nachsichtiger Milde gedacht wurde, recht deutlich sehen, welches Übergewicht die Kurie in einem nach Bekenntnissen gemischten Staatswesen hat, weil die weltliche Macht durch die Befürchtung gelähmt ist, den Zwiespalt der Bekenntnisse zu entzünden. Die Reden in München waren von der Vor¬ stellung beherrscht, als ob Deutschland von zwei Nationen bewohnt wäre, von einer katholischen und einer protestantischen, die sich etwa gegenüberstünden wie Tschechen und Deutsche in Böhmen. Von den deutschen Katholiken sprach man, als wären sie von einer protestantischen Mehrheit im Reiche erdrückt; die nationalen Ideale, die Größe und die Macht des gemeinschaftlichen Vater¬ landes wurden wie eine protestantische Angelegenheit behandelt, die die Katholiken in Deutschland gar nicht berühre. Nicht einmal das Friedensprogramm des deutschen Reichs wurde als eine gemeinschaftliche Sache betrachtet; die deutschen Katholiken sollten nach der Meinung der Versammlung "mit den Katholiken des ganzen Erdkreises mit aller Energie und Zähigkeit ihres Charakters die Erledigung der römischen Frage herbeiführen." Während die uns verbündeten katholischen Italiener den nationalen Gedenktag der Befreiung von Rom in dankbarer, durch keinen Mißton gestörter Begeisterung gefeiert haben, sollten die katholischen Deutschen auf Befehl Roms, verkündet durch die Versammlung deutscher Bischöfe in Fulda. den Gedenktag in Zerknirschung und in bußfertigem Gebete verbringen und dem Kardinalstaatssekretär durch Drahtbotschaften melden, wie betrübt die katholischen Deutschen über die gottlose Freude der katholischen Italiener seien.
Zur Erhaltung des Friedens hat das deutsche Reich den Dreibund ge¬ schlossen. Deutschland ist, wie dereinst das römische Reich, "vom Schlachten¬ ruhm so gesättigt, daß es auch andern Völkern den Frieden gönnt." Und nun sollen die katholischen Deutschen -- und mag auch daraus ein allgemeiner Weltbrand entstehen -- für die Wiederherstellung des Kirchenstaates eintreten und zu solchen Zwecken das höchste Gut der Völker, den Frieden, aufs Spiel setzen. Die in Deutschland wohnhaften Katholiken sollen sich für eine Sache begeistern, die die auswärtigen Glaubensgenossen doch recht kaltblütig betrachten, daneben sollen sich die deutschen Katholiken auch noch erwärmen für die Wieder¬ herstellung der Wallfahrt von Loreto und für die Heiligsprechung des Jesuiten Eanisius, des großen Friedensstörers.
Auch in andern Ländern werden Katholikentage abgehalten, in Frankreich, in Spanien, in Belgien, in Italien; aber dort beschäftigt man sich meist mit Angelegenheiten des Glaubens und der sozialen Wirren. Niemals aber würde sich auf diesen Versammlungen ein Redner erdreisten, das Nationalgefühl zu beleidigen oder einen Zwiespalt zu fördern, der die nationale Einheit gefährdet.
In neuerer Zeit weist die katholische Presse darauf hin, daß nur die Kirche imstande sei, die drohenden sozialen Gefahren zu beschwören, und daß das deutsche Reich in unseliger Verblendung handle, wenn es die Hilfe der
Vas deutsche Reich und die Kurie
nachsichtiger Milde gedacht wurde, recht deutlich sehen, welches Übergewicht die Kurie in einem nach Bekenntnissen gemischten Staatswesen hat, weil die weltliche Macht durch die Befürchtung gelähmt ist, den Zwiespalt der Bekenntnisse zu entzünden. Die Reden in München waren von der Vor¬ stellung beherrscht, als ob Deutschland von zwei Nationen bewohnt wäre, von einer katholischen und einer protestantischen, die sich etwa gegenüberstünden wie Tschechen und Deutsche in Böhmen. Von den deutschen Katholiken sprach man, als wären sie von einer protestantischen Mehrheit im Reiche erdrückt; die nationalen Ideale, die Größe und die Macht des gemeinschaftlichen Vater¬ landes wurden wie eine protestantische Angelegenheit behandelt, die die Katholiken in Deutschland gar nicht berühre. Nicht einmal das Friedensprogramm des deutschen Reichs wurde als eine gemeinschaftliche Sache betrachtet; die deutschen Katholiken sollten nach der Meinung der Versammlung „mit den Katholiken des ganzen Erdkreises mit aller Energie und Zähigkeit ihres Charakters die Erledigung der römischen Frage herbeiführen." Während die uns verbündeten katholischen Italiener den nationalen Gedenktag der Befreiung von Rom in dankbarer, durch keinen Mißton gestörter Begeisterung gefeiert haben, sollten die katholischen Deutschen auf Befehl Roms, verkündet durch die Versammlung deutscher Bischöfe in Fulda. den Gedenktag in Zerknirschung und in bußfertigem Gebete verbringen und dem Kardinalstaatssekretär durch Drahtbotschaften melden, wie betrübt die katholischen Deutschen über die gottlose Freude der katholischen Italiener seien.
Zur Erhaltung des Friedens hat das deutsche Reich den Dreibund ge¬ schlossen. Deutschland ist, wie dereinst das römische Reich, „vom Schlachten¬ ruhm so gesättigt, daß es auch andern Völkern den Frieden gönnt." Und nun sollen die katholischen Deutschen — und mag auch daraus ein allgemeiner Weltbrand entstehen — für die Wiederherstellung des Kirchenstaates eintreten und zu solchen Zwecken das höchste Gut der Völker, den Frieden, aufs Spiel setzen. Die in Deutschland wohnhaften Katholiken sollen sich für eine Sache begeistern, die die auswärtigen Glaubensgenossen doch recht kaltblütig betrachten, daneben sollen sich die deutschen Katholiken auch noch erwärmen für die Wieder¬ herstellung der Wallfahrt von Loreto und für die Heiligsprechung des Jesuiten Eanisius, des großen Friedensstörers.
Auch in andern Ländern werden Katholikentage abgehalten, in Frankreich, in Spanien, in Belgien, in Italien; aber dort beschäftigt man sich meist mit Angelegenheiten des Glaubens und der sozialen Wirren. Niemals aber würde sich auf diesen Versammlungen ein Redner erdreisten, das Nationalgefühl zu beleidigen oder einen Zwiespalt zu fördern, der die nationale Einheit gefährdet.
In neuerer Zeit weist die katholische Presse darauf hin, daß nur die Kirche imstande sei, die drohenden sozialen Gefahren zu beschwören, und daß das deutsche Reich in unseliger Verblendung handle, wenn es die Hilfe der
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[0347]
Vas deutsche Reich und die Kurie
nachsichtiger Milde gedacht wurde, recht deutlich sehen, welches Übergewicht
die Kurie in einem nach Bekenntnissen gemischten Staatswesen hat, weil
die weltliche Macht durch die Befürchtung gelähmt ist, den Zwiespalt
der Bekenntnisse zu entzünden. Die Reden in München waren von der Vor¬
stellung beherrscht, als ob Deutschland von zwei Nationen bewohnt wäre, von
einer katholischen und einer protestantischen, die sich etwa gegenüberstünden
wie Tschechen und Deutsche in Böhmen. Von den deutschen Katholiken sprach
man, als wären sie von einer protestantischen Mehrheit im Reiche erdrückt;
die nationalen Ideale, die Größe und die Macht des gemeinschaftlichen Vater¬
landes wurden wie eine protestantische Angelegenheit behandelt, die die Katholiken
in Deutschland gar nicht berühre. Nicht einmal das Friedensprogramm des
deutschen Reichs wurde als eine gemeinschaftliche Sache betrachtet; die deutschen
Katholiken sollten nach der Meinung der Versammlung „mit den Katholiken
des ganzen Erdkreises mit aller Energie und Zähigkeit ihres Charakters die
Erledigung der römischen Frage herbeiführen." Während die uns verbündeten
katholischen Italiener den nationalen Gedenktag der Befreiung von Rom in
dankbarer, durch keinen Mißton gestörter Begeisterung gefeiert haben, sollten
die katholischen Deutschen auf Befehl Roms, verkündet durch die Versammlung
deutscher Bischöfe in Fulda. den Gedenktag in Zerknirschung und in bußfertigem
Gebete verbringen und dem Kardinalstaatssekretär durch Drahtbotschaften melden,
wie betrübt die katholischen Deutschen über die gottlose Freude der katholischen
Italiener seien.
Zur Erhaltung des Friedens hat das deutsche Reich den Dreibund ge¬
schlossen. Deutschland ist, wie dereinst das römische Reich, „vom Schlachten¬
ruhm so gesättigt, daß es auch andern Völkern den Frieden gönnt." Und nun
sollen die katholischen Deutschen — und mag auch daraus ein allgemeiner
Weltbrand entstehen — für die Wiederherstellung des Kirchenstaates eintreten
und zu solchen Zwecken das höchste Gut der Völker, den Frieden, aufs Spiel
setzen. Die in Deutschland wohnhaften Katholiken sollen sich für eine Sache
begeistern, die die auswärtigen Glaubensgenossen doch recht kaltblütig betrachten,
daneben sollen sich die deutschen Katholiken auch noch erwärmen für die Wieder¬
herstellung der Wallfahrt von Loreto und für die Heiligsprechung des Jesuiten
Eanisius, des großen Friedensstörers.
Auch in andern Ländern werden Katholikentage abgehalten, in Frankreich,
in Spanien, in Belgien, in Italien; aber dort beschäftigt man sich meist mit
Angelegenheiten des Glaubens und der sozialen Wirren. Niemals aber würde
sich auf diesen Versammlungen ein Redner erdreisten, das Nationalgefühl zu
beleidigen oder einen Zwiespalt zu fördern, der die nationale Einheit gefährdet.
In neuerer Zeit weist die katholische Presse darauf hin, daß nur die
Kirche imstande sei, die drohenden sozialen Gefahren zu beschwören, und daß
das deutsche Reich in unseliger Verblendung handle, wenn es die Hilfe der
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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/347>, abgerufen am 25.01.2025.
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