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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die arischen Religionen und das Christentum

Neuen Testament anlangt, so geht man doch zu weit, wenn man behauptet,
daß es daran ganz fehle. Im Gegenteil werden der ehrliche Broterwerb, die
Sorge für die Familie und die Wohlthätigkeit gegen Arme, was alles zur
Arbeit nötigt, als strenge Pflichten gepredigt. Allerdings, vor dem Streben
nach Reichtum und vor Erwerbsarten und Ämtern, die der Seele Gefahr
bringen -- und dazu muß man gerade nicht wenige der angesehensten rechnen --,
wird der Christ gewarnt; aber auch hierin entspricht ja das Christentum durchaus
dem Bedürfnis der Masse, die weder zu seelengefährlichen Staatsaktionen noch
zu Wuchergeschäften berufen ist, sondern auf eine stille und bescheidne Berufs¬
thätigkeit beschränkt bleibt, wie sie das Neue Testament empfiehlt. Wenn heute
der Konkurrenzkampf auch die mittlern Gesellschaftsschichten zu raubtierartiger
Beutegier zwingt, und wenn viele der Stellungen, in denen sich arme Leute
ihr Brot verdienen, sehr seelengefährlich sind, so liegt das eben an Verhält¬
nissen, die hoffentlich vorübergehen werden. Die Lehre von der Ewigkeit der
Höllenstrafen, die Brvdbeck einen Schandfleck des Christentums nennt, ist aller¬
dings entsetzlich, aber nur in der streng dogmatischen Form, die ihr die Theo¬
logen gegeben haben, und für den, der die Sache durchdenkt. Der einfältige
Christ denkt dabei nur an eine gerechte Vergeltung im Jenseits, über die er
verstündigerweise nicht weiter grübelt, da wir ja davon doch nichts bestimmtes
wissen können, und trifft damit ohne Zweifel die Meinung Christi. Wenn
Vrodbeck am Christentum rügt, daß es überhaupt das Jenseits zu sehr in den
Vordergrund stelle und dadurch die Christen von nützlicher Thätigkeit und
freudigem Schaffen abhalte, so kann ihn ein Blick auf die Christenheit be¬
lehren, daß das nnr für die verhältnismäßig kleine Herde der Mönche und
Betschwestern zutrifft; bei der Mehrzahl sorgt die Not des Lebens schon dafür,
daß sie über dem Himmel die Erde nicht vergessen. Ohne Zweifel geht von
demselben Gott, der durch Christus zu uns gesprochen hat, auch der Antrieb
zur Kulturentwicklung aus; er hat es gefügt, daß die Mehrzahl stets aus
schlechten Christen bestehen muß, die in der Sorge fürs Irdische aufgehen, er
will das also, aber diesen selben schlechten Christen kommt doch zuweilen der
Gedanke, dem seit den Zeiten des Predigers Salomonis so viele ernste Geister,
christliche wie heidnische, gläubige wie ungläubige, Ausdruck verliehen haben, daß
alles eitel sei hienieden, und daß das irdische Leben blutwenig wert wäre, wenn
nicht noch etwas darauf folgte. Über den Wert der Religionen endlich, das ist
das wichtigste, kann nur ihre Brauchbarkeit entscheiden. Die christliche Religion
hat anderthalb Jahrtausende hindurch vielen hundert Millionen Menschen Trost,
eine edle geistige Nahrung und heilsame sittliche Antriebe dargeboten, sowie
eine Weltansicht, in der ihr Erkenntnistrieb Beruhigung findet; und irren auch
die Theologen, wenn sie die hohe Kultur und die Macht der europäischen
Völker als eine Wirkung des Christentums darstellen, so hat dieses doch auch
durch die der Welt abgekehrte Seite seines Wesens die Kulturentwicklung nicht


Die arischen Religionen und das Christentum

Neuen Testament anlangt, so geht man doch zu weit, wenn man behauptet,
daß es daran ganz fehle. Im Gegenteil werden der ehrliche Broterwerb, die
Sorge für die Familie und die Wohlthätigkeit gegen Arme, was alles zur
Arbeit nötigt, als strenge Pflichten gepredigt. Allerdings, vor dem Streben
nach Reichtum und vor Erwerbsarten und Ämtern, die der Seele Gefahr
bringen — und dazu muß man gerade nicht wenige der angesehensten rechnen —,
wird der Christ gewarnt; aber auch hierin entspricht ja das Christentum durchaus
dem Bedürfnis der Masse, die weder zu seelengefährlichen Staatsaktionen noch
zu Wuchergeschäften berufen ist, sondern auf eine stille und bescheidne Berufs¬
thätigkeit beschränkt bleibt, wie sie das Neue Testament empfiehlt. Wenn heute
der Konkurrenzkampf auch die mittlern Gesellschaftsschichten zu raubtierartiger
Beutegier zwingt, und wenn viele der Stellungen, in denen sich arme Leute
ihr Brot verdienen, sehr seelengefährlich sind, so liegt das eben an Verhält¬
nissen, die hoffentlich vorübergehen werden. Die Lehre von der Ewigkeit der
Höllenstrafen, die Brvdbeck einen Schandfleck des Christentums nennt, ist aller¬
dings entsetzlich, aber nur in der streng dogmatischen Form, die ihr die Theo¬
logen gegeben haben, und für den, der die Sache durchdenkt. Der einfältige
Christ denkt dabei nur an eine gerechte Vergeltung im Jenseits, über die er
verstündigerweise nicht weiter grübelt, da wir ja davon doch nichts bestimmtes
wissen können, und trifft damit ohne Zweifel die Meinung Christi. Wenn
Vrodbeck am Christentum rügt, daß es überhaupt das Jenseits zu sehr in den
Vordergrund stelle und dadurch die Christen von nützlicher Thätigkeit und
freudigem Schaffen abhalte, so kann ihn ein Blick auf die Christenheit be¬
lehren, daß das nnr für die verhältnismäßig kleine Herde der Mönche und
Betschwestern zutrifft; bei der Mehrzahl sorgt die Not des Lebens schon dafür,
daß sie über dem Himmel die Erde nicht vergessen. Ohne Zweifel geht von
demselben Gott, der durch Christus zu uns gesprochen hat, auch der Antrieb
zur Kulturentwicklung aus; er hat es gefügt, daß die Mehrzahl stets aus
schlechten Christen bestehen muß, die in der Sorge fürs Irdische aufgehen, er
will das also, aber diesen selben schlechten Christen kommt doch zuweilen der
Gedanke, dem seit den Zeiten des Predigers Salomonis so viele ernste Geister,
christliche wie heidnische, gläubige wie ungläubige, Ausdruck verliehen haben, daß
alles eitel sei hienieden, und daß das irdische Leben blutwenig wert wäre, wenn
nicht noch etwas darauf folgte. Über den Wert der Religionen endlich, das ist
das wichtigste, kann nur ihre Brauchbarkeit entscheiden. Die christliche Religion
hat anderthalb Jahrtausende hindurch vielen hundert Millionen Menschen Trost,
eine edle geistige Nahrung und heilsame sittliche Antriebe dargeboten, sowie
eine Weltansicht, in der ihr Erkenntnistrieb Beruhigung findet; und irren auch
die Theologen, wenn sie die hohe Kultur und die Macht der europäischen
Völker als eine Wirkung des Christentums darstellen, so hat dieses doch auch
durch die der Welt abgekehrte Seite seines Wesens die Kulturentwicklung nicht


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[0319] Die arischen Religionen und das Christentum Neuen Testament anlangt, so geht man doch zu weit, wenn man behauptet, daß es daran ganz fehle. Im Gegenteil werden der ehrliche Broterwerb, die Sorge für die Familie und die Wohlthätigkeit gegen Arme, was alles zur Arbeit nötigt, als strenge Pflichten gepredigt. Allerdings, vor dem Streben nach Reichtum und vor Erwerbsarten und Ämtern, die der Seele Gefahr bringen — und dazu muß man gerade nicht wenige der angesehensten rechnen —, wird der Christ gewarnt; aber auch hierin entspricht ja das Christentum durchaus dem Bedürfnis der Masse, die weder zu seelengefährlichen Staatsaktionen noch zu Wuchergeschäften berufen ist, sondern auf eine stille und bescheidne Berufs¬ thätigkeit beschränkt bleibt, wie sie das Neue Testament empfiehlt. Wenn heute der Konkurrenzkampf auch die mittlern Gesellschaftsschichten zu raubtierartiger Beutegier zwingt, und wenn viele der Stellungen, in denen sich arme Leute ihr Brot verdienen, sehr seelengefährlich sind, so liegt das eben an Verhält¬ nissen, die hoffentlich vorübergehen werden. Die Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen, die Brvdbeck einen Schandfleck des Christentums nennt, ist aller¬ dings entsetzlich, aber nur in der streng dogmatischen Form, die ihr die Theo¬ logen gegeben haben, und für den, der die Sache durchdenkt. Der einfältige Christ denkt dabei nur an eine gerechte Vergeltung im Jenseits, über die er verstündigerweise nicht weiter grübelt, da wir ja davon doch nichts bestimmtes wissen können, und trifft damit ohne Zweifel die Meinung Christi. Wenn Vrodbeck am Christentum rügt, daß es überhaupt das Jenseits zu sehr in den Vordergrund stelle und dadurch die Christen von nützlicher Thätigkeit und freudigem Schaffen abhalte, so kann ihn ein Blick auf die Christenheit be¬ lehren, daß das nnr für die verhältnismäßig kleine Herde der Mönche und Betschwestern zutrifft; bei der Mehrzahl sorgt die Not des Lebens schon dafür, daß sie über dem Himmel die Erde nicht vergessen. Ohne Zweifel geht von demselben Gott, der durch Christus zu uns gesprochen hat, auch der Antrieb zur Kulturentwicklung aus; er hat es gefügt, daß die Mehrzahl stets aus schlechten Christen bestehen muß, die in der Sorge fürs Irdische aufgehen, er will das also, aber diesen selben schlechten Christen kommt doch zuweilen der Gedanke, dem seit den Zeiten des Predigers Salomonis so viele ernste Geister, christliche wie heidnische, gläubige wie ungläubige, Ausdruck verliehen haben, daß alles eitel sei hienieden, und daß das irdische Leben blutwenig wert wäre, wenn nicht noch etwas darauf folgte. Über den Wert der Religionen endlich, das ist das wichtigste, kann nur ihre Brauchbarkeit entscheiden. Die christliche Religion hat anderthalb Jahrtausende hindurch vielen hundert Millionen Menschen Trost, eine edle geistige Nahrung und heilsame sittliche Antriebe dargeboten, sowie eine Weltansicht, in der ihr Erkenntnistrieb Beruhigung findet; und irren auch die Theologen, wenn sie die hohe Kultur und die Macht der europäischen Völker als eine Wirkung des Christentums darstellen, so hat dieses doch auch durch die der Welt abgekehrte Seite seines Wesens die Kulturentwicklung nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/319>, abgerufen am 15.01.2025.