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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Das deutsche Reich und die Aurie

visi; der Glaube an die Göttlichkeit, an die Ewigkeit und an die Unveräußerlich¬
keit der Rechte der katholischen Kirche mußte dabei aber doch Schaden leiden.
Gerade bei katholischen Völkern und Regierungen hat sich im Laufe der Zeiten
die scheue Ehrfurcht vor den Kundgebungen der Kurie immer mehr verloren.
Andrerseits hört man oft rechtgläubige und gleichwohl gut deutsch gesinnte
Katholiken darüber klagen, daß protestantische Regierungen die innersten Ab¬
sichten der Kurie irrig auffaßten, Wesen und Form ihrer Kundgebungen nicht
richtig unterschieden, kleine Dinge überschätzten, große Dinge unterschützten, und
daß der Staat infolge von Mißgriffen bei der Wertschätzung und der Wahl
der Persönlichkeiten oft den kürzern ziehe. Das ist wohl erklärlich; gerade
für protestantische Regierungen besteht die Gefahr, daß sie, sei es aus übel
angebrachter Ehrlichkeit in der Auffassung der Dinge, sei es in dem Bestreben,
ihre Friedensliebe zu beweisen, die Bedeutung klerikaler Kundgebungen über¬
schätzen oder unterschätzen.

Lehrreich in dieser Beziehung ist ein Vergleich der Vorgänge in Frank¬
reich mit denen in Deutschland, und zwar nicht nur deshalb, weil daraus er¬
sichtlich wird, wie dehnbar und gestaltungsfähig die Ansprüche der Kurie sind,
sondern besonders deshalb, weil sich dabei die Verschiedenheit in den Auffassungen
der Regierungen kundgiebt. Die Kurie hat die republikanische Verfassung
Frankreichs anerkannt; die französische Republik aber erwidert diese Anerkennung
nicht etwa durch Zugeständnisse; sie besteht auf ihren weltlichen Rechten nach
wie vor. Die Zeiten haben sich geändert; dem stets hilfsbedürftigen, auf dem
allgemeinen Stimmrecht begründeten zweiten Kaiserreiche konnte zugemutet
werden, statt mit der Kirche sich zu zanken, sich mit ihr in die Herrschaft zu
teilen. Die Republik hat solche Bedürfnisse nicht; und sollte die Gefahr einer
monarchischen Schilderhebung drohen, dann weiß die Republik, daß sie niemals
Rom zum Bundesgenossen haben würde. Man wende nicht ein, daß die Kurie
allenthalben die bestehende Ordnung der Dinge anerkenne. Es ist noch in
guter Erinnerung, wie lebhaft und wie lange die französischen Bischöfe die
junge Republik bekämpft haben; die Gesamtheit der Geistlichkeit höherer und
niedrer Ordnung ist auch zur Zeit noch keineswegs sür die Republik gewonnen.
Wie ganz anders verhält sich die Kurie gegenüber dem deutschen Kaiserreiche
mit seiner protestantischen Mehrheit und seiner protestantischen Spitze! Die
deutsche Reichsleitung ist aber auch nicht in der Lage, der Kurie ein volles,
ungeteiltes Nationalbewußtsein entgegenzusetzen, wie die Republik in Frankreich;
dem deutschen Reiche fehlt überdies die verfassungsmäßige Zuständigkeit, um
in kirchlichen Dingen einheitlich aufzutreten. Das sind die schwachen Punkte,
auf die die Kurie ihre Angriffe richtet. Antonelli sprach gern mit berechneter
Nachlässigkeit von Preußen, wenn es sich um das deutsche Reich handelte.

Alls den Verhandlungen des jüngsten Katholikentags in München konnte
man, obwohl bei dieser Gelegenheit der Andersgläubigen mit Glimpf und mit


Das deutsche Reich und die Aurie

visi; der Glaube an die Göttlichkeit, an die Ewigkeit und an die Unveräußerlich¬
keit der Rechte der katholischen Kirche mußte dabei aber doch Schaden leiden.
Gerade bei katholischen Völkern und Regierungen hat sich im Laufe der Zeiten
die scheue Ehrfurcht vor den Kundgebungen der Kurie immer mehr verloren.
Andrerseits hört man oft rechtgläubige und gleichwohl gut deutsch gesinnte
Katholiken darüber klagen, daß protestantische Regierungen die innersten Ab¬
sichten der Kurie irrig auffaßten, Wesen und Form ihrer Kundgebungen nicht
richtig unterschieden, kleine Dinge überschätzten, große Dinge unterschützten, und
daß der Staat infolge von Mißgriffen bei der Wertschätzung und der Wahl
der Persönlichkeiten oft den kürzern ziehe. Das ist wohl erklärlich; gerade
für protestantische Regierungen besteht die Gefahr, daß sie, sei es aus übel
angebrachter Ehrlichkeit in der Auffassung der Dinge, sei es in dem Bestreben,
ihre Friedensliebe zu beweisen, die Bedeutung klerikaler Kundgebungen über¬
schätzen oder unterschätzen.

Lehrreich in dieser Beziehung ist ein Vergleich der Vorgänge in Frank¬
reich mit denen in Deutschland, und zwar nicht nur deshalb, weil daraus er¬
sichtlich wird, wie dehnbar und gestaltungsfähig die Ansprüche der Kurie sind,
sondern besonders deshalb, weil sich dabei die Verschiedenheit in den Auffassungen
der Regierungen kundgiebt. Die Kurie hat die republikanische Verfassung
Frankreichs anerkannt; die französische Republik aber erwidert diese Anerkennung
nicht etwa durch Zugeständnisse; sie besteht auf ihren weltlichen Rechten nach
wie vor. Die Zeiten haben sich geändert; dem stets hilfsbedürftigen, auf dem
allgemeinen Stimmrecht begründeten zweiten Kaiserreiche konnte zugemutet
werden, statt mit der Kirche sich zu zanken, sich mit ihr in die Herrschaft zu
teilen. Die Republik hat solche Bedürfnisse nicht; und sollte die Gefahr einer
monarchischen Schilderhebung drohen, dann weiß die Republik, daß sie niemals
Rom zum Bundesgenossen haben würde. Man wende nicht ein, daß die Kurie
allenthalben die bestehende Ordnung der Dinge anerkenne. Es ist noch in
guter Erinnerung, wie lebhaft und wie lange die französischen Bischöfe die
junge Republik bekämpft haben; die Gesamtheit der Geistlichkeit höherer und
niedrer Ordnung ist auch zur Zeit noch keineswegs sür die Republik gewonnen.
Wie ganz anders verhält sich die Kurie gegenüber dem deutschen Kaiserreiche
mit seiner protestantischen Mehrheit und seiner protestantischen Spitze! Die
deutsche Reichsleitung ist aber auch nicht in der Lage, der Kurie ein volles,
ungeteiltes Nationalbewußtsein entgegenzusetzen, wie die Republik in Frankreich;
dem deutschen Reiche fehlt überdies die verfassungsmäßige Zuständigkeit, um
in kirchlichen Dingen einheitlich aufzutreten. Das sind die schwachen Punkte,
auf die die Kurie ihre Angriffe richtet. Antonelli sprach gern mit berechneter
Nachlässigkeit von Preußen, wenn es sich um das deutsche Reich handelte.

Alls den Verhandlungen des jüngsten Katholikentags in München konnte
man, obwohl bei dieser Gelegenheit der Andersgläubigen mit Glimpf und mit


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[0346] Das deutsche Reich und die Aurie visi; der Glaube an die Göttlichkeit, an die Ewigkeit und an die Unveräußerlich¬ keit der Rechte der katholischen Kirche mußte dabei aber doch Schaden leiden. Gerade bei katholischen Völkern und Regierungen hat sich im Laufe der Zeiten die scheue Ehrfurcht vor den Kundgebungen der Kurie immer mehr verloren. Andrerseits hört man oft rechtgläubige und gleichwohl gut deutsch gesinnte Katholiken darüber klagen, daß protestantische Regierungen die innersten Ab¬ sichten der Kurie irrig auffaßten, Wesen und Form ihrer Kundgebungen nicht richtig unterschieden, kleine Dinge überschätzten, große Dinge unterschützten, und daß der Staat infolge von Mißgriffen bei der Wertschätzung und der Wahl der Persönlichkeiten oft den kürzern ziehe. Das ist wohl erklärlich; gerade für protestantische Regierungen besteht die Gefahr, daß sie, sei es aus übel angebrachter Ehrlichkeit in der Auffassung der Dinge, sei es in dem Bestreben, ihre Friedensliebe zu beweisen, die Bedeutung klerikaler Kundgebungen über¬ schätzen oder unterschätzen. Lehrreich in dieser Beziehung ist ein Vergleich der Vorgänge in Frank¬ reich mit denen in Deutschland, und zwar nicht nur deshalb, weil daraus er¬ sichtlich wird, wie dehnbar und gestaltungsfähig die Ansprüche der Kurie sind, sondern besonders deshalb, weil sich dabei die Verschiedenheit in den Auffassungen der Regierungen kundgiebt. Die Kurie hat die republikanische Verfassung Frankreichs anerkannt; die französische Republik aber erwidert diese Anerkennung nicht etwa durch Zugeständnisse; sie besteht auf ihren weltlichen Rechten nach wie vor. Die Zeiten haben sich geändert; dem stets hilfsbedürftigen, auf dem allgemeinen Stimmrecht begründeten zweiten Kaiserreiche konnte zugemutet werden, statt mit der Kirche sich zu zanken, sich mit ihr in die Herrschaft zu teilen. Die Republik hat solche Bedürfnisse nicht; und sollte die Gefahr einer monarchischen Schilderhebung drohen, dann weiß die Republik, daß sie niemals Rom zum Bundesgenossen haben würde. Man wende nicht ein, daß die Kurie allenthalben die bestehende Ordnung der Dinge anerkenne. Es ist noch in guter Erinnerung, wie lebhaft und wie lange die französischen Bischöfe die junge Republik bekämpft haben; die Gesamtheit der Geistlichkeit höherer und niedrer Ordnung ist auch zur Zeit noch keineswegs sür die Republik gewonnen. Wie ganz anders verhält sich die Kurie gegenüber dem deutschen Kaiserreiche mit seiner protestantischen Mehrheit und seiner protestantischen Spitze! Die deutsche Reichsleitung ist aber auch nicht in der Lage, der Kurie ein volles, ungeteiltes Nationalbewußtsein entgegenzusetzen, wie die Republik in Frankreich; dem deutschen Reiche fehlt überdies die verfassungsmäßige Zuständigkeit, um in kirchlichen Dingen einheitlich aufzutreten. Das sind die schwachen Punkte, auf die die Kurie ihre Angriffe richtet. Antonelli sprach gern mit berechneter Nachlässigkeit von Preußen, wenn es sich um das deutsche Reich handelte. Alls den Verhandlungen des jüngsten Katholikentags in München konnte man, obwohl bei dieser Gelegenheit der Andersgläubigen mit Glimpf und mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/346>, abgerufen am 03.07.2024.