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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die arischen Religionen und das Lhristentnin

Welt gegenüberstellen. Man konnte sich die Entstehung der Welt als Schöpfung
oder als Emanation denken. Man konnte zwischen die sichtbare Welt und das
oder die Urwesen beliebig viele den Verkehr beider vermittelnde Dämonen ein-
schieben. Alle diese Denkmöglichkeiten sind schon sehr früh erkannt worden,
und in der Zeit, wo Zoroaster gelebt haben soll, im siebenten Jahrhundert
vor Christus, waren sie wohl schon sämtlich, die einen von diesem, die andern
von einem andern Denker durchprobirt worden. Seitdem konnte nichts neues
mehr erfunden werden, und materielle Fortschritte konnte weder die Metaphysik
noch die Theosophie, wie wir die religiös gefärbte Metaphysik im Unterschiede
von der Religion nennen wollen, mehr machen. Wenn daher in spätern Re¬
ligionen und Philosophien Sätze vorkommen, die sich schon im Avesta finden,
so ist das so wenig ein Beweis für ihren Ursprung aus dem heiligen Buche
der Parsen, wie die Einehe und der Straßenbau darum den Persern abgelernt
sein müssen, weil beides bei ihnen für löblich gegolten hat.

Demnach hat die Zumutung, über Zoroaster hinaus fortzuschreiten, keinen
Sinn, wenn man damit meint, es solle ein neuer, bisher uoch nicht erkannter
metaphysischer oder theosophischer Satz gefunden werden. In diesem Sinne
kommt die Welt wirklich nicht über Zoroaster hinaus, aber nicht deswegen,
weil er das größte Universalgenie der alten Welt oder vielleicht gar aller
Zeiten gewesen wäre, sondern weil in der spekulativen Bewegung, die um die
Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus von Indien bis Unteritalien, von
Buddha bis Pythagoms reichte, der Kreis aller metaphysischen Möglichkeiten
schon durchmessen worden ist. Der Wert der spätern Religionen und Philo¬
sophien besteht nicht im Stoff, sondern in der Form ihrer Darstellung und in
ihrer Angemessenheit an die Bedürfnisse der Zeit, in der, und des Volkes,
bei dem eine jede entsteht. Den Philosophien fällt dabei mehr die Aufgabe
zu, den Fortschritt der Wissenschaft zu fördern, während die Religionen das
Gemüt zu befriedigen und Antriebe zum Nechthandeln zu liefern haben. So
ist z.B. Kants Ding an sich keineswegs bloß, wie es Brodbeck nennt, eine
vertrocknete platonische Idee, sondern es besagt, daß Nur von den Dingen, die
jenseits unsrer Erfahrung liegen, nichts wissen können, und daß an deu Grenzen
der Erfahrung die Wissenschaft aufhört und das Gebiet des Glaubens und der
Hypothese anfängt, eine Wahrheit, deren Beherzigung nicht wenig dazu bei¬
getragen hat, den wissenschaftlichen Fortschritt besonnen und methodisch zu
wachen und so zu fördern. Was aber das Christentum anlangt, so mag es
wahr sein, daß einer, der mit der kirchlichen Dogmatik gebrochen hat, stofflich
nichts darin findet, was nicht auch schon im Avesta oder in beliebigen andern
alten Religionsbüchern stünde. Was das Christentum auszeichnet, das ist die
Art und Weise, wie die uralten Wahrheiten in der Bibel vorgetragen werden.
Brodbeck hat eine Menge Proben aus den heiligen Büchern der Parsen zu¬
sammengestellt, und seine Tendenz bürgt dafür, daß er nicht das schlechteste


Die arischen Religionen und das Lhristentnin

Welt gegenüberstellen. Man konnte sich die Entstehung der Welt als Schöpfung
oder als Emanation denken. Man konnte zwischen die sichtbare Welt und das
oder die Urwesen beliebig viele den Verkehr beider vermittelnde Dämonen ein-
schieben. Alle diese Denkmöglichkeiten sind schon sehr früh erkannt worden,
und in der Zeit, wo Zoroaster gelebt haben soll, im siebenten Jahrhundert
vor Christus, waren sie wohl schon sämtlich, die einen von diesem, die andern
von einem andern Denker durchprobirt worden. Seitdem konnte nichts neues
mehr erfunden werden, und materielle Fortschritte konnte weder die Metaphysik
noch die Theosophie, wie wir die religiös gefärbte Metaphysik im Unterschiede
von der Religion nennen wollen, mehr machen. Wenn daher in spätern Re¬
ligionen und Philosophien Sätze vorkommen, die sich schon im Avesta finden,
so ist das so wenig ein Beweis für ihren Ursprung aus dem heiligen Buche
der Parsen, wie die Einehe und der Straßenbau darum den Persern abgelernt
sein müssen, weil beides bei ihnen für löblich gegolten hat.

Demnach hat die Zumutung, über Zoroaster hinaus fortzuschreiten, keinen
Sinn, wenn man damit meint, es solle ein neuer, bisher uoch nicht erkannter
metaphysischer oder theosophischer Satz gefunden werden. In diesem Sinne
kommt die Welt wirklich nicht über Zoroaster hinaus, aber nicht deswegen,
weil er das größte Universalgenie der alten Welt oder vielleicht gar aller
Zeiten gewesen wäre, sondern weil in der spekulativen Bewegung, die um die
Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus von Indien bis Unteritalien, von
Buddha bis Pythagoms reichte, der Kreis aller metaphysischen Möglichkeiten
schon durchmessen worden ist. Der Wert der spätern Religionen und Philo¬
sophien besteht nicht im Stoff, sondern in der Form ihrer Darstellung und in
ihrer Angemessenheit an die Bedürfnisse der Zeit, in der, und des Volkes,
bei dem eine jede entsteht. Den Philosophien fällt dabei mehr die Aufgabe
zu, den Fortschritt der Wissenschaft zu fördern, während die Religionen das
Gemüt zu befriedigen und Antriebe zum Nechthandeln zu liefern haben. So
ist z.B. Kants Ding an sich keineswegs bloß, wie es Brodbeck nennt, eine
vertrocknete platonische Idee, sondern es besagt, daß Nur von den Dingen, die
jenseits unsrer Erfahrung liegen, nichts wissen können, und daß an deu Grenzen
der Erfahrung die Wissenschaft aufhört und das Gebiet des Glaubens und der
Hypothese anfängt, eine Wahrheit, deren Beherzigung nicht wenig dazu bei¬
getragen hat, den wissenschaftlichen Fortschritt besonnen und methodisch zu
wachen und so zu fördern. Was aber das Christentum anlangt, so mag es
wahr sein, daß einer, der mit der kirchlichen Dogmatik gebrochen hat, stofflich
nichts darin findet, was nicht auch schon im Avesta oder in beliebigen andern
alten Religionsbüchern stünde. Was das Christentum auszeichnet, das ist die
Art und Weise, wie die uralten Wahrheiten in der Bibel vorgetragen werden.
Brodbeck hat eine Menge Proben aus den heiligen Büchern der Parsen zu¬
sammengestellt, und seine Tendenz bürgt dafür, daß er nicht das schlechteste


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[0317] Die arischen Religionen und das Lhristentnin Welt gegenüberstellen. Man konnte sich die Entstehung der Welt als Schöpfung oder als Emanation denken. Man konnte zwischen die sichtbare Welt und das oder die Urwesen beliebig viele den Verkehr beider vermittelnde Dämonen ein- schieben. Alle diese Denkmöglichkeiten sind schon sehr früh erkannt worden, und in der Zeit, wo Zoroaster gelebt haben soll, im siebenten Jahrhundert vor Christus, waren sie wohl schon sämtlich, die einen von diesem, die andern von einem andern Denker durchprobirt worden. Seitdem konnte nichts neues mehr erfunden werden, und materielle Fortschritte konnte weder die Metaphysik noch die Theosophie, wie wir die religiös gefärbte Metaphysik im Unterschiede von der Religion nennen wollen, mehr machen. Wenn daher in spätern Re¬ ligionen und Philosophien Sätze vorkommen, die sich schon im Avesta finden, so ist das so wenig ein Beweis für ihren Ursprung aus dem heiligen Buche der Parsen, wie die Einehe und der Straßenbau darum den Persern abgelernt sein müssen, weil beides bei ihnen für löblich gegolten hat. Demnach hat die Zumutung, über Zoroaster hinaus fortzuschreiten, keinen Sinn, wenn man damit meint, es solle ein neuer, bisher uoch nicht erkannter metaphysischer oder theosophischer Satz gefunden werden. In diesem Sinne kommt die Welt wirklich nicht über Zoroaster hinaus, aber nicht deswegen, weil er das größte Universalgenie der alten Welt oder vielleicht gar aller Zeiten gewesen wäre, sondern weil in der spekulativen Bewegung, die um die Mitte des ersten Jahrtausends vor Christus von Indien bis Unteritalien, von Buddha bis Pythagoms reichte, der Kreis aller metaphysischen Möglichkeiten schon durchmessen worden ist. Der Wert der spätern Religionen und Philo¬ sophien besteht nicht im Stoff, sondern in der Form ihrer Darstellung und in ihrer Angemessenheit an die Bedürfnisse der Zeit, in der, und des Volkes, bei dem eine jede entsteht. Den Philosophien fällt dabei mehr die Aufgabe zu, den Fortschritt der Wissenschaft zu fördern, während die Religionen das Gemüt zu befriedigen und Antriebe zum Nechthandeln zu liefern haben. So ist z.B. Kants Ding an sich keineswegs bloß, wie es Brodbeck nennt, eine vertrocknete platonische Idee, sondern es besagt, daß Nur von den Dingen, die jenseits unsrer Erfahrung liegen, nichts wissen können, und daß an deu Grenzen der Erfahrung die Wissenschaft aufhört und das Gebiet des Glaubens und der Hypothese anfängt, eine Wahrheit, deren Beherzigung nicht wenig dazu bei¬ getragen hat, den wissenschaftlichen Fortschritt besonnen und methodisch zu wachen und so zu fördern. Was aber das Christentum anlangt, so mag es wahr sein, daß einer, der mit der kirchlichen Dogmatik gebrochen hat, stofflich nichts darin findet, was nicht auch schon im Avesta oder in beliebigen andern alten Religionsbüchern stünde. Was das Christentum auszeichnet, das ist die Art und Weise, wie die uralten Wahrheiten in der Bibel vorgetragen werden. Brodbeck hat eine Menge Proben aus den heiligen Büchern der Parsen zu¬ sammengestellt, und seine Tendenz bürgt dafür, daß er nicht das schlechteste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/317>, abgerufen am 15.01.2025.