Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Die arischen Religionen und das Christentum Wahr ist es auch, daß sich demnach das Christentum vorzugsweise zu einer Seine zuversichtliche Charakteristik Zoroasters und seine Darstellung der Die arischen Religionen und das Christentum Wahr ist es auch, daß sich demnach das Christentum vorzugsweise zu einer Seine zuversichtliche Charakteristik Zoroasters und seine Darstellung der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222620"/> <fw type="header" place="top"> Die arischen Religionen und das Christentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_915" prev="#ID_914"> Wahr ist es auch, daß sich demnach das Christentum vorzugsweise zu einer<lb/> Religion der Frauen, der Armen, der Unterdrückten, der Kranken und Leidenden<lb/> eignet. Wahr ist es, daß das, was die Kirche für weltliche Kultur geleistet<lb/> hat, vielfach in Widerspruch steht mit ihrer Theorie, und daß in unsrer Zeit<lb/> der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis in der Christenheit immer un¬<lb/> erträglicher wird. Aber alle diese Thatsachen und Wahrheiten reichen zusammen<lb/> nicht hin, das Verfahren Brodbecks zu rechtfertigen, der Zoroaster als das<lb/> größte Universalgenie der alten Welt preist, der behauptet, die Welt komme<lb/> über Zoroaster nicht hinaus, der alle nachfolgenden Religionsstifter und Philo¬<lb/> sophen das Gute und Wahre, das sie haben, aus ihm schöpfen läßt und das<lb/> Christentum für einen Rückschritt erklärt.</p><lb/> <p xml:id="ID_916" next="#ID_917"> Seine zuversichtliche Charakteristik Zoroasters und seine Darstellung der<lb/> Zendlehre zu kritisiren, überlassen wir den Fachleuten, die es freilich kaum<lb/> für der Mühe wert halten werden, sich mit einer Darstellung zu beschäftigen,<lb/> die sich aus die vor hundertzwanzig Jahren erschienene Kleukersche Übersetzung<lb/> der französischen Übersetzung des Zend von Anquetil du Perron stützt; die<lb/> Art und Weise, wie er Max Dunckcrs klassische Geschichte des Altertums von<lb/> oben herab behandelt, kann nur Heiterkeit erregen. Lassen wir also die streng<lb/> wissenschaftliche Seite der Sache außer Betracht und berücksichtigen wir nur<lb/> die den Widerspruch herausfordernden Meinungen des Verfassers, so läßt sich<lb/> darüber in Kürze folgendes sagen. Was Brodbeck für Abhängigkeit der Re¬<lb/> ligionen und Philosophien von Zoroaster hält, ist nichts anders als eine<lb/> Wirkung der Denknotwendigkeit. Wie sich auf einer gewissen gesellschaftlichen<lb/> Entwicklungsstufe überall dieselben oder sehr ähnliche gesellschaftliche und sitt¬<lb/> liche Vorstellungen und Begriffe entwickeln müssen, so verhält es sich auch<lb/> mit den religiösen. Was den Menschengeist von der Tierseele unterscheidet,<lb/> das ist neben der Nötigung zu sittlichen und ästhetischen Werturteilen der<lb/> Kausalitätstrieb, d. h. die Nötigung, die Erscheinungen in ursächlichen Zu¬<lb/> sammenhang mit einander zu bringen und im Denken bis zu einer Grund¬<lb/> ursache aller Erscheinungen vorzudringen. Für die. Gruppirung der Erschei¬<lb/> nungen und ihre Verknüpfung mit der Grundursache boten sich nun folgende<lb/> Möglichkeiten dar. Man konnte die Erscheinungen und ihre angenommnen<lb/> Ursachen einteilen in körperliche und geistige, in nützliche und schädliche, in<lb/> sittlich gute und sittlich böse. Man konnte diese drei Paare zusammen legen,<lb/> das Geistige als das Heilsame und sittlich Gute der Materie als dem Urquell<lb/> des Bösen gegenüberstellen, oder sie sich in verschiednen Kombinationen kreuzen<lb/> lassen. Man konnte jeden dieser Dualismen sür vorübergehend oder für ewig<lb/> dauernd halten. Man konnte demnach zwei Urwesen, ein gutes und ein böses<lb/> annehmen, oder ein UrWesen, das sich mir vorübergehend spaltet. Man konnte<lb/> das oder die Urwesen sür unbewußt halten und in der Welt ohne Rest auf¬<lb/> gehen lassen, oder man konnte sie oder es als eine bewußte Persönlichkeit der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0316]
Die arischen Religionen und das Christentum
Wahr ist es auch, daß sich demnach das Christentum vorzugsweise zu einer
Religion der Frauen, der Armen, der Unterdrückten, der Kranken und Leidenden
eignet. Wahr ist es, daß das, was die Kirche für weltliche Kultur geleistet
hat, vielfach in Widerspruch steht mit ihrer Theorie, und daß in unsrer Zeit
der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis in der Christenheit immer un¬
erträglicher wird. Aber alle diese Thatsachen und Wahrheiten reichen zusammen
nicht hin, das Verfahren Brodbecks zu rechtfertigen, der Zoroaster als das
größte Universalgenie der alten Welt preist, der behauptet, die Welt komme
über Zoroaster nicht hinaus, der alle nachfolgenden Religionsstifter und Philo¬
sophen das Gute und Wahre, das sie haben, aus ihm schöpfen läßt und das
Christentum für einen Rückschritt erklärt.
Seine zuversichtliche Charakteristik Zoroasters und seine Darstellung der
Zendlehre zu kritisiren, überlassen wir den Fachleuten, die es freilich kaum
für der Mühe wert halten werden, sich mit einer Darstellung zu beschäftigen,
die sich aus die vor hundertzwanzig Jahren erschienene Kleukersche Übersetzung
der französischen Übersetzung des Zend von Anquetil du Perron stützt; die
Art und Weise, wie er Max Dunckcrs klassische Geschichte des Altertums von
oben herab behandelt, kann nur Heiterkeit erregen. Lassen wir also die streng
wissenschaftliche Seite der Sache außer Betracht und berücksichtigen wir nur
die den Widerspruch herausfordernden Meinungen des Verfassers, so läßt sich
darüber in Kürze folgendes sagen. Was Brodbeck für Abhängigkeit der Re¬
ligionen und Philosophien von Zoroaster hält, ist nichts anders als eine
Wirkung der Denknotwendigkeit. Wie sich auf einer gewissen gesellschaftlichen
Entwicklungsstufe überall dieselben oder sehr ähnliche gesellschaftliche und sitt¬
liche Vorstellungen und Begriffe entwickeln müssen, so verhält es sich auch
mit den religiösen. Was den Menschengeist von der Tierseele unterscheidet,
das ist neben der Nötigung zu sittlichen und ästhetischen Werturteilen der
Kausalitätstrieb, d. h. die Nötigung, die Erscheinungen in ursächlichen Zu¬
sammenhang mit einander zu bringen und im Denken bis zu einer Grund¬
ursache aller Erscheinungen vorzudringen. Für die. Gruppirung der Erschei¬
nungen und ihre Verknüpfung mit der Grundursache boten sich nun folgende
Möglichkeiten dar. Man konnte die Erscheinungen und ihre angenommnen
Ursachen einteilen in körperliche und geistige, in nützliche und schädliche, in
sittlich gute und sittlich böse. Man konnte diese drei Paare zusammen legen,
das Geistige als das Heilsame und sittlich Gute der Materie als dem Urquell
des Bösen gegenüberstellen, oder sie sich in verschiednen Kombinationen kreuzen
lassen. Man konnte jeden dieser Dualismen sür vorübergehend oder für ewig
dauernd halten. Man konnte demnach zwei Urwesen, ein gutes und ein böses
annehmen, oder ein UrWesen, das sich mir vorübergehend spaltet. Man konnte
das oder die Urwesen sür unbewußt halten und in der Welt ohne Rest auf¬
gehen lassen, oder man konnte sie oder es als eine bewußte Persönlichkeit der
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