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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Das deutsche Reich und die Rurie

Kirche in diesem Kampfe ablehne. Jeder Unbefangne wird dagegen fragen,
warum denn die Kirche, wenn es innerhalb der Grenzen ihrer Aufgaben liegt,
die sozialen Gefahren zu beschwören, nicht aus freien Stücken vorgeht, oder
wenn sie glaubt, der staatlichen Macht nicht entbehren zu können, warum sie
ihre Hilfe, zu der sie doch durch ihre Grundsätze verpflichtet ist, nicht an¬
spruchslos anbietet, sondern Gegenleistungen verlangt, die doch nur auf welt¬
lichem Gebiete liegen können?

Es scheint uus, daß die katholische Kirche weder den Willen, noch die
Macht hat, die sozialen Gefahren zu beschwören, daß also für das deutsche
Reich eine Bundesgenossenschcift der Kirche zur Abwendung einer gemeinschaft¬
lichen Gefahr ebenso aussichtslos wie wertlos wäre. Wir erinnern uns dabei
eines Scherzbildes, das während des letzten Krieges in Frankreich viel belacht
wurde; es war, als Nordfrankreich den Landsleuten im Süden Mangel an
Patriotismus und Opferfreudigkeit vorwerfen zu müssen glaubte. Ein Pariser
und ein Landsmann von Tartarin Tarascon besehen sich die endlos an¬
marschierenden deutschen Landwehrbataillone. Der Mann des Südens scheint
geringschätzig drein und sagt: Hrmncl uns toi8 1s Niäi so Isvsra,, xas un us
rsntrsrg. aan8 öff to^srs, worauf der Pariser fragt: M on>u8 xsn8W, "zus 1s
Uicli 86 levsrg.? Die Antwort lautete: Um, ^'s xenss, aus non!

Der Mangel an Vertrautheit mit den Überlieferungen und mit der Sprache
der Kurie hat zur Folge, daß die öffentliche Meinung stets schwankt zwischen
Überschätzung und Unterschätzung der Kundgebungen, der Absichten und der
Machtmittel Roms. Niemand ißt so heiß, als er kocht -- das kann auch die
Kurie nicht; gleichwohl muß man immer heißer kochen, als man ißt -- so
hält es auch die Kurie. Die feierliche altertümelnde Sprache, in der die Er¬
füllung der göttlichen Aufgaben durch den Stellvertreter des Herrn besprochen
wird, ist ebenso geeignet, die Gemüter zu verwirren, wie die Wehklagen über
die Geführdung des Glaubens und der Sitte durch den Staat, wenn sie auch
wie grämliche Verwünschungen eines polternden Alten über allgemeine Welt¬
verderbnis klingen. Aber auch der weinerliche Jammer, das weibische Wimmern
über die Zähigkeit und die Dreistigkeit, über die teuflische Arglist der Feinde
der Kirche verfehlen ihre Wirkung nicht, wenn man auch z. B. im katholischen
Baiern vor Jahren über diese durch zeitweilige Aufbesserung der Pfarrergehalte
verschärfte diokletianische Christenverfolgung gutmütig gewitzelt hat; und gerade
in Baiern haben sich die Verhältnisse so gestaltet, daß sich das von Karl
Stieler erdachte Schlagwort: "Liberal san mer alle, aber wähln dan mer
schwarz" als die richtig erhorchte Auffassung der Volksmeinung bewahr¬
heitet hat. Die Regierungen lassen sich nun wohl durch die tönende Sprache
der Kurie nicht bethören, aber die Gefahr des Irrtums bei der Schützung des
kirchlichen Feingehalts solcher Kundgebungen und der Erscheinungen im Partei-
leben liegt recht nahe; in solcher Schützung aber liegt die Erkenntnis der


Das deutsche Reich und die Rurie

Kirche in diesem Kampfe ablehne. Jeder Unbefangne wird dagegen fragen,
warum denn die Kirche, wenn es innerhalb der Grenzen ihrer Aufgaben liegt,
die sozialen Gefahren zu beschwören, nicht aus freien Stücken vorgeht, oder
wenn sie glaubt, der staatlichen Macht nicht entbehren zu können, warum sie
ihre Hilfe, zu der sie doch durch ihre Grundsätze verpflichtet ist, nicht an¬
spruchslos anbietet, sondern Gegenleistungen verlangt, die doch nur auf welt¬
lichem Gebiete liegen können?

Es scheint uus, daß die katholische Kirche weder den Willen, noch die
Macht hat, die sozialen Gefahren zu beschwören, daß also für das deutsche
Reich eine Bundesgenossenschcift der Kirche zur Abwendung einer gemeinschaft¬
lichen Gefahr ebenso aussichtslos wie wertlos wäre. Wir erinnern uns dabei
eines Scherzbildes, das während des letzten Krieges in Frankreich viel belacht
wurde; es war, als Nordfrankreich den Landsleuten im Süden Mangel an
Patriotismus und Opferfreudigkeit vorwerfen zu müssen glaubte. Ein Pariser
und ein Landsmann von Tartarin Tarascon besehen sich die endlos an¬
marschierenden deutschen Landwehrbataillone. Der Mann des Südens scheint
geringschätzig drein und sagt: Hrmncl uns toi8 1s Niäi so Isvsra,, xas un us
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Uicli 86 levsrg.? Die Antwort lautete: Um, ^'s xenss, aus non!

Der Mangel an Vertrautheit mit den Überlieferungen und mit der Sprache
der Kurie hat zur Folge, daß die öffentliche Meinung stets schwankt zwischen
Überschätzung und Unterschätzung der Kundgebungen, der Absichten und der
Machtmittel Roms. Niemand ißt so heiß, als er kocht — das kann auch die
Kurie nicht; gleichwohl muß man immer heißer kochen, als man ißt — so
hält es auch die Kurie. Die feierliche altertümelnde Sprache, in der die Er¬
füllung der göttlichen Aufgaben durch den Stellvertreter des Herrn besprochen
wird, ist ebenso geeignet, die Gemüter zu verwirren, wie die Wehklagen über
die Geführdung des Glaubens und der Sitte durch den Staat, wenn sie auch
wie grämliche Verwünschungen eines polternden Alten über allgemeine Welt¬
verderbnis klingen. Aber auch der weinerliche Jammer, das weibische Wimmern
über die Zähigkeit und die Dreistigkeit, über die teuflische Arglist der Feinde
der Kirche verfehlen ihre Wirkung nicht, wenn man auch z. B. im katholischen
Baiern vor Jahren über diese durch zeitweilige Aufbesserung der Pfarrergehalte
verschärfte diokletianische Christenverfolgung gutmütig gewitzelt hat; und gerade
in Baiern haben sich die Verhältnisse so gestaltet, daß sich das von Karl
Stieler erdachte Schlagwort: „Liberal san mer alle, aber wähln dan mer
schwarz" als die richtig erhorchte Auffassung der Volksmeinung bewahr¬
heitet hat. Die Regierungen lassen sich nun wohl durch die tönende Sprache
der Kurie nicht bethören, aber die Gefahr des Irrtums bei der Schützung des
kirchlichen Feingehalts solcher Kundgebungen und der Erscheinungen im Partei-
leben liegt recht nahe; in solcher Schützung aber liegt die Erkenntnis der


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[0348] Das deutsche Reich und die Rurie Kirche in diesem Kampfe ablehne. Jeder Unbefangne wird dagegen fragen, warum denn die Kirche, wenn es innerhalb der Grenzen ihrer Aufgaben liegt, die sozialen Gefahren zu beschwören, nicht aus freien Stücken vorgeht, oder wenn sie glaubt, der staatlichen Macht nicht entbehren zu können, warum sie ihre Hilfe, zu der sie doch durch ihre Grundsätze verpflichtet ist, nicht an¬ spruchslos anbietet, sondern Gegenleistungen verlangt, die doch nur auf welt¬ lichem Gebiete liegen können? Es scheint uus, daß die katholische Kirche weder den Willen, noch die Macht hat, die sozialen Gefahren zu beschwören, daß also für das deutsche Reich eine Bundesgenossenschcift der Kirche zur Abwendung einer gemeinschaft¬ lichen Gefahr ebenso aussichtslos wie wertlos wäre. Wir erinnern uns dabei eines Scherzbildes, das während des letzten Krieges in Frankreich viel belacht wurde; es war, als Nordfrankreich den Landsleuten im Süden Mangel an Patriotismus und Opferfreudigkeit vorwerfen zu müssen glaubte. Ein Pariser und ein Landsmann von Tartarin Tarascon besehen sich die endlos an¬ marschierenden deutschen Landwehrbataillone. Der Mann des Südens scheint geringschätzig drein und sagt: Hrmncl uns toi8 1s Niäi so Isvsra,, xas un us rsntrsrg. aan8 öff to^srs, worauf der Pariser fragt: M on>u8 xsn8W, «zus 1s Uicli 86 levsrg.? Die Antwort lautete: Um, ^'s xenss, aus non! Der Mangel an Vertrautheit mit den Überlieferungen und mit der Sprache der Kurie hat zur Folge, daß die öffentliche Meinung stets schwankt zwischen Überschätzung und Unterschätzung der Kundgebungen, der Absichten und der Machtmittel Roms. Niemand ißt so heiß, als er kocht — das kann auch die Kurie nicht; gleichwohl muß man immer heißer kochen, als man ißt — so hält es auch die Kurie. Die feierliche altertümelnde Sprache, in der die Er¬ füllung der göttlichen Aufgaben durch den Stellvertreter des Herrn besprochen wird, ist ebenso geeignet, die Gemüter zu verwirren, wie die Wehklagen über die Geführdung des Glaubens und der Sitte durch den Staat, wenn sie auch wie grämliche Verwünschungen eines polternden Alten über allgemeine Welt¬ verderbnis klingen. Aber auch der weinerliche Jammer, das weibische Wimmern über die Zähigkeit und die Dreistigkeit, über die teuflische Arglist der Feinde der Kirche verfehlen ihre Wirkung nicht, wenn man auch z. B. im katholischen Baiern vor Jahren über diese durch zeitweilige Aufbesserung der Pfarrergehalte verschärfte diokletianische Christenverfolgung gutmütig gewitzelt hat; und gerade in Baiern haben sich die Verhältnisse so gestaltet, daß sich das von Karl Stieler erdachte Schlagwort: „Liberal san mer alle, aber wähln dan mer schwarz" als die richtig erhorchte Auffassung der Volksmeinung bewahr¬ heitet hat. Die Regierungen lassen sich nun wohl durch die tönende Sprache der Kurie nicht bethören, aber die Gefahr des Irrtums bei der Schützung des kirchlichen Feingehalts solcher Kundgebungen und der Erscheinungen im Partei- leben liegt recht nahe; in solcher Schützung aber liegt die Erkenntnis der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/348>, abgerufen am 22.07.2024.