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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Die arischen Religionen und das Christentum

Periode, etwa 1200 bis 1000 v. Chr., als die Inder noch als Hirten im
Pendschab weilten, hatte die Verschlechterung eben erst begonnen, und die Beden
stehen dem Avesta näher als der buddhistischen Litteratur, obwohl Zoroaster
dem Buddha der Zeit nach weit näher steht als den Beden. Doch stellt der
Verfasser die vedische Poesie nicht sehr hoch. "Priesterlichen Meistergesang,
der so spielerisch^ von den Göttern und göttlichen Dingen redet, kann auch
in dem, was er von der Menschenseele und menschlichen Geschicken zu sagen
hat. nicht voller Klang, nicht die Beredsamkeit der Leidenschaft eigen sein; er
wu nicht die Töne haben, aus denen die Wärme und Tiefe, das leise Er¬
zittern des Herzens spricht. Von den Abgründen der Not und der Schuld
weiß diese Poesie wenig; hier kommen vor allem die Glücklichen und Reichen
zu Worte, die das große Opfer darbringen, um den Göttern ihren Wunsch
nach Rindern und Rossen, nach langem Leben und Nachkommenschaft ans Herz
M legen: oder vielmehr, es sprechen nicht einmal diese Opferer selbst, sondern
die von ihnen besoldeten Sänger. Woher sollten da die wahren, tiefen Tone
des Innern kommen? Woher die weiten, feinen Blicke in die Ordnungen des
Geschehens? Woher in diesen engen, flachen Verhältnissen, an den Höfen der
kleinen, mit einander rivalisirenden Dynasten der Ernst und Stolz des in den
Kultus hineinleuchtenden großen nationalen Bewußtseins?"

Wenn wir neben das Buch eines anerkannt bedeutenden Forschers die
Tendenzbroschüre eines Dilettanten") stellen, so geschieht es acht um ihrer
selbst willen, sondern weil sie typisch für den Mißbrauch ist, der mit den
Forschungsergebnissen verdienter Orientalisten vielfach getrieben wird. Seitdem
Schopenhauer Mode geworden ist, widmen seine Verehrer dem Buddhismus
eine übertriebne Wertschätzung, und wenn uns nun zur Abwechslung einmal
Zoroaster empfohlen wird, so kann man das ja als einen Fortschritt begrüßen,
denn die Religion des Avesta steht ohne Frage höher als der Buddhismus
Aber ganz ohne Widerspruch darf die Verherrlichung Zoroasters durch Brodbeck
gerade deshalb nicht bleiben, weil es Thatsachen und wirkliche dem Christentum
anhaftende Schwierigkeiten sind, die ihn dazu verleitet haben. Schwierigsten,
die auch von andern empfunden werden. Thatsache ist. daß sich die Religion
°es Avesta durch Reinheit, Kraft und männlichen Ernst auszeichnet; Thatsache
ist. daß die heute noch daran festhaltenden Parsen in Bombay schöne, geistig
regsame Menschen sind, die sich ihrer Liebenswürdigkeit und ihres Wohlstands
wegen, sowie wegen ihres würdigen und reinen Familienlebens hoher Achtung
erfreuen. Wahr ist es ferner, daß das Neue Testament zur Weltflucht, zur
Trägheit in weltlichen Dingen und zu einer den männlichen Charakter ver¬
nichtenden Geduld und Sanftmut verleiten kann und unzählige verleitet hat.



*) Zoroaster. Ein Beitrag zur vergleichenden Geschichte der Religionen und philo¬
sophischen Systeme des Morgen- und Abendlandes von Dr. Adolf Brodbeck, Mitglied des
ersten Religionsparlaments zu Chicago. Leipzig, Wilhelm Friedrich.
Die arischen Religionen und das Christentum

Periode, etwa 1200 bis 1000 v. Chr., als die Inder noch als Hirten im
Pendschab weilten, hatte die Verschlechterung eben erst begonnen, und die Beden
stehen dem Avesta näher als der buddhistischen Litteratur, obwohl Zoroaster
dem Buddha der Zeit nach weit näher steht als den Beden. Doch stellt der
Verfasser die vedische Poesie nicht sehr hoch. „Priesterlichen Meistergesang,
der so spielerisch^ von den Göttern und göttlichen Dingen redet, kann auch
in dem, was er von der Menschenseele und menschlichen Geschicken zu sagen
hat. nicht voller Klang, nicht die Beredsamkeit der Leidenschaft eigen sein; er
wu nicht die Töne haben, aus denen die Wärme und Tiefe, das leise Er¬
zittern des Herzens spricht. Von den Abgründen der Not und der Schuld
weiß diese Poesie wenig; hier kommen vor allem die Glücklichen und Reichen
zu Worte, die das große Opfer darbringen, um den Göttern ihren Wunsch
nach Rindern und Rossen, nach langem Leben und Nachkommenschaft ans Herz
M legen: oder vielmehr, es sprechen nicht einmal diese Opferer selbst, sondern
die von ihnen besoldeten Sänger. Woher sollten da die wahren, tiefen Tone
des Innern kommen? Woher die weiten, feinen Blicke in die Ordnungen des
Geschehens? Woher in diesen engen, flachen Verhältnissen, an den Höfen der
kleinen, mit einander rivalisirenden Dynasten der Ernst und Stolz des in den
Kultus hineinleuchtenden großen nationalen Bewußtseins?"

Wenn wir neben das Buch eines anerkannt bedeutenden Forschers die
Tendenzbroschüre eines Dilettanten") stellen, so geschieht es acht um ihrer
selbst willen, sondern weil sie typisch für den Mißbrauch ist, der mit den
Forschungsergebnissen verdienter Orientalisten vielfach getrieben wird. Seitdem
Schopenhauer Mode geworden ist, widmen seine Verehrer dem Buddhismus
eine übertriebne Wertschätzung, und wenn uns nun zur Abwechslung einmal
Zoroaster empfohlen wird, so kann man das ja als einen Fortschritt begrüßen,
denn die Religion des Avesta steht ohne Frage höher als der Buddhismus
Aber ganz ohne Widerspruch darf die Verherrlichung Zoroasters durch Brodbeck
gerade deshalb nicht bleiben, weil es Thatsachen und wirkliche dem Christentum
anhaftende Schwierigkeiten sind, die ihn dazu verleitet haben. Schwierigsten,
die auch von andern empfunden werden. Thatsache ist. daß sich die Religion
°es Avesta durch Reinheit, Kraft und männlichen Ernst auszeichnet; Thatsache
ist. daß die heute noch daran festhaltenden Parsen in Bombay schöne, geistig
regsame Menschen sind, die sich ihrer Liebenswürdigkeit und ihres Wohlstands
wegen, sowie wegen ihres würdigen und reinen Familienlebens hoher Achtung
erfreuen. Wahr ist es ferner, daß das Neue Testament zur Weltflucht, zur
Trägheit in weltlichen Dingen und zu einer den männlichen Charakter ver¬
nichtenden Geduld und Sanftmut verleiten kann und unzählige verleitet hat.



*) Zoroaster. Ein Beitrag zur vergleichenden Geschichte der Religionen und philo¬
sophischen Systeme des Morgen- und Abendlandes von Dr. Adolf Brodbeck, Mitglied des
ersten Religionsparlaments zu Chicago. Leipzig, Wilhelm Friedrich.
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[0315] Die arischen Religionen und das Christentum Periode, etwa 1200 bis 1000 v. Chr., als die Inder noch als Hirten im Pendschab weilten, hatte die Verschlechterung eben erst begonnen, und die Beden stehen dem Avesta näher als der buddhistischen Litteratur, obwohl Zoroaster dem Buddha der Zeit nach weit näher steht als den Beden. Doch stellt der Verfasser die vedische Poesie nicht sehr hoch. „Priesterlichen Meistergesang, der so spielerisch^ von den Göttern und göttlichen Dingen redet, kann auch in dem, was er von der Menschenseele und menschlichen Geschicken zu sagen hat. nicht voller Klang, nicht die Beredsamkeit der Leidenschaft eigen sein; er wu nicht die Töne haben, aus denen die Wärme und Tiefe, das leise Er¬ zittern des Herzens spricht. Von den Abgründen der Not und der Schuld weiß diese Poesie wenig; hier kommen vor allem die Glücklichen und Reichen zu Worte, die das große Opfer darbringen, um den Göttern ihren Wunsch nach Rindern und Rossen, nach langem Leben und Nachkommenschaft ans Herz M legen: oder vielmehr, es sprechen nicht einmal diese Opferer selbst, sondern die von ihnen besoldeten Sänger. Woher sollten da die wahren, tiefen Tone des Innern kommen? Woher die weiten, feinen Blicke in die Ordnungen des Geschehens? Woher in diesen engen, flachen Verhältnissen, an den Höfen der kleinen, mit einander rivalisirenden Dynasten der Ernst und Stolz des in den Kultus hineinleuchtenden großen nationalen Bewußtseins?" Wenn wir neben das Buch eines anerkannt bedeutenden Forschers die Tendenzbroschüre eines Dilettanten") stellen, so geschieht es acht um ihrer selbst willen, sondern weil sie typisch für den Mißbrauch ist, der mit den Forschungsergebnissen verdienter Orientalisten vielfach getrieben wird. Seitdem Schopenhauer Mode geworden ist, widmen seine Verehrer dem Buddhismus eine übertriebne Wertschätzung, und wenn uns nun zur Abwechslung einmal Zoroaster empfohlen wird, so kann man das ja als einen Fortschritt begrüßen, denn die Religion des Avesta steht ohne Frage höher als der Buddhismus Aber ganz ohne Widerspruch darf die Verherrlichung Zoroasters durch Brodbeck gerade deshalb nicht bleiben, weil es Thatsachen und wirkliche dem Christentum anhaftende Schwierigkeiten sind, die ihn dazu verleitet haben. Schwierigsten, die auch von andern empfunden werden. Thatsache ist. daß sich die Religion °es Avesta durch Reinheit, Kraft und männlichen Ernst auszeichnet; Thatsache ist. daß die heute noch daran festhaltenden Parsen in Bombay schöne, geistig regsame Menschen sind, die sich ihrer Liebenswürdigkeit und ihres Wohlstands wegen, sowie wegen ihres würdigen und reinen Familienlebens hoher Achtung erfreuen. Wahr ist es ferner, daß das Neue Testament zur Weltflucht, zur Trägheit in weltlichen Dingen und zu einer den männlichen Charakter ver¬ nichtenden Geduld und Sanftmut verleiten kann und unzählige verleitet hat. *) Zoroaster. Ein Beitrag zur vergleichenden Geschichte der Religionen und philo¬ sophischen Systeme des Morgen- und Abendlandes von Dr. Adolf Brodbeck, Mitglied des ersten Religionsparlaments zu Chicago. Leipzig, Wilhelm Friedrich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/315>, abgerufen am 24.08.2024.