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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die arischen Religionen und das Christentum

ausgewählt haben wird. Unter diesen Proben nun finden sich läppische mytho¬
logische Fabeln, wie es in der Bibel keine giebt. Andres ist seichtes Gerede.
Unter den guten und schönen Stellen aber kommt keine einzige vor, die so
packte wie die Psalmen, die Propheten, Hunderte von Stellen in den übrigen
alttestamentlichen Büchern und das ganze Neue Testament. Beim Bibellesen
merken wir, daß ein Höherer zu uns redet, beim Lesen dessen, was hier aus
den dem Zoroaster zugeschriebnen Büchern mitgeteilt wird, ganz und gar nicht.

Das andre Anfechtbare in Brodbecks Schrift sind die Schlüsse, die er
aus den unleugbaren Widersprüchen zwischen den Forderungen des 'Neuen
Testaments und manchen Bedürfnissen des bürgerlichen Lebens zieht. Es ist
richtig, daß die "Sklavenmoral" des Christentums, wie sie Nietzsche verächtlich
genannt hat, nicht für alle Menschen und nicht für alle Verhältnisse paßt.
Das ist auch schon früher erkannt worden. Sehr merkwürdig sind die Lehren
darüber, die der Kardinal Richelieu seinem Könige erteilte. Als Menschen
seien die Könige den Fehlern andrer Menschen unterworfen; ganz ver¬
schieden davon seien die Sünden, deren sie sich als Könige schuldig machen.
Mancher möge heilig sein als Mensch, der als König verdammt werde; der
Fürst müsse seine Macht zu dem Zwecke gebrauchen, zu dem sie ihm von Gott
anvertraut worden sei, seinen Staat in Ordnung zu halten, die Gewaltsam¬
keiten der Mächtigen verhindern, böse Anschlüge unterdrücken; thue er das
nicht, so würde er sich mit persönlicher Schuld beladen. Ein Christ könne
Beleidigungen nicht früh genug vergeben, ein König könne sie nicht zeitig genug
züchtigen (Rankes Französische Geschichte, Band 2). Und wie sich die Refor-
mirten, die Hugenotten, die Puritaner an das männlichere Alte Testament ge¬
halten haben, weil sie mit dem mehr weiblichen Neuen nicht viel anzufangen
wußten, ist ja bekannt. Allein der gemeinen Christen giebt es viele Millionen,
der Könige kaum ein Dutzend, und die Unterthanen befinden sich doch nur
ausnahmsweise in dem Zustande der Empörung gegen ihre Monarchen, der
dem Calvinismus in den Niederlanden, in Frankreich, in England und Schott¬
land sein eigentümliches Gepräge gegeben hat; eine religiöse Moral, die für
Könige oder für Revolutionäre die beste sein mag, kann daher nicht gut all¬
gemeine Volksmoral sein. Der Mehrzahl nach bestehen die Völker immer aus
armen Teufeln, die sich viel gefallen lassen müssen, und daher ist eine Re¬
ligion, die Trost gewährt und Geduld predigt, die am allgemeinsten mögliche
und zuträgliche. Der Vorzug der christlichen besteht aber gerade darin, daß
sie den Leidenden und Duldenden die Möglichkeit darbietet, in äußerer Er¬
niedrigung ihre innere Würde zu behaupten, daß sie also nicht schlechthin
Sklavenmoral genannt zu werden verdient, wenn sie auch von niemandem will¬
kommner geheißen wird als von solchen, die das Sklavenlos in irgend einer
Form zu tragen haben.

Was aber den Mangel an Antrieben zur That und zur Kulturarbeit im


Die arischen Religionen und das Christentum

ausgewählt haben wird. Unter diesen Proben nun finden sich läppische mytho¬
logische Fabeln, wie es in der Bibel keine giebt. Andres ist seichtes Gerede.
Unter den guten und schönen Stellen aber kommt keine einzige vor, die so
packte wie die Psalmen, die Propheten, Hunderte von Stellen in den übrigen
alttestamentlichen Büchern und das ganze Neue Testament. Beim Bibellesen
merken wir, daß ein Höherer zu uns redet, beim Lesen dessen, was hier aus
den dem Zoroaster zugeschriebnen Büchern mitgeteilt wird, ganz und gar nicht.

Das andre Anfechtbare in Brodbecks Schrift sind die Schlüsse, die er
aus den unleugbaren Widersprüchen zwischen den Forderungen des 'Neuen
Testaments und manchen Bedürfnissen des bürgerlichen Lebens zieht. Es ist
richtig, daß die „Sklavenmoral" des Christentums, wie sie Nietzsche verächtlich
genannt hat, nicht für alle Menschen und nicht für alle Verhältnisse paßt.
Das ist auch schon früher erkannt worden. Sehr merkwürdig sind die Lehren
darüber, die der Kardinal Richelieu seinem Könige erteilte. Als Menschen
seien die Könige den Fehlern andrer Menschen unterworfen; ganz ver¬
schieden davon seien die Sünden, deren sie sich als Könige schuldig machen.
Mancher möge heilig sein als Mensch, der als König verdammt werde; der
Fürst müsse seine Macht zu dem Zwecke gebrauchen, zu dem sie ihm von Gott
anvertraut worden sei, seinen Staat in Ordnung zu halten, die Gewaltsam¬
keiten der Mächtigen verhindern, böse Anschlüge unterdrücken; thue er das
nicht, so würde er sich mit persönlicher Schuld beladen. Ein Christ könne
Beleidigungen nicht früh genug vergeben, ein König könne sie nicht zeitig genug
züchtigen (Rankes Französische Geschichte, Band 2). Und wie sich die Refor-
mirten, die Hugenotten, die Puritaner an das männlichere Alte Testament ge¬
halten haben, weil sie mit dem mehr weiblichen Neuen nicht viel anzufangen
wußten, ist ja bekannt. Allein der gemeinen Christen giebt es viele Millionen,
der Könige kaum ein Dutzend, und die Unterthanen befinden sich doch nur
ausnahmsweise in dem Zustande der Empörung gegen ihre Monarchen, der
dem Calvinismus in den Niederlanden, in Frankreich, in England und Schott¬
land sein eigentümliches Gepräge gegeben hat; eine religiöse Moral, die für
Könige oder für Revolutionäre die beste sein mag, kann daher nicht gut all¬
gemeine Volksmoral sein. Der Mehrzahl nach bestehen die Völker immer aus
armen Teufeln, die sich viel gefallen lassen müssen, und daher ist eine Re¬
ligion, die Trost gewährt und Geduld predigt, die am allgemeinsten mögliche
und zuträgliche. Der Vorzug der christlichen besteht aber gerade darin, daß
sie den Leidenden und Duldenden die Möglichkeit darbietet, in äußerer Er¬
niedrigung ihre innere Würde zu behaupten, daß sie also nicht schlechthin
Sklavenmoral genannt zu werden verdient, wenn sie auch von niemandem will¬
kommner geheißen wird als von solchen, die das Sklavenlos in irgend einer
Form zu tragen haben.

Was aber den Mangel an Antrieben zur That und zur Kulturarbeit im


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[0318] Die arischen Religionen und das Christentum ausgewählt haben wird. Unter diesen Proben nun finden sich läppische mytho¬ logische Fabeln, wie es in der Bibel keine giebt. Andres ist seichtes Gerede. Unter den guten und schönen Stellen aber kommt keine einzige vor, die so packte wie die Psalmen, die Propheten, Hunderte von Stellen in den übrigen alttestamentlichen Büchern und das ganze Neue Testament. Beim Bibellesen merken wir, daß ein Höherer zu uns redet, beim Lesen dessen, was hier aus den dem Zoroaster zugeschriebnen Büchern mitgeteilt wird, ganz und gar nicht. Das andre Anfechtbare in Brodbecks Schrift sind die Schlüsse, die er aus den unleugbaren Widersprüchen zwischen den Forderungen des 'Neuen Testaments und manchen Bedürfnissen des bürgerlichen Lebens zieht. Es ist richtig, daß die „Sklavenmoral" des Christentums, wie sie Nietzsche verächtlich genannt hat, nicht für alle Menschen und nicht für alle Verhältnisse paßt. Das ist auch schon früher erkannt worden. Sehr merkwürdig sind die Lehren darüber, die der Kardinal Richelieu seinem Könige erteilte. Als Menschen seien die Könige den Fehlern andrer Menschen unterworfen; ganz ver¬ schieden davon seien die Sünden, deren sie sich als Könige schuldig machen. Mancher möge heilig sein als Mensch, der als König verdammt werde; der Fürst müsse seine Macht zu dem Zwecke gebrauchen, zu dem sie ihm von Gott anvertraut worden sei, seinen Staat in Ordnung zu halten, die Gewaltsam¬ keiten der Mächtigen verhindern, böse Anschlüge unterdrücken; thue er das nicht, so würde er sich mit persönlicher Schuld beladen. Ein Christ könne Beleidigungen nicht früh genug vergeben, ein König könne sie nicht zeitig genug züchtigen (Rankes Französische Geschichte, Band 2). Und wie sich die Refor- mirten, die Hugenotten, die Puritaner an das männlichere Alte Testament ge¬ halten haben, weil sie mit dem mehr weiblichen Neuen nicht viel anzufangen wußten, ist ja bekannt. Allein der gemeinen Christen giebt es viele Millionen, der Könige kaum ein Dutzend, und die Unterthanen befinden sich doch nur ausnahmsweise in dem Zustande der Empörung gegen ihre Monarchen, der dem Calvinismus in den Niederlanden, in Frankreich, in England und Schott¬ land sein eigentümliches Gepräge gegeben hat; eine religiöse Moral, die für Könige oder für Revolutionäre die beste sein mag, kann daher nicht gut all¬ gemeine Volksmoral sein. Der Mehrzahl nach bestehen die Völker immer aus armen Teufeln, die sich viel gefallen lassen müssen, und daher ist eine Re¬ ligion, die Trost gewährt und Geduld predigt, die am allgemeinsten mögliche und zuträgliche. Der Vorzug der christlichen besteht aber gerade darin, daß sie den Leidenden und Duldenden die Möglichkeit darbietet, in äußerer Er¬ niedrigung ihre innere Würde zu behaupten, daß sie also nicht schlechthin Sklavenmoral genannt zu werden verdient, wenn sie auch von niemandem will¬ kommner geheißen wird als von solchen, die das Sklavenlos in irgend einer Form zu tragen haben. Was aber den Mangel an Antrieben zur That und zur Kulturarbeit im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/318>, abgerufen am 02.10.2024.