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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die Vorbildung unsrer Aolonialbeamten

Ist die Büreaukratie als solche wirklich so schlimm? Es ist kaum anzu¬
nehmen, daß die herkömmliche Schulung den deutschen Beamtenstand so ver¬
knöchere, daß er nun zu allen Leistungen unfähig würde, die einigermaßen vom
alten Schlendrian abweichen; die berühmte "Schneidigkeit" ferner, die aus dem
Institut der Reserveoffiziere den größten Teil ihrer Nahrung saugt, ist andern
Völkern gegenüber eine gefährliche, aber unter Umständen auch recht nützliche
Eigenschaft. Daß sich beide Eigentümlichkeiten dennoch so vielfach verhängnisvoll
erwiesen haben, liegt an dem Fehlen eines dritten, ganz unerläßlichen Umstands:
unsern Kolonialbeamten mangelt im allgemeinen gänzlich das Interesse und
damit auch das Verständnis für ihre neuen Schutzbefohlnen. Außer mehr
oder weniger uuabgeklärten romantischen Vorstellungen über den neuen Wir¬
kungskreis, einigen praktischen Ratschlägen und etwas Sprachkenntnis dürften
die meisten unsrer Beamten nichts weiter mitbringen als die Erfahrungen einer
kurzen Beamtenlaufbahn, die sich unter ganz andern Verhältnissen abgespielt
hat, als die sind, mit denen sie sich nunmehr abzufinden haben. Der Versuch,
die gewohnten Geschäftsformen in der alten Weise anzuwenden, führt natürlich
zu wunderlichen Ergebnissen, und die Beobachtung, daß der in bestimmten
engbegrenzten Formen erzogne Mensch völlig die Zügel der Selbstbeherrschung
verliert, wenn er einmal aus seiner alten Bahn geschleudert ist, bestätigt sich
auch hier. Der Kolonialbeamte aber soll vor allem ein echter, ganzer Mensch
sein, nicht das Teilchen einer Maschine, das unbrauchbar wird, sobald es aus
seiner Stelle in dem wohlgefügten Räderwerke herausgenommen ist; er soll
verstehen, was um ihn her lebt und vorgeht, und aus diesem Verständnis
heraus soll er handeln und richten.

Das volle, praktische Verständnis wird allerdings nur an Ort und Stelle
und nach längerer Zeit zu erreichen sein; aber vorbereiten und erleichtern
können wir es dem zukünftigen Kvlonialbeamten schon in Deutschland, und
daß dies so wenig oder gar nicht geschieht, ist ein schwerer Mangel. Wir
haben nicht entfernt die Mittel der Vorbildung, die z. V. dem holländischen
Aspiranten einer Kolouialanstellung nicht nur zur Verfügung stehen, sondern
mit denen er sich thatsächlich befreunden muß, wenn er überhaupt auf An¬
stellung rechnen will. Es wäre falsch, den holländischen Lehrplan mit seinem
ungeheuern Prüfungsstoff einfach zu übernehmen und auf dieser Grundlage
eine "Kolonialschule" zu errichten; es ist vielleicht richtiger, wenige Fächer
gründlich zu behandeln und eine Anzahl andrer der Auswahl des Lernenden
zu überlassen, als eine Fülle von Bildungsstoff in kurzer Zeit zuzuführen,
die nun einmal nicht wahrhaft zu bewältigen ist. Doch ist der Grundgedanke
des holländischen Verfahrens sehr richtig: der Kolonialbeamte soll nicht
nur eine politische Aufgabe erfüllen, sondern auch eine wissenschaftliche. Er
steht als Pionier in einer fremdartigen Welt, die er besser kennen zu lernen
vermag, als irgendein andrer, er ist gewissermaßen das Auge, durch das sein


Die Vorbildung unsrer Aolonialbeamten

Ist die Büreaukratie als solche wirklich so schlimm? Es ist kaum anzu¬
nehmen, daß die herkömmliche Schulung den deutschen Beamtenstand so ver¬
knöchere, daß er nun zu allen Leistungen unfähig würde, die einigermaßen vom
alten Schlendrian abweichen; die berühmte „Schneidigkeit" ferner, die aus dem
Institut der Reserveoffiziere den größten Teil ihrer Nahrung saugt, ist andern
Völkern gegenüber eine gefährliche, aber unter Umständen auch recht nützliche
Eigenschaft. Daß sich beide Eigentümlichkeiten dennoch so vielfach verhängnisvoll
erwiesen haben, liegt an dem Fehlen eines dritten, ganz unerläßlichen Umstands:
unsern Kolonialbeamten mangelt im allgemeinen gänzlich das Interesse und
damit auch das Verständnis für ihre neuen Schutzbefohlnen. Außer mehr
oder weniger uuabgeklärten romantischen Vorstellungen über den neuen Wir¬
kungskreis, einigen praktischen Ratschlägen und etwas Sprachkenntnis dürften
die meisten unsrer Beamten nichts weiter mitbringen als die Erfahrungen einer
kurzen Beamtenlaufbahn, die sich unter ganz andern Verhältnissen abgespielt
hat, als die sind, mit denen sie sich nunmehr abzufinden haben. Der Versuch,
die gewohnten Geschäftsformen in der alten Weise anzuwenden, führt natürlich
zu wunderlichen Ergebnissen, und die Beobachtung, daß der in bestimmten
engbegrenzten Formen erzogne Mensch völlig die Zügel der Selbstbeherrschung
verliert, wenn er einmal aus seiner alten Bahn geschleudert ist, bestätigt sich
auch hier. Der Kolonialbeamte aber soll vor allem ein echter, ganzer Mensch
sein, nicht das Teilchen einer Maschine, das unbrauchbar wird, sobald es aus
seiner Stelle in dem wohlgefügten Räderwerke herausgenommen ist; er soll
verstehen, was um ihn her lebt und vorgeht, und aus diesem Verständnis
heraus soll er handeln und richten.

Das volle, praktische Verständnis wird allerdings nur an Ort und Stelle
und nach längerer Zeit zu erreichen sein; aber vorbereiten und erleichtern
können wir es dem zukünftigen Kvlonialbeamten schon in Deutschland, und
daß dies so wenig oder gar nicht geschieht, ist ein schwerer Mangel. Wir
haben nicht entfernt die Mittel der Vorbildung, die z. V. dem holländischen
Aspiranten einer Kolouialanstellung nicht nur zur Verfügung stehen, sondern
mit denen er sich thatsächlich befreunden muß, wenn er überhaupt auf An¬
stellung rechnen will. Es wäre falsch, den holländischen Lehrplan mit seinem
ungeheuern Prüfungsstoff einfach zu übernehmen und auf dieser Grundlage
eine „Kolonialschule" zu errichten; es ist vielleicht richtiger, wenige Fächer
gründlich zu behandeln und eine Anzahl andrer der Auswahl des Lernenden
zu überlassen, als eine Fülle von Bildungsstoff in kurzer Zeit zuzuführen,
die nun einmal nicht wahrhaft zu bewältigen ist. Doch ist der Grundgedanke
des holländischen Verfahrens sehr richtig: der Kolonialbeamte soll nicht
nur eine politische Aufgabe erfüllen, sondern auch eine wissenschaftliche. Er
steht als Pionier in einer fremdartigen Welt, die er besser kennen zu lernen
vermag, als irgendein andrer, er ist gewissermaßen das Auge, durch das sein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/400>, abgerufen am 01.07.2024.