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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Lenau und Sophie Schwab

Sinn eine für alles Schöne empfängliche Begeisterung, bei einem praktisch ab¬
wägenden Verstand ein tiefes Gemüt. Bezeichnend für das Leben in Schwabs
Familie, das Lenau so unwiderstehlich fesselte, ist folgender köstliche Brief
Schwabs an einen Freund: "So nimm denn endlich warmen, herzlichen Dank
für deine beiden Liebe und Freundschaft atmenden Briefe, mit denen du nun
schon unsre Ehe erquickt hast. Du lebst in unserm Herzen und Munde, und
es fehlt nichts, als daß du bald, recht bald unter uns tretest und auch dein
liebes Antlitz bei uns leuchten lassest. Du findest zwei gerüstete Stüblein.
recht eben für deine Größe geschaffen, und drei Betten, in die du dich wechsels¬
weise legen kannst oder dir auch eine künftige liebe Genossin und gar schon
ein Kind dazu hineinträumen. Du findest an unserm lieben Sophieukind eine
rüstige Hausfrau, allezeit etwas Gutes zu kochen und zu brauen fertig, so gut
es die Küche eines obskuren Gymnasialprofessors trügt -- bis auf einen Punsch
aber, bei dem wir recht nach alter Sitte unser Bundeslied können tönen und
die altromantische Zeit leben lassen, bringt diese es immer noch --, du findest,
sage ich, an unsrer Sophie, was du immer prophezeit hast, ein noch offner
und freier im besten Sinne des Worts gewordnes köstliches Weib. Ganz
vortrefflich paßt Sophie auch in den Zirkel meiner Familie; ihre zuvor¬
kommende Gutmütigkeit hat sie in so vollkommne Gunst meiner Eltern gesetzt,
daß sie ganz und gar wie eine von Kindesbeinen an auferzogne und geliebte
Tochter von ihnen geachtet wird."

Die glückliche Vereinigung von praktischer Bethätigung und idealem Sinn
w Sophiens Wesen, sowie der reine, keusche Geist und Familiensinn in
Schwabs Hause mußte Lenau um so tiefer zu Herzen gehen nach den traurigen,
zerrütteten Familienverhältnissen, unter denen er seine Jugend verlebt hatte,
und nach seinen Beziehungen zu "Bertha"*); bei dem verschlossenen Gemüte,
das er von Wien mit nach Stuttgart brachte, empfand er das harmonische
und abgeklärte Wesen, das ihm Schwabs Haus bot, um so tiefer. Aus
dieser Stimmung wird auch der auffällige Entschluß verständlich, den Lenau
am 13. August, also drei Tage nach seinem Weggange von Stuttgart, Schwab
mitteilte.


Geliebter, verehrter Freund!

In großer Eile (die Post geht in einer halben Stunde ab) schreib ich dir
diese Zeilen.



*) Vertha ist jenes Mädchen, das Lenau durch einen verhängnisvollen Zufall zu Anfang°^ Zwanziger Jahre in Wien kennen lernte. Sie war die (illegitime) Tochter eines Wiener
Genieinderats. Von ihrer Mutter Margarete, mit der sie zusammen lebte, als ihr Lenau näher
trat, kann das Wort des Mephistopheles gelten: ein Weib wie auserlesen zum Kuppler- und
Zigeunerwesen. Lenau gab sich dieser unglückseligen Leidenschaft rückhaltlos hin, bis er endlich
^"sah, daß er eine Unwürdige liebte. Die Trennung von Bertha geschah 1828. Die Herzens-
wunde, die Lenau aus diesen, Verhältnis davontrug, ist nie geheilt.
Lenau und Sophie Schwab

Sinn eine für alles Schöne empfängliche Begeisterung, bei einem praktisch ab¬
wägenden Verstand ein tiefes Gemüt. Bezeichnend für das Leben in Schwabs
Familie, das Lenau so unwiderstehlich fesselte, ist folgender köstliche Brief
Schwabs an einen Freund: „So nimm denn endlich warmen, herzlichen Dank
für deine beiden Liebe und Freundschaft atmenden Briefe, mit denen du nun
schon unsre Ehe erquickt hast. Du lebst in unserm Herzen und Munde, und
es fehlt nichts, als daß du bald, recht bald unter uns tretest und auch dein
liebes Antlitz bei uns leuchten lassest. Du findest zwei gerüstete Stüblein.
recht eben für deine Größe geschaffen, und drei Betten, in die du dich wechsels¬
weise legen kannst oder dir auch eine künftige liebe Genossin und gar schon
ein Kind dazu hineinträumen. Du findest an unserm lieben Sophieukind eine
rüstige Hausfrau, allezeit etwas Gutes zu kochen und zu brauen fertig, so gut
es die Küche eines obskuren Gymnasialprofessors trügt — bis auf einen Punsch
aber, bei dem wir recht nach alter Sitte unser Bundeslied können tönen und
die altromantische Zeit leben lassen, bringt diese es immer noch —, du findest,
sage ich, an unsrer Sophie, was du immer prophezeit hast, ein noch offner
und freier im besten Sinne des Worts gewordnes köstliches Weib. Ganz
vortrefflich paßt Sophie auch in den Zirkel meiner Familie; ihre zuvor¬
kommende Gutmütigkeit hat sie in so vollkommne Gunst meiner Eltern gesetzt,
daß sie ganz und gar wie eine von Kindesbeinen an auferzogne und geliebte
Tochter von ihnen geachtet wird."

Die glückliche Vereinigung von praktischer Bethätigung und idealem Sinn
w Sophiens Wesen, sowie der reine, keusche Geist und Familiensinn in
Schwabs Hause mußte Lenau um so tiefer zu Herzen gehen nach den traurigen,
zerrütteten Familienverhältnissen, unter denen er seine Jugend verlebt hatte,
und nach seinen Beziehungen zu „Bertha"*); bei dem verschlossenen Gemüte,
das er von Wien mit nach Stuttgart brachte, empfand er das harmonische
und abgeklärte Wesen, das ihm Schwabs Haus bot, um so tiefer. Aus
dieser Stimmung wird auch der auffällige Entschluß verständlich, den Lenau
am 13. August, also drei Tage nach seinem Weggange von Stuttgart, Schwab
mitteilte.


Geliebter, verehrter Freund!

In großer Eile (die Post geht in einer halben Stunde ab) schreib ich dir
diese Zeilen.



*) Vertha ist jenes Mädchen, das Lenau durch einen verhängnisvollen Zufall zu Anfang°^ Zwanziger Jahre in Wien kennen lernte. Sie war die (illegitime) Tochter eines Wiener
Genieinderats. Von ihrer Mutter Margarete, mit der sie zusammen lebte, als ihr Lenau näher
trat, kann das Wort des Mephistopheles gelten: ein Weib wie auserlesen zum Kuppler- und
Zigeunerwesen. Lenau gab sich dieser unglückseligen Leidenschaft rückhaltlos hin, bis er endlich
^»sah, daß er eine Unwürdige liebte. Die Trennung von Bertha geschah 1828. Die Herzens-
wunde, die Lenau aus diesen, Verhältnis davontrug, ist nie geheilt.
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[0323] Lenau und Sophie Schwab Sinn eine für alles Schöne empfängliche Begeisterung, bei einem praktisch ab¬ wägenden Verstand ein tiefes Gemüt. Bezeichnend für das Leben in Schwabs Familie, das Lenau so unwiderstehlich fesselte, ist folgender köstliche Brief Schwabs an einen Freund: „So nimm denn endlich warmen, herzlichen Dank für deine beiden Liebe und Freundschaft atmenden Briefe, mit denen du nun schon unsre Ehe erquickt hast. Du lebst in unserm Herzen und Munde, und es fehlt nichts, als daß du bald, recht bald unter uns tretest und auch dein liebes Antlitz bei uns leuchten lassest. Du findest zwei gerüstete Stüblein. recht eben für deine Größe geschaffen, und drei Betten, in die du dich wechsels¬ weise legen kannst oder dir auch eine künftige liebe Genossin und gar schon ein Kind dazu hineinträumen. Du findest an unserm lieben Sophieukind eine rüstige Hausfrau, allezeit etwas Gutes zu kochen und zu brauen fertig, so gut es die Küche eines obskuren Gymnasialprofessors trügt — bis auf einen Punsch aber, bei dem wir recht nach alter Sitte unser Bundeslied können tönen und die altromantische Zeit leben lassen, bringt diese es immer noch —, du findest, sage ich, an unsrer Sophie, was du immer prophezeit hast, ein noch offner und freier im besten Sinne des Worts gewordnes köstliches Weib. Ganz vortrefflich paßt Sophie auch in den Zirkel meiner Familie; ihre zuvor¬ kommende Gutmütigkeit hat sie in so vollkommne Gunst meiner Eltern gesetzt, daß sie ganz und gar wie eine von Kindesbeinen an auferzogne und geliebte Tochter von ihnen geachtet wird." Die glückliche Vereinigung von praktischer Bethätigung und idealem Sinn w Sophiens Wesen, sowie der reine, keusche Geist und Familiensinn in Schwabs Hause mußte Lenau um so tiefer zu Herzen gehen nach den traurigen, zerrütteten Familienverhältnissen, unter denen er seine Jugend verlebt hatte, und nach seinen Beziehungen zu „Bertha"*); bei dem verschlossenen Gemüte, das er von Wien mit nach Stuttgart brachte, empfand er das harmonische und abgeklärte Wesen, das ihm Schwabs Haus bot, um so tiefer. Aus dieser Stimmung wird auch der auffällige Entschluß verständlich, den Lenau am 13. August, also drei Tage nach seinem Weggange von Stuttgart, Schwab mitteilte. Geliebter, verehrter Freund! In großer Eile (die Post geht in einer halben Stunde ab) schreib ich dir diese Zeilen. *) Vertha ist jenes Mädchen, das Lenau durch einen verhängnisvollen Zufall zu Anfang°^ Zwanziger Jahre in Wien kennen lernte. Sie war die (illegitime) Tochter eines Wiener Genieinderats. Von ihrer Mutter Margarete, mit der sie zusammen lebte, als ihr Lenau näher trat, kann das Wort des Mephistopheles gelten: ein Weib wie auserlesen zum Kuppler- und Zigeunerwesen. Lenau gab sich dieser unglückseligen Leidenschaft rückhaltlos hin, bis er endlich ^»sah, daß er eine Unwürdige liebte. Die Trennung von Bertha geschah 1828. Die Herzens- wunde, die Lenau aus diesen, Verhältnis davontrug, ist nie geheilt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/323>, abgerufen am 24.08.2024.