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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die arischen Religionen und das Christentum

zu hindern vermocht. Der Parsismus dagegen ist auf Iran und einen Teil
Indiens beschränkt geblieben, hat das Volk, das ihm eine Zeit lang anhing,
weder von dem Abfall zum Islam zurückzuhalten, noch vor der Versumpfung
und der Gefahr des Aussterbens zu bewahren vermocht (in Iran leben etwas
über 5, in Jndien 1^/g Millionen arische Iranier), und die parsische Neligions-
gesellschaft ist zu einer Sekte von 90 000 Köpfen zusammengeschrumpft. Sich
gegen dieses weltgeschichtliche Ergebnis auflehnen, indem man den Parsismus
aufs neue predigt, ist eine Lächerlichkeit. Die einmal abgestorbnen alten Re¬
ligionen sind für immer tot, so wichtig auch ihre Kenntnis sür das Verständnis
des Wesens der Religion sein mag. Dieses Verständnis des Gelehrten sieht
nun allerdings ein wenig anders aus als der naive Glaube des einfachen
Christen, der den Christenglauben in der Form seines Bekenntnisses für die
von Gott geoffenbarte lautere Wahrheit schlechthin, jede abweichende religiöse
Meinung für Irrtum und alles Heidentum für einen sündhaften Greuel hält.
Aber Brodbeck ist, nachdem er den Kinderglauben verlassen hat, nicht zu der
höhern Einsicht ins Wesen der Religion gelangt, sondern hat sich zu der
kindischen Meinung verirrt, die Übereinstimmung wichtiger christlicher Lehren
mit zoroastrischen lasse dem Christen nur die Wahl, ob er das Christentum
für ein "Plagiat" erklären oder, falls er die ältern Religionen als Vorstufen
auffaßt, auch allen läppischen Aberglauben der Wilden als göttliche Offen¬
barung gelten lassen wolle. Wenn Mozarts Kompositionen mit denen von
Gluck Ähnlichkeit haben, so folgt daraus keineswegs, daß man entweder Mozart
für einen Plagiator halten oder auch die Hottentottenmusik als Offenbarung
der höchsten musikalischen Gedanken gelten lassen müsse. Indem übrigens die
Entwicklung der Religion wie die der Musik und aller andern Knlturzweige
gar nicht anders als mit kindischen Versuchen und zahlreichen Fehlgriffen be¬
ginnen kann, darf man allerdings schon den ersten Fetischismus als göttliche
Offenbarung bezeichnen, als Offenbarung der Anlage, deren Entwicklung im
Laufe der Zeit zur höchsten Form der Religion führen muß.

Um zum Schlüsse doch auch noch etwas Gutes von dem für die Asiaten
begeisterten Mitgliede des Religionsparlaments zu sagen, heben wir hervor,
daß es nicht etwa, wie bei vielen andern, moralischer Laxismus ist, was ihn
zu einem Feinde des Christentums gemacht hat. Im Gegenteil preist er
Zoroaster wegen seiner Strenge namentlich in der geschlechtlichen Moral, er¬
klärt sich gegen die Ansicht, daß die Sünde bloßes Naturprodukt sei (was sich
freilich mit seiner Leugnung des Jenseits schlecht vereinigen läßt), und will
von der hellenischen Harmonie von Geist und Leib als Grundlage der Moral
nichts wissen: der Geist müsse herrschen. Den Glauben an das Jenseits will
er durch den Glauben an Ideale ersetzen; wenn die nur uicht eben aus dem
Jenseits stammten und, getrennt von ihrer jenseitigen Wurzel, abstürben!




Die arischen Religionen und das Christentum

zu hindern vermocht. Der Parsismus dagegen ist auf Iran und einen Teil
Indiens beschränkt geblieben, hat das Volk, das ihm eine Zeit lang anhing,
weder von dem Abfall zum Islam zurückzuhalten, noch vor der Versumpfung
und der Gefahr des Aussterbens zu bewahren vermocht (in Iran leben etwas
über 5, in Jndien 1^/g Millionen arische Iranier), und die parsische Neligions-
gesellschaft ist zu einer Sekte von 90 000 Köpfen zusammengeschrumpft. Sich
gegen dieses weltgeschichtliche Ergebnis auflehnen, indem man den Parsismus
aufs neue predigt, ist eine Lächerlichkeit. Die einmal abgestorbnen alten Re¬
ligionen sind für immer tot, so wichtig auch ihre Kenntnis sür das Verständnis
des Wesens der Religion sein mag. Dieses Verständnis des Gelehrten sieht
nun allerdings ein wenig anders aus als der naive Glaube des einfachen
Christen, der den Christenglauben in der Form seines Bekenntnisses für die
von Gott geoffenbarte lautere Wahrheit schlechthin, jede abweichende religiöse
Meinung für Irrtum und alles Heidentum für einen sündhaften Greuel hält.
Aber Brodbeck ist, nachdem er den Kinderglauben verlassen hat, nicht zu der
höhern Einsicht ins Wesen der Religion gelangt, sondern hat sich zu der
kindischen Meinung verirrt, die Übereinstimmung wichtiger christlicher Lehren
mit zoroastrischen lasse dem Christen nur die Wahl, ob er das Christentum
für ein „Plagiat" erklären oder, falls er die ältern Religionen als Vorstufen
auffaßt, auch allen läppischen Aberglauben der Wilden als göttliche Offen¬
barung gelten lassen wolle. Wenn Mozarts Kompositionen mit denen von
Gluck Ähnlichkeit haben, so folgt daraus keineswegs, daß man entweder Mozart
für einen Plagiator halten oder auch die Hottentottenmusik als Offenbarung
der höchsten musikalischen Gedanken gelten lassen müsse. Indem übrigens die
Entwicklung der Religion wie die der Musik und aller andern Knlturzweige
gar nicht anders als mit kindischen Versuchen und zahlreichen Fehlgriffen be¬
ginnen kann, darf man allerdings schon den ersten Fetischismus als göttliche
Offenbarung bezeichnen, als Offenbarung der Anlage, deren Entwicklung im
Laufe der Zeit zur höchsten Form der Religion führen muß.

Um zum Schlüsse doch auch noch etwas Gutes von dem für die Asiaten
begeisterten Mitgliede des Religionsparlaments zu sagen, heben wir hervor,
daß es nicht etwa, wie bei vielen andern, moralischer Laxismus ist, was ihn
zu einem Feinde des Christentums gemacht hat. Im Gegenteil preist er
Zoroaster wegen seiner Strenge namentlich in der geschlechtlichen Moral, er¬
klärt sich gegen die Ansicht, daß die Sünde bloßes Naturprodukt sei (was sich
freilich mit seiner Leugnung des Jenseits schlecht vereinigen läßt), und will
von der hellenischen Harmonie von Geist und Leib als Grundlage der Moral
nichts wissen: der Geist müsse herrschen. Den Glauben an das Jenseits will
er durch den Glauben an Ideale ersetzen; wenn die nur uicht eben aus dem
Jenseits stammten und, getrennt von ihrer jenseitigen Wurzel, abstürben!




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/320>, abgerufen am 02.10.2024.