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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Vorbildung unsrer Aolonialbeamten

Volk und sein Staat die Verhältnisse der Kolonien beobachtet, und dieses Auge
thut nicht seine Pflicht, wenn es sich schließt oder nur starr nach einer Rich¬
tung blickt; aber um verständnisvoll umherschauen zu können, muß es zuvor
sehen gelernt haben.

Das alte Vorurteil, daß Wissenschaft und praktisches Leben einander fremd
sein müßten, ist längst zerstoben. Welchen ungeheuern Wert die deutsche
Wissenschaft sür unser Volk und unsre Weltstellung hat, ist offenkundig.
Aber die unmittelbar daraus folgende Wahrheit, daß jede Unterstützung der
wissenschaftlichen Thätigkeit mittelbar dem ganzen Volke zu gute kommt, findet
nur allzu häufig noch taube Ohren. Wenn irgendwo, so sollte in der Ko¬
lonialpolitik diese Erkenntnis durchdringen, denn hier sind auch die un¬
mittelbarsten Vorteile von der wissenschaftlichen Mitarbeit zu erwarten. Trotz¬
dem scheint es noch mancher harten Erfahrung zu bedürfen, ehe man dem
Beispiele des kleinen Hollands folgt und den Kolonialbeamten eine ausreichende
wissenschaftliche Vorbildung für ihren Beruf mit auf den Weg giebt.

Das Bedürfnis selbst ist so dringend und so begründet, daß es unbedingt
mit der Zeit seine Befriedigung finden wird; eine Bildungsstätte für Kolonial¬
beamte wird in irgend einer Form geschaffen werden. Man wird darauf
bedacht sein, den Beamten einerseits eine rein praktische, andrerseits eine wissen¬
schaftliche Vorbildung zu geben, ohne daß übrigens diese beiden Lehrstoffe völlig
zu trennen wären. Von den praktischen Lehrfächern soll an dieser Stelle ab¬
gesehen werden; die wissenschaftliche Vorbildung dürfte dagegen am richtigsten
Wohl in der Weise erfolgen, daß eine gemeinsame Grundlage für alle Beamten
vorgeschrieben wird, während zwischen einer Anzahl andrer Fächer die Wahl
freisteht. Das Ganze würde demnach mehr den Charakter einer Hochschule
als etwa den eines Gymnasiums tragen, was ja auch dem Alter und der
Bildungsstufe der Schüler vollkommen entspräche, und so wären denn auch
die Lehrkräfte vorwiegend aus akademischen Kreisen zu wählen. Diese Fragen
würden sich bei einigem guten Willen sehr leicht lösen lassen; dagegen liegt
die Möglichkeit sehr nahe, daß bei der Auswahl der Lehrfächer verhängnis¬
volle Mißgriffe geschehen.

Es ist unbestreitbar, daß naturwissenschaftliche Kenntnisse nicht nur für
den Kolonialbeamten selbst von großem Nutzen sind, sondern daß sie ihn auch
befähigen, in seinem Wirkungskreise der Wissenschaft als solcher unschätzbare
Dienste zu leisten. Die Vertreter der Naturwissenschaften haben es glücklicher¬
weise auch verstanden, die große Bedeutung ihrer Fächer im Laufe der Zeit
in ein fo Helles Licht zu setzen, daß kaum jemand versuchen dürste, gegen ihre
Berücksichtigung Einspruch zu erheben. Eine andre Wissenschaft aber, die an
erste Stelle gehören müßte, hat noch immer nicht entfernt die Anerkennung
gefunden, die ihr gebührt, und die sie gerade in diesem Falle fordern muß:
die Völkerkunde.


Grenzboten II 1896 SO
Die Vorbildung unsrer Aolonialbeamten

Volk und sein Staat die Verhältnisse der Kolonien beobachtet, und dieses Auge
thut nicht seine Pflicht, wenn es sich schließt oder nur starr nach einer Rich¬
tung blickt; aber um verständnisvoll umherschauen zu können, muß es zuvor
sehen gelernt haben.

Das alte Vorurteil, daß Wissenschaft und praktisches Leben einander fremd
sein müßten, ist längst zerstoben. Welchen ungeheuern Wert die deutsche
Wissenschaft sür unser Volk und unsre Weltstellung hat, ist offenkundig.
Aber die unmittelbar daraus folgende Wahrheit, daß jede Unterstützung der
wissenschaftlichen Thätigkeit mittelbar dem ganzen Volke zu gute kommt, findet
nur allzu häufig noch taube Ohren. Wenn irgendwo, so sollte in der Ko¬
lonialpolitik diese Erkenntnis durchdringen, denn hier sind auch die un¬
mittelbarsten Vorteile von der wissenschaftlichen Mitarbeit zu erwarten. Trotz¬
dem scheint es noch mancher harten Erfahrung zu bedürfen, ehe man dem
Beispiele des kleinen Hollands folgt und den Kolonialbeamten eine ausreichende
wissenschaftliche Vorbildung für ihren Beruf mit auf den Weg giebt.

Das Bedürfnis selbst ist so dringend und so begründet, daß es unbedingt
mit der Zeit seine Befriedigung finden wird; eine Bildungsstätte für Kolonial¬
beamte wird in irgend einer Form geschaffen werden. Man wird darauf
bedacht sein, den Beamten einerseits eine rein praktische, andrerseits eine wissen¬
schaftliche Vorbildung zu geben, ohne daß übrigens diese beiden Lehrstoffe völlig
zu trennen wären. Von den praktischen Lehrfächern soll an dieser Stelle ab¬
gesehen werden; die wissenschaftliche Vorbildung dürfte dagegen am richtigsten
Wohl in der Weise erfolgen, daß eine gemeinsame Grundlage für alle Beamten
vorgeschrieben wird, während zwischen einer Anzahl andrer Fächer die Wahl
freisteht. Das Ganze würde demnach mehr den Charakter einer Hochschule
als etwa den eines Gymnasiums tragen, was ja auch dem Alter und der
Bildungsstufe der Schüler vollkommen entspräche, und so wären denn auch
die Lehrkräfte vorwiegend aus akademischen Kreisen zu wählen. Diese Fragen
würden sich bei einigem guten Willen sehr leicht lösen lassen; dagegen liegt
die Möglichkeit sehr nahe, daß bei der Auswahl der Lehrfächer verhängnis¬
volle Mißgriffe geschehen.

Es ist unbestreitbar, daß naturwissenschaftliche Kenntnisse nicht nur für
den Kolonialbeamten selbst von großem Nutzen sind, sondern daß sie ihn auch
befähigen, in seinem Wirkungskreise der Wissenschaft als solcher unschätzbare
Dienste zu leisten. Die Vertreter der Naturwissenschaften haben es glücklicher¬
weise auch verstanden, die große Bedeutung ihrer Fächer im Laufe der Zeit
in ein fo Helles Licht zu setzen, daß kaum jemand versuchen dürste, gegen ihre
Berücksichtigung Einspruch zu erheben. Eine andre Wissenschaft aber, die an
erste Stelle gehören müßte, hat noch immer nicht entfernt die Anerkennung
gefunden, die ihr gebührt, und die sie gerade in diesem Falle fordern muß:
die Völkerkunde.


Grenzboten II 1896 SO
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[0401] Die Vorbildung unsrer Aolonialbeamten Volk und sein Staat die Verhältnisse der Kolonien beobachtet, und dieses Auge thut nicht seine Pflicht, wenn es sich schließt oder nur starr nach einer Rich¬ tung blickt; aber um verständnisvoll umherschauen zu können, muß es zuvor sehen gelernt haben. Das alte Vorurteil, daß Wissenschaft und praktisches Leben einander fremd sein müßten, ist längst zerstoben. Welchen ungeheuern Wert die deutsche Wissenschaft sür unser Volk und unsre Weltstellung hat, ist offenkundig. Aber die unmittelbar daraus folgende Wahrheit, daß jede Unterstützung der wissenschaftlichen Thätigkeit mittelbar dem ganzen Volke zu gute kommt, findet nur allzu häufig noch taube Ohren. Wenn irgendwo, so sollte in der Ko¬ lonialpolitik diese Erkenntnis durchdringen, denn hier sind auch die un¬ mittelbarsten Vorteile von der wissenschaftlichen Mitarbeit zu erwarten. Trotz¬ dem scheint es noch mancher harten Erfahrung zu bedürfen, ehe man dem Beispiele des kleinen Hollands folgt und den Kolonialbeamten eine ausreichende wissenschaftliche Vorbildung für ihren Beruf mit auf den Weg giebt. Das Bedürfnis selbst ist so dringend und so begründet, daß es unbedingt mit der Zeit seine Befriedigung finden wird; eine Bildungsstätte für Kolonial¬ beamte wird in irgend einer Form geschaffen werden. Man wird darauf bedacht sein, den Beamten einerseits eine rein praktische, andrerseits eine wissen¬ schaftliche Vorbildung zu geben, ohne daß übrigens diese beiden Lehrstoffe völlig zu trennen wären. Von den praktischen Lehrfächern soll an dieser Stelle ab¬ gesehen werden; die wissenschaftliche Vorbildung dürfte dagegen am richtigsten Wohl in der Weise erfolgen, daß eine gemeinsame Grundlage für alle Beamten vorgeschrieben wird, während zwischen einer Anzahl andrer Fächer die Wahl freisteht. Das Ganze würde demnach mehr den Charakter einer Hochschule als etwa den eines Gymnasiums tragen, was ja auch dem Alter und der Bildungsstufe der Schüler vollkommen entspräche, und so wären denn auch die Lehrkräfte vorwiegend aus akademischen Kreisen zu wählen. Diese Fragen würden sich bei einigem guten Willen sehr leicht lösen lassen; dagegen liegt die Möglichkeit sehr nahe, daß bei der Auswahl der Lehrfächer verhängnis¬ volle Mißgriffe geschehen. Es ist unbestreitbar, daß naturwissenschaftliche Kenntnisse nicht nur für den Kolonialbeamten selbst von großem Nutzen sind, sondern daß sie ihn auch befähigen, in seinem Wirkungskreise der Wissenschaft als solcher unschätzbare Dienste zu leisten. Die Vertreter der Naturwissenschaften haben es glücklicher¬ weise auch verstanden, die große Bedeutung ihrer Fächer im Laufe der Zeit in ein fo Helles Licht zu setzen, daß kaum jemand versuchen dürste, gegen ihre Berücksichtigung Einspruch zu erheben. Eine andre Wissenschaft aber, die an erste Stelle gehören müßte, hat noch immer nicht entfernt die Anerkennung gefunden, die ihr gebührt, und die sie gerade in diesem Falle fordern muß: die Völkerkunde. Grenzboten II 1896 SO

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/401>, abgerufen am 29.06.2024.