Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Ausdehnung des Hochschulnnterrichts muß es sich in der Ausnutzung seiner geistigen Kräfte das Größte zumuten, Dabei ist es freilich gut, uns vor Augen zu halten, daß manche von unsern Ausdehnung des Hochschulnnterrichts muß es sich in der Ausnutzung seiner geistigen Kräfte das Größte zumuten, Dabei ist es freilich gut, uns vor Augen zu halten, daß manche von unsern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222723"/> <fw type="header" place="top"> Ausdehnung des Hochschulnnterrichts</fw><lb/> <p xml:id="ID_1215" prev="#ID_1214"> muß es sich in der Ausnutzung seiner geistigen Kräfte das Größte zumuten,<lb/> was jetzt überhaupt ein Volk für möglich halten kann. Wir können nichts<lb/> dagegen thun, wenn wir jetzt in Kunst und Litteratur nicht mehr als eine Welt¬<lb/> macht gelten. Aber in der Volksbildung dürfen wir nicht ins Hintertreffen<lb/> kommen, denn darauf ist die Rüstung gegründet, die bisher die härtesten Schläge<lb/> im kriegerischen und friedlichen Völkerkämpfe so glücklich von uns abgewehrt<lb/> hat. Wir müssen darin einen Ersatz für die Verlornen Gelegenheiten suchen,<lb/> an denen unsre Geschichte so reich ist. Ohne sie wäre überhaupt die Hoffnung<lb/> aufzugeben, noch einmal den Vorsprung einzuholen, den vor allem unsre west¬<lb/> lichen Nachbarn durch Lage und Geschichte haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1216" next="#ID_1217"> Dabei ist es freilich gut, uns vor Augen zu halten, daß manche von unsern<lb/> Einrichtungen von der Volksschule bis zur Universität wohlerprobt und unsern<lb/> Bedürfnissen angepaßt sind. Das kann man nicht von all dem Neuen sagen,<lb/> was um uns her entstanden ist. Von dem Glänze, den das Neue ausstrahlt,<lb/> weil es neu ist, dürfen wir uns nicht blenden lassen. Die Mcisseuwirkungen,<lb/> durch die sich besonders in Nordamerika jede über das weite Areal sich aus¬<lb/> breitende Bewegung auszeichnet, sei es nun eine neue Methode des Weizen¬<lb/> baues oder des Unterrichts, können uns auch kühl lassen. Daß aber neuen<lb/> Bedürfnissen eine im Werden befindliche Entwicklung besser gerecht werden<lb/> könnte als eine gealterte, müssen wir zugeben; und wenn sich dann dieselben<lb/> Bedürfnisse, wie es in den Gesetzen des modernen Verkehrs liegt, auch bei<lb/> uns geltend machen, so wäre es eine Thorheit, sich der Lehre zu verschließen,<lb/> die in einer jüngern Entwicklung gewonnen ist. Wir selbst, als Volk und als<lb/> Einzelne, schwimmen niemals in demselben Strome wieder. Die Welt rings um<lb/> uns erfährt aber nicht bloß dasselbe Schicksal, sondern läßt uns auch immer<lb/> weniger Freiheit, ob wir ihre Veränderungen mitmachen wollen oder nicht.<lb/> Wir unterliegen alle der Tyrannei des Weltverkehrs, der alles austauschen<lb/> und anähnlichen will und muß. Und wenn wir von Weltpolitik reden, können<lb/> wir da übersehen, daß in deren Natur endlose Forderungen an unsre Eigenart<lb/> liegen? Je größer die Zahl der Interessen, mit denen wir uns berühren, um<lb/> so kleiner die Möglichkeit des unabhängigen Fortschreitens auf unsern eigensten<lb/> Wegen. Wir müssen darauf gefaßt sein, daß sich unsre Auffassungen von Er¬<lb/> ziehung und Bildung immer enger mit der allgemein politischen berühren, wie<lb/> es in andern Ländern schon früher war. Da in England und Nordamerika<lb/> die Negierung weniger in die Bildungsbewegungen eingegriffen hat, zeigen sie<lb/> hier klarer ihren nahen Zusammenhang mit den politischen. Besonders in<lb/> England gehen seit langem die politischen Reformen mit den erzieherischen gleich¬<lb/> zeitig vorwärts. Es ist klar, daß in manchen Fällen die einen von den andern<lb/> erzwungen worden sind, und daß die Erweiterung der Vildungswege häufig<lb/> nur als Abschlagszahlung auf politische Forderungen gewährt worden ist. Es<lb/> verdient wohl beachtet zu werden, wie stark in diesen Ländern, und zum Teil auch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0419]
Ausdehnung des Hochschulnnterrichts
muß es sich in der Ausnutzung seiner geistigen Kräfte das Größte zumuten,
was jetzt überhaupt ein Volk für möglich halten kann. Wir können nichts
dagegen thun, wenn wir jetzt in Kunst und Litteratur nicht mehr als eine Welt¬
macht gelten. Aber in der Volksbildung dürfen wir nicht ins Hintertreffen
kommen, denn darauf ist die Rüstung gegründet, die bisher die härtesten Schläge
im kriegerischen und friedlichen Völkerkämpfe so glücklich von uns abgewehrt
hat. Wir müssen darin einen Ersatz für die Verlornen Gelegenheiten suchen,
an denen unsre Geschichte so reich ist. Ohne sie wäre überhaupt die Hoffnung
aufzugeben, noch einmal den Vorsprung einzuholen, den vor allem unsre west¬
lichen Nachbarn durch Lage und Geschichte haben.
Dabei ist es freilich gut, uns vor Augen zu halten, daß manche von unsern
Einrichtungen von der Volksschule bis zur Universität wohlerprobt und unsern
Bedürfnissen angepaßt sind. Das kann man nicht von all dem Neuen sagen,
was um uns her entstanden ist. Von dem Glänze, den das Neue ausstrahlt,
weil es neu ist, dürfen wir uns nicht blenden lassen. Die Mcisseuwirkungen,
durch die sich besonders in Nordamerika jede über das weite Areal sich aus¬
breitende Bewegung auszeichnet, sei es nun eine neue Methode des Weizen¬
baues oder des Unterrichts, können uns auch kühl lassen. Daß aber neuen
Bedürfnissen eine im Werden befindliche Entwicklung besser gerecht werden
könnte als eine gealterte, müssen wir zugeben; und wenn sich dann dieselben
Bedürfnisse, wie es in den Gesetzen des modernen Verkehrs liegt, auch bei
uns geltend machen, so wäre es eine Thorheit, sich der Lehre zu verschließen,
die in einer jüngern Entwicklung gewonnen ist. Wir selbst, als Volk und als
Einzelne, schwimmen niemals in demselben Strome wieder. Die Welt rings um
uns erfährt aber nicht bloß dasselbe Schicksal, sondern läßt uns auch immer
weniger Freiheit, ob wir ihre Veränderungen mitmachen wollen oder nicht.
Wir unterliegen alle der Tyrannei des Weltverkehrs, der alles austauschen
und anähnlichen will und muß. Und wenn wir von Weltpolitik reden, können
wir da übersehen, daß in deren Natur endlose Forderungen an unsre Eigenart
liegen? Je größer die Zahl der Interessen, mit denen wir uns berühren, um
so kleiner die Möglichkeit des unabhängigen Fortschreitens auf unsern eigensten
Wegen. Wir müssen darauf gefaßt sein, daß sich unsre Auffassungen von Er¬
ziehung und Bildung immer enger mit der allgemein politischen berühren, wie
es in andern Ländern schon früher war. Da in England und Nordamerika
die Negierung weniger in die Bildungsbewegungen eingegriffen hat, zeigen sie
hier klarer ihren nahen Zusammenhang mit den politischen. Besonders in
England gehen seit langem die politischen Reformen mit den erzieherischen gleich¬
zeitig vorwärts. Es ist klar, daß in manchen Fällen die einen von den andern
erzwungen worden sind, und daß die Erweiterung der Vildungswege häufig
nur als Abschlagszahlung auf politische Forderungen gewährt worden ist. Es
verdient wohl beachtet zu werden, wie stark in diesen Ländern, und zum Teil auch
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