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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Ausdehnung des Hochschulunterrichts

zu Vergessen, was sie der Thatsache verdanken, daß sie lange Zeit das best¬
geschulte Volk der Erde waren? Und wenn man hinzufügte: Die cmglo-
keltischen Völker sind von der Überzeugung durchdrungen, daß sie im Bildnngs-
wesen die Deutschen übertreffen müssen, wenn sich ihre Ansprüche auf Welt¬
herrschaft erfüllen sollen? Vor zwanzig Jahren hätten wir solche Möglichkeiten
ungläubig abgelehnt. Seitdem ist aber ein solcher Bildungswetteifer unter
den Völkern entbrannt, daß wir alle Ursache haben, wachsam um uns zu
schauen. Gerade daß sich Deutschland aus seiner Schwäche und Gefährdung
emporgerungen hat, hat andre Völker auf unsre früher unterschätzten geistigen
Mächte hingewiesen. Nie ist die politische Wertschätzung der Bildung so groß
gewesen wie heute. Zwar über die "allgemeine" Bildung, die die frühern
Geschlechter wie ein Arkanum suchten, lachen unsre Zeitgenossen. Das Wort
"gebildet" hat seine schöne Prägung eingebüßt. "Ein gebildeter Mensch" be¬
deutet gerade in den gebildeten Kreisen nicht mehr an und für sich eine Em¬
pfehlung. Auch das Lob der Belesenheit hört sich jetzt schon altmodisch an.
Während aber die Einzelnen thun, als ob ihnen die Bildung gleichgiltiger ge¬
worden wäre, streben die Nationen mit aller Macht darauf hin, möglichst vielen
Bildung zu vermitteln, weil sie darin eine Quelle der zwei Vorzüge ahnen,
die jedes Volk erwerben möchte: des Reichtums und der Macht. Da dieses
Streben nun im Innern jedes Volkes einem Strom von Freiheits- und Gleich¬
heitsideen begegnet, dem es sich nur anzuvertrauen braucht, um breite Bahn
zu finden, so sehen wir, wie überall die Bildungsfragen politische Form an¬
nehmen und von dem Wetteifer der Parteien wie keine andern vorwärts getragen
werden. Giebt es einen deutlichern Beweis dafür, als daß in der Regierung
der Vereinigten Staaten, wo selbst in den Einzelstaaten vor hundert Jahren
der Unterricht jeder Art Sache der Privatleute und Körperschaften war, um
die sich der Staat nicht kümmerte, ein LÄuoaticmg.1 IZom'ä, eine Art Unter¬
richtsministerium geschaffen worden ist? Nicht weniger groß, wenn anch nicht
so augenfällig, ist der Wechsel der Auffassung in Frankreich, wo man uns in
manchen Unterrichtszweigen, z. V. im Handfertigkeitsunterricht, weit übertroffen
hat. Inmitten dieser Bewegung müssen wir uns sagen, daß die Worte, die
Friedrich Wilhelm III. in den Mund gelegt werden: "Der Staat muß durch
geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren hat," eine tiefe, frucht¬
bringende Wahrheit nicht bloß für die Zeit waren, wo sich Preußen mit geistigen
Mitteln aus seinem politischen Verfall emporarbeite" mußte. Die physischen
Kräfte eines Staates können niemals auf die Stärkung durch geistige ver¬
zichten. Deutschland besonders wird durch seine geographische Lage und durch
die fortwirkenden Bedingungen seiner geschichtlichen Entwicklung beständig auf¬
gefordert, mindestens so stark zu sein wie seine Nachbarn, Und da es zu der
kleinen Zahl von Kulturstaaten gehört, die einen weit über das Maß ihrer
Fläche und Volkszahl hinausgehenden Einfluß auf die ganze Welt üben, fo


Ausdehnung des Hochschulunterrichts

zu Vergessen, was sie der Thatsache verdanken, daß sie lange Zeit das best¬
geschulte Volk der Erde waren? Und wenn man hinzufügte: Die cmglo-
keltischen Völker sind von der Überzeugung durchdrungen, daß sie im Bildnngs-
wesen die Deutschen übertreffen müssen, wenn sich ihre Ansprüche auf Welt¬
herrschaft erfüllen sollen? Vor zwanzig Jahren hätten wir solche Möglichkeiten
ungläubig abgelehnt. Seitdem ist aber ein solcher Bildungswetteifer unter
den Völkern entbrannt, daß wir alle Ursache haben, wachsam um uns zu
schauen. Gerade daß sich Deutschland aus seiner Schwäche und Gefährdung
emporgerungen hat, hat andre Völker auf unsre früher unterschätzten geistigen
Mächte hingewiesen. Nie ist die politische Wertschätzung der Bildung so groß
gewesen wie heute. Zwar über die „allgemeine" Bildung, die die frühern
Geschlechter wie ein Arkanum suchten, lachen unsre Zeitgenossen. Das Wort
„gebildet" hat seine schöne Prägung eingebüßt. „Ein gebildeter Mensch" be¬
deutet gerade in den gebildeten Kreisen nicht mehr an und für sich eine Em¬
pfehlung. Auch das Lob der Belesenheit hört sich jetzt schon altmodisch an.
Während aber die Einzelnen thun, als ob ihnen die Bildung gleichgiltiger ge¬
worden wäre, streben die Nationen mit aller Macht darauf hin, möglichst vielen
Bildung zu vermitteln, weil sie darin eine Quelle der zwei Vorzüge ahnen,
die jedes Volk erwerben möchte: des Reichtums und der Macht. Da dieses
Streben nun im Innern jedes Volkes einem Strom von Freiheits- und Gleich¬
heitsideen begegnet, dem es sich nur anzuvertrauen braucht, um breite Bahn
zu finden, so sehen wir, wie überall die Bildungsfragen politische Form an¬
nehmen und von dem Wetteifer der Parteien wie keine andern vorwärts getragen
werden. Giebt es einen deutlichern Beweis dafür, als daß in der Regierung
der Vereinigten Staaten, wo selbst in den Einzelstaaten vor hundert Jahren
der Unterricht jeder Art Sache der Privatleute und Körperschaften war, um
die sich der Staat nicht kümmerte, ein LÄuoaticmg.1 IZom'ä, eine Art Unter¬
richtsministerium geschaffen worden ist? Nicht weniger groß, wenn anch nicht
so augenfällig, ist der Wechsel der Auffassung in Frankreich, wo man uns in
manchen Unterrichtszweigen, z. V. im Handfertigkeitsunterricht, weit übertroffen
hat. Inmitten dieser Bewegung müssen wir uns sagen, daß die Worte, die
Friedrich Wilhelm III. in den Mund gelegt werden: „Der Staat muß durch
geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren hat," eine tiefe, frucht¬
bringende Wahrheit nicht bloß für die Zeit waren, wo sich Preußen mit geistigen
Mitteln aus seinem politischen Verfall emporarbeite» mußte. Die physischen
Kräfte eines Staates können niemals auf die Stärkung durch geistige ver¬
zichten. Deutschland besonders wird durch seine geographische Lage und durch
die fortwirkenden Bedingungen seiner geschichtlichen Entwicklung beständig auf¬
gefordert, mindestens so stark zu sein wie seine Nachbarn, Und da es zu der
kleinen Zahl von Kulturstaaten gehört, die einen weit über das Maß ihrer
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[0418] Ausdehnung des Hochschulunterrichts zu Vergessen, was sie der Thatsache verdanken, daß sie lange Zeit das best¬ geschulte Volk der Erde waren? Und wenn man hinzufügte: Die cmglo- keltischen Völker sind von der Überzeugung durchdrungen, daß sie im Bildnngs- wesen die Deutschen übertreffen müssen, wenn sich ihre Ansprüche auf Welt¬ herrschaft erfüllen sollen? Vor zwanzig Jahren hätten wir solche Möglichkeiten ungläubig abgelehnt. Seitdem ist aber ein solcher Bildungswetteifer unter den Völkern entbrannt, daß wir alle Ursache haben, wachsam um uns zu schauen. Gerade daß sich Deutschland aus seiner Schwäche und Gefährdung emporgerungen hat, hat andre Völker auf unsre früher unterschätzten geistigen Mächte hingewiesen. Nie ist die politische Wertschätzung der Bildung so groß gewesen wie heute. Zwar über die „allgemeine" Bildung, die die frühern Geschlechter wie ein Arkanum suchten, lachen unsre Zeitgenossen. Das Wort „gebildet" hat seine schöne Prägung eingebüßt. „Ein gebildeter Mensch" be¬ deutet gerade in den gebildeten Kreisen nicht mehr an und für sich eine Em¬ pfehlung. Auch das Lob der Belesenheit hört sich jetzt schon altmodisch an. Während aber die Einzelnen thun, als ob ihnen die Bildung gleichgiltiger ge¬ worden wäre, streben die Nationen mit aller Macht darauf hin, möglichst vielen Bildung zu vermitteln, weil sie darin eine Quelle der zwei Vorzüge ahnen, die jedes Volk erwerben möchte: des Reichtums und der Macht. Da dieses Streben nun im Innern jedes Volkes einem Strom von Freiheits- und Gleich¬ heitsideen begegnet, dem es sich nur anzuvertrauen braucht, um breite Bahn zu finden, so sehen wir, wie überall die Bildungsfragen politische Form an¬ nehmen und von dem Wetteifer der Parteien wie keine andern vorwärts getragen werden. Giebt es einen deutlichern Beweis dafür, als daß in der Regierung der Vereinigten Staaten, wo selbst in den Einzelstaaten vor hundert Jahren der Unterricht jeder Art Sache der Privatleute und Körperschaften war, um die sich der Staat nicht kümmerte, ein LÄuoaticmg.1 IZom'ä, eine Art Unter¬ richtsministerium geschaffen worden ist? Nicht weniger groß, wenn anch nicht so augenfällig, ist der Wechsel der Auffassung in Frankreich, wo man uns in manchen Unterrichtszweigen, z. V. im Handfertigkeitsunterricht, weit übertroffen hat. Inmitten dieser Bewegung müssen wir uns sagen, daß die Worte, die Friedrich Wilhelm III. in den Mund gelegt werden: „Der Staat muß durch geistige Kräfte ersetzen, was er an physischen verloren hat," eine tiefe, frucht¬ bringende Wahrheit nicht bloß für die Zeit waren, wo sich Preußen mit geistigen Mitteln aus seinem politischen Verfall emporarbeite» mußte. Die physischen Kräfte eines Staates können niemals auf die Stärkung durch geistige ver¬ zichten. Deutschland besonders wird durch seine geographische Lage und durch die fortwirkenden Bedingungen seiner geschichtlichen Entwicklung beständig auf¬ gefordert, mindestens so stark zu sein wie seine Nachbarn, Und da es zu der kleinen Zahl von Kulturstaaten gehört, die einen weit über das Maß ihrer Fläche und Volkszahl hinausgehenden Einfluß auf die ganze Welt üben, fo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/418>, abgerufen am 22.07.2024.