung haben
wir dagegen dieses Verlangen und diese Verpflichtung im Jahre 1870 erfüllt!
Unter dem, was ich am 18. Januar von dem Leben eines sächsischen Gym¬
nasiums während dieser Zeit erzählte, habe ich auch darauf hingewiesen, und
ich wiederhole es heute, ohne mir irgend ein Verdienst daraus machen zu
wollen, bloß, weil es zur Sache gehört, wie ich damals in allen meinen Ge¬
schichtsklassen von Zeit zu Zeit, vom 15. Juli angefangen, in zusammenfassenden
Vortrügen die wichtigsten Kriegsereignisse geschildert habe, und so unvollkommen
sie auch gewesen sein mögen, vergeblich sind diese Stunden über allerneueste
Geschichte nicht gewesen! Nicht jede Schülergeneration erlebt solche Dinge,
und solche Dinge wie 1870 kann überhaupt keine mehr erleben, aber in einem
kräftig aufstrebenden Volke werden immer wieder Augenblicke kommen, wo ein
großes nationales Interesse in den Vordergrund tritt und auch die Teilnahme
der Schule fordert. Mit vollem Rechte ist daher in festlicher Stunde schon
von der deutschen Kriegsmarine und der deutschen Kolonialpolitik geredet
worden, oder von den großen Männern, die unser Reich geschaffen und aus¬
gebaut haben. Auch dagegen wird nichts einzuwenden sein, wenn von solchen
Dingen in der Klasse gesprochen wird, nnr daß es einem natürlichen Bedürfnis
entgegenkommen muß.

Zwiespältige Stimmungen, wie etwa 1866, werden derartige Erörterungen
heute nicht mehr stören. Denn wir wissen heute, wo unser Vaterland ist, und
wie wir zu ihm stehen. Vor dreißig Jahren begannen wir es zu ahnen, vor
vierzig Jahren wußten wir es noch nicht. Als damals der Krimkrieg die
Aufmerksamkeit Europas fesselte und eine Zeit lang auch Deutschland in seinen
Wirbel hineinzureißen drohte, oder vielmehr dies lose, zersahrne Staaten¬
bündel mit unsichern Grenzen, das damals unter des durchlauchtigsten deutschen
Bundes schützenden Privilegien stand, thatsächlich aber als Ganzes das Gespött
Europas war, da regte sich an manchem Gymnasium ein Interesse für den im
Grunde wunderlichen Kampf, und wir Jungen fochten nicht nur mit Zinn-


Schule und Politik

dröhnenden Geschützzügen durch die sächsische Oberlausitz der blauen Bergkette
zuzogen, die die Grenze Böhmens bezeichnet, um dort in blutigen Schlachte»
die bange Frage zu entscheiden, was aus Deutschland und Sachsen werden
sollte, als jedes Haus Einquartierung hatte und fast jeder Tag Gefangne und
Verwundete, mancher auch eroberte, kotbedeckte, blutbespritzte Geschütze und
Wagen brachte, als die dumpfen Schläge des Kanonendonners von München-
grütz herüberklangen, da drängten die Schüler des Gymnasiums in Zittau
geradezu ihre Lehrer, sie sollten ihnen erklären und deuten, was denn da
eigentlich unter ihren Augen vorgehe, was sie mit erschütterter und zweifelnder
Seele sahen, und da war keiner, der sich diesen Bitten versagt hätte. Und
doch, wie schwer war es in diesem Augenblick, eine Erklärung zu geben, denn
wir standen im Bürger- und Bruderkriege, und wir vermochten mit ganzem
Herzen weder hüben noch drüben zu sein! Mit wie gehobner Stimmung haben
wir dagegen dieses Verlangen und diese Verpflichtung im Jahre 1870 erfüllt!
Unter dem, was ich am 18. Januar von dem Leben eines sächsischen Gym¬
nasiums während dieser Zeit erzählte, habe ich auch darauf hingewiesen, und
ich wiederhole es heute, ohne mir irgend ein Verdienst daraus machen zu
wollen, bloß, weil es zur Sache gehört, wie ich damals in allen meinen Ge¬
schichtsklassen von Zeit zu Zeit, vom 15. Juli angefangen, in zusammenfassenden
Vortrügen die wichtigsten Kriegsereignisse geschildert habe, und so unvollkommen
sie auch gewesen sein mögen, vergeblich sind diese Stunden über allerneueste
Geschichte nicht gewesen! Nicht jede Schülergeneration erlebt solche Dinge,
und solche Dinge wie 1870 kann überhaupt keine mehr erleben, aber in einem
kräftig aufstrebenden Volke werden immer wieder Augenblicke kommen, wo ein
großes nationales Interesse in den Vordergrund tritt und auch die Teilnahme
der Schule fordert. Mit vollem Rechte ist daher in festlicher Stunde schon
von der deutschen Kriegsmarine und der deutschen Kolonialpolitik geredet
worden, oder von den großen Männern, die unser Reich geschaffen und aus¬
gebaut haben. Auch dagegen wird nichts einzuwenden sein, wenn von solchen
Dingen in der Klasse gesprochen wird, nnr daß es einem natürlichen Bedürfnis
entgegenkommen muß.

Zwiespältige Stimmungen, wie etwa 1866, werden derartige Erörterungen
heute nicht mehr stören. Denn wir wissen heute, wo unser Vaterland ist, und
wie wir zu ihm stehen. Vor dreißig Jahren begannen wir es zu ahnen, vor
vierzig Jahren wußten wir es noch nicht. Als damals der Krimkrieg die
Aufmerksamkeit Europas fesselte und eine Zeit lang auch Deutschland in seinen
Wirbel hineinzureißen drohte, oder vielmehr dies lose, zersahrne Staaten¬
bündel mit unsichern Grenzen, das damals unter des durchlauchtigsten deutschen
Bundes schützenden Privilegien stand, thatsächlich aber als Ganzes das Gespött
Europas war, da regte sich an manchem Gymnasium ein Interesse für den im
Grunde wunderlichen Kampf, und wir Jungen fochten nicht nur mit Zinn-


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[0063] Schule und Politik dröhnenden Geschützzügen durch die sächsische Oberlausitz der blauen Bergkette zuzogen, die die Grenze Böhmens bezeichnet, um dort in blutigen Schlachte» die bange Frage zu entscheiden, was aus Deutschland und Sachsen werden sollte, als jedes Haus Einquartierung hatte und fast jeder Tag Gefangne und Verwundete, mancher auch eroberte, kotbedeckte, blutbespritzte Geschütze und Wagen brachte, als die dumpfen Schläge des Kanonendonners von München- grütz herüberklangen, da drängten die Schüler des Gymnasiums in Zittau geradezu ihre Lehrer, sie sollten ihnen erklären und deuten, was denn da eigentlich unter ihren Augen vorgehe, was sie mit erschütterter und zweifelnder Seele sahen, und da war keiner, der sich diesen Bitten versagt hätte. Und doch, wie schwer war es in diesem Augenblick, eine Erklärung zu geben, denn wir standen im Bürger- und Bruderkriege, und wir vermochten mit ganzem Herzen weder hüben noch drüben zu sein! Mit wie gehobner Stimmung haben wir dagegen dieses Verlangen und diese Verpflichtung im Jahre 1870 erfüllt! Unter dem, was ich am 18. Januar von dem Leben eines sächsischen Gym¬ nasiums während dieser Zeit erzählte, habe ich auch darauf hingewiesen, und ich wiederhole es heute, ohne mir irgend ein Verdienst daraus machen zu wollen, bloß, weil es zur Sache gehört, wie ich damals in allen meinen Ge¬ schichtsklassen von Zeit zu Zeit, vom 15. Juli angefangen, in zusammenfassenden Vortrügen die wichtigsten Kriegsereignisse geschildert habe, und so unvollkommen sie auch gewesen sein mögen, vergeblich sind diese Stunden über allerneueste Geschichte nicht gewesen! Nicht jede Schülergeneration erlebt solche Dinge, und solche Dinge wie 1870 kann überhaupt keine mehr erleben, aber in einem kräftig aufstrebenden Volke werden immer wieder Augenblicke kommen, wo ein großes nationales Interesse in den Vordergrund tritt und auch die Teilnahme der Schule fordert. Mit vollem Rechte ist daher in festlicher Stunde schon von der deutschen Kriegsmarine und der deutschen Kolonialpolitik geredet worden, oder von den großen Männern, die unser Reich geschaffen und aus¬ gebaut haben. Auch dagegen wird nichts einzuwenden sein, wenn von solchen Dingen in der Klasse gesprochen wird, nnr daß es einem natürlichen Bedürfnis entgegenkommen muß. Zwiespältige Stimmungen, wie etwa 1866, werden derartige Erörterungen heute nicht mehr stören. Denn wir wissen heute, wo unser Vaterland ist, und wie wir zu ihm stehen. Vor dreißig Jahren begannen wir es zu ahnen, vor vierzig Jahren wußten wir es noch nicht. Als damals der Krimkrieg die Aufmerksamkeit Europas fesselte und eine Zeit lang auch Deutschland in seinen Wirbel hineinzureißen drohte, oder vielmehr dies lose, zersahrne Staaten¬ bündel mit unsichern Grenzen, das damals unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes schützenden Privilegien stand, thatsächlich aber als Ganzes das Gespött Europas war, da regte sich an manchem Gymnasium ein Interesse für den im Grunde wunderlichen Kampf, und wir Jungen fochten nicht nur mit Zinn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/63>, abgerufen am 02.10.2024.