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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Lenau und Sophie Schwab

begrüßte nun erst den Dichter von ganzem Herzen. Einige flüchtige Blicke in
das Manuskript hatten ihm die Gewißheit gegeben, daß die Gedichte echte
Kunstwerke waren. Der Abend vereinigte die drei Saugesgenvssen, und sie
schieden als Freunde von einander. Am nächsten Morgen reiste Lenau nach
München.*)

Damit war eine Bekanntschaft angeknüpft, die von wichtigen Folgen für
Lenau werden sollte. Schwabs warme Kunstbegeisterung, die mächtig auf¬
flammte, wenn er auf ein echtes Talent stieß, sein "weiches, reiches, reines und
frommes Gemüt," wie sein ehemaliger Schüler Grüneisen in dankbarer Ver¬
ehrung schrieb, kam dem neugewonnenen Freunde rasch entgegen. Wenn Lenau
in dem schönen Schwabenlande so schnell heimisch ward, eine Fülle von Liebe
und Freundschaft, von Kunstsinn und Lebensweisheit fand, so verdankt er das
zunächst Gustav Schwab und seiner Frau Sophie. Diese Thatsache ist in den
lebensgeschichtlicher Werken über Lenau bisher nirgends betont worden.

Sophie Karoline Schwab, deren Lenau in den folgenden Briefen mit so
großer Verehrung gedenkt, und der er einen so tiefen Einfluß auf fein Inneres
beimißt, war am 17. Februar 1795 in Tübingen geboren, wo ihr Vater
Christian Gottlieb Gmelin Professor des Kriminalrechts und der juristischen
Praxis war. Als sie Schwab im ersten Jahre seiner Anwesenheit in Tübingen
kennen lernte, hatte sie ein "blasses Gesicht mit edeln Zügen, schwarzen Augen
und Haaren." Ihre Bedeutung wird uns klar aus einem Briefe Gustav
Schwabs an seine Schwester Lotte (15. Februar 1816), worin er sich über
eine Dame seiner Bekanntschaft folgendermaßen ausspricht: "Ich will N. N-
herzlich wohl und mochte sie abends beim Tanz gern lachen, scherzen und
herumfahren sehen; aber sieh, ein Herz zu ihr könnte ich ums Leben nicht
fassen. Es schließt sich mir das meine zu, sobald ich mir ein Mädchen derart
als Lebensgefährtin denken soll. Ihr und so vielen fehlt das, was in meinen
Augen Schönheit, Reichtum und bloße Gutmütigkeit nie aufwiegen können,
ein rechtes weibliches Herz und Gemüt bei einem tüchtigen, auf das Höhere
gerichteten Verstand. Ob eine Dame den "Don Carlos" und Tiedges
"Urania" oder Goethe und Fouqus bewundert, das thut freilich wenig zur
Sache; der Weiber Herz und Verstand braucht sich darin nicht zu zeigen; wenn
nur ihr eignes Wesen, wie es soll, sittliche Schönheit, Grazie und Güte aus¬
drückt, so mögen sie es mit der ästhetischen Schönheit außer sich so genau
nehmen, als sie wollen." Aus dem, was er an der fremden Frau vermißte,
lassen sich leicht die Grundzüge von dem Wesen Sophie Schwabs gewinnen,
das dem weiblichen Ideal des Briefschreibers entsprach. Sie hatte bei aller
weiblichen Feinfühligkeit Charakterfestigkeit, bei allem nüchternen ruhigen Lebens-



") Bergl, den Bericht in: Gustav Schwab. Sein Leben und Wirken geschildert von Karl
Klüpfel, Leipzig, Brockhaus, 18S8.
Lenau und Sophie Schwab

begrüßte nun erst den Dichter von ganzem Herzen. Einige flüchtige Blicke in
das Manuskript hatten ihm die Gewißheit gegeben, daß die Gedichte echte
Kunstwerke waren. Der Abend vereinigte die drei Saugesgenvssen, und sie
schieden als Freunde von einander. Am nächsten Morgen reiste Lenau nach
München.*)

Damit war eine Bekanntschaft angeknüpft, die von wichtigen Folgen für
Lenau werden sollte. Schwabs warme Kunstbegeisterung, die mächtig auf¬
flammte, wenn er auf ein echtes Talent stieß, sein „weiches, reiches, reines und
frommes Gemüt," wie sein ehemaliger Schüler Grüneisen in dankbarer Ver¬
ehrung schrieb, kam dem neugewonnenen Freunde rasch entgegen. Wenn Lenau
in dem schönen Schwabenlande so schnell heimisch ward, eine Fülle von Liebe
und Freundschaft, von Kunstsinn und Lebensweisheit fand, so verdankt er das
zunächst Gustav Schwab und seiner Frau Sophie. Diese Thatsache ist in den
lebensgeschichtlicher Werken über Lenau bisher nirgends betont worden.

Sophie Karoline Schwab, deren Lenau in den folgenden Briefen mit so
großer Verehrung gedenkt, und der er einen so tiefen Einfluß auf fein Inneres
beimißt, war am 17. Februar 1795 in Tübingen geboren, wo ihr Vater
Christian Gottlieb Gmelin Professor des Kriminalrechts und der juristischen
Praxis war. Als sie Schwab im ersten Jahre seiner Anwesenheit in Tübingen
kennen lernte, hatte sie ein „blasses Gesicht mit edeln Zügen, schwarzen Augen
und Haaren." Ihre Bedeutung wird uns klar aus einem Briefe Gustav
Schwabs an seine Schwester Lotte (15. Februar 1816), worin er sich über
eine Dame seiner Bekanntschaft folgendermaßen ausspricht: „Ich will N. N-
herzlich wohl und mochte sie abends beim Tanz gern lachen, scherzen und
herumfahren sehen; aber sieh, ein Herz zu ihr könnte ich ums Leben nicht
fassen. Es schließt sich mir das meine zu, sobald ich mir ein Mädchen derart
als Lebensgefährtin denken soll. Ihr und so vielen fehlt das, was in meinen
Augen Schönheit, Reichtum und bloße Gutmütigkeit nie aufwiegen können,
ein rechtes weibliches Herz und Gemüt bei einem tüchtigen, auf das Höhere
gerichteten Verstand. Ob eine Dame den »Don Carlos« und Tiedges
»Urania« oder Goethe und Fouqus bewundert, das thut freilich wenig zur
Sache; der Weiber Herz und Verstand braucht sich darin nicht zu zeigen; wenn
nur ihr eignes Wesen, wie es soll, sittliche Schönheit, Grazie und Güte aus¬
drückt, so mögen sie es mit der ästhetischen Schönheit außer sich so genau
nehmen, als sie wollen." Aus dem, was er an der fremden Frau vermißte,
lassen sich leicht die Grundzüge von dem Wesen Sophie Schwabs gewinnen,
das dem weiblichen Ideal des Briefschreibers entsprach. Sie hatte bei aller
weiblichen Feinfühligkeit Charakterfestigkeit, bei allem nüchternen ruhigen Lebens-



») Bergl, den Bericht in: Gustav Schwab. Sein Leben und Wirken geschildert von Karl
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[0322] Lenau und Sophie Schwab begrüßte nun erst den Dichter von ganzem Herzen. Einige flüchtige Blicke in das Manuskript hatten ihm die Gewißheit gegeben, daß die Gedichte echte Kunstwerke waren. Der Abend vereinigte die drei Saugesgenvssen, und sie schieden als Freunde von einander. Am nächsten Morgen reiste Lenau nach München.*) Damit war eine Bekanntschaft angeknüpft, die von wichtigen Folgen für Lenau werden sollte. Schwabs warme Kunstbegeisterung, die mächtig auf¬ flammte, wenn er auf ein echtes Talent stieß, sein „weiches, reiches, reines und frommes Gemüt," wie sein ehemaliger Schüler Grüneisen in dankbarer Ver¬ ehrung schrieb, kam dem neugewonnenen Freunde rasch entgegen. Wenn Lenau in dem schönen Schwabenlande so schnell heimisch ward, eine Fülle von Liebe und Freundschaft, von Kunstsinn und Lebensweisheit fand, so verdankt er das zunächst Gustav Schwab und seiner Frau Sophie. Diese Thatsache ist in den lebensgeschichtlicher Werken über Lenau bisher nirgends betont worden. Sophie Karoline Schwab, deren Lenau in den folgenden Briefen mit so großer Verehrung gedenkt, und der er einen so tiefen Einfluß auf fein Inneres beimißt, war am 17. Februar 1795 in Tübingen geboren, wo ihr Vater Christian Gottlieb Gmelin Professor des Kriminalrechts und der juristischen Praxis war. Als sie Schwab im ersten Jahre seiner Anwesenheit in Tübingen kennen lernte, hatte sie ein „blasses Gesicht mit edeln Zügen, schwarzen Augen und Haaren." Ihre Bedeutung wird uns klar aus einem Briefe Gustav Schwabs an seine Schwester Lotte (15. Februar 1816), worin er sich über eine Dame seiner Bekanntschaft folgendermaßen ausspricht: „Ich will N. N- herzlich wohl und mochte sie abends beim Tanz gern lachen, scherzen und herumfahren sehen; aber sieh, ein Herz zu ihr könnte ich ums Leben nicht fassen. Es schließt sich mir das meine zu, sobald ich mir ein Mädchen derart als Lebensgefährtin denken soll. Ihr und so vielen fehlt das, was in meinen Augen Schönheit, Reichtum und bloße Gutmütigkeit nie aufwiegen können, ein rechtes weibliches Herz und Gemüt bei einem tüchtigen, auf das Höhere gerichteten Verstand. Ob eine Dame den »Don Carlos« und Tiedges »Urania« oder Goethe und Fouqus bewundert, das thut freilich wenig zur Sache; der Weiber Herz und Verstand braucht sich darin nicht zu zeigen; wenn nur ihr eignes Wesen, wie es soll, sittliche Schönheit, Grazie und Güte aus¬ drückt, so mögen sie es mit der ästhetischen Schönheit außer sich so genau nehmen, als sie wollen." Aus dem, was er an der fremden Frau vermißte, lassen sich leicht die Grundzüge von dem Wesen Sophie Schwabs gewinnen, das dem weiblichen Ideal des Briefschreibers entsprach. Sie hatte bei aller weiblichen Feinfühligkeit Charakterfestigkeit, bei allem nüchternen ruhigen Lebens- ») Bergl, den Bericht in: Gustav Schwab. Sein Leben und Wirken geschildert von Karl Klüpfel, Leipzig, Brockhaus, 18S8.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/322>, abgerufen am 22.07.2024.