Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Die arischen Religionen und das Christentum das daraus entspringende Schuldbewußtsein nicht fehlen. Doch erscheint die Die arischen Religionen und das Christentum das daraus entspringende Schuldbewußtsein nicht fehlen. Doch erscheint die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0314" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222618"/> <fw type="header" place="top"> Die arischen Religionen und das Christentum</fw><lb/> <p xml:id="ID_912" prev="#ID_911" next="#ID_913"> das daraus entspringende Schuldbewußtsein nicht fehlen. Doch erscheint die<lb/> Sünde meistens als etwas von außen angeflognes, als eine verunreinigende<lb/> Substanz, die durch Sühnungsgebräuche abgewaschen werden kann, wie sie auch<lb/> andrerseits durch äußerliche Berührung und durch Absonderungen übertragen<lb/> wird, z. B. vom Vater auf den Sohn. Die Sünde ist mehr etwas objektives<lb/> als etwas subjektives, was übrigens zwar nicht der ältern christlichen und der<lb/> modern juristischen Auffassung, wohl aber dem in unsrer heutigen Philosophie<lb/> herrschenden Determinismus entspricht. In dem bekanntesten der Gebete an<lb/> Varuna heißt es: „Es war nicht mein eigner Wille, Varuna; Bethörung war<lb/> es, Trunk und Spiel, Leidenschaft und Unbedacht. In des Jünglings Fehl<lb/> gerät der Ältere; selbst der Schlaf macht nicht frei von Unrecht." In ge¬<lb/> messener, würdiger Fassung, schreibt Otterberg von diesem Liede, „tritt der<lb/> Büßende vor den Gott; da ist kein leidenschaftlicher Ausbruch von Schmerz<lb/> und Angst; die Sprache, die er spricht, ist ruhig, fast kühl. Aber der Ernst<lb/> des Bewußtseins, daß der göttliche Wächter des Rechts die Sünde verfolgt,<lb/> und zugleich das Vertrauen auf die verzeihende Gnade gegenüber dem Bu߬<lb/> fertigen hat sich doch hier einen Ausdruck geschaffen, dessen einfache und tiefe<lb/> Beredsamkeit, selten in der Poesie des Veda, auch heute noch empfunden<lb/> werden wird und dies Lied wohl als einen der Höhepunkte in dem Reiche<lb/> jener religiösen Dichtung erscheinen lassen mag." Im allgemeinen zeigen die<lb/> gottesdienstlichen Lieder und Gebete nicht diesen Charakter, sondern lassen den<lb/> Kult als ein reines Geschäft erscheinen: Gieb, so gebe ich dir, heißt es dem<lb/> Gott gegenüber. Auch die Vorstellung vom Jenseits ist grob sinnlich; den<lb/> Frommen werden dieselben Freuden verheißen wie im Himmel Mohammeds.<lb/> Selbstverständlich aber gehört Freigebigkeit gegen die Priester zu den wesent¬<lb/> lichen Bestandteilen der Frömmigkeit, und Geiz gegen sie ist die unsühnbarste<lb/> aller Sünden. Die Ausmalung des trägen Genießens in diesem Brahmauen-<lb/> himmel ist eine der Spuren von der beginnenden Verschlechterung, die der<lb/> arische Stammchnrakter des Volkes in der neuen Heimat erlitt, und die der<lb/> Verfasser Seite 2 beschreibt. „Die Trennung der Inder von den Jrciniern war<lb/> für die nach Südosten ziehenden der Verzicht auf die Teilnahme an dem großen<lb/> Wettkampf der Völker gewesen, in welchem die gesunde Menschlichkeit der west¬<lb/> lichen Nationen herangereift ist. In der üppigen Stille ihres neuen Heimat¬<lb/> landes haben jene Arier, die Brüder der vornehmsten Nationen Europas, mit<lb/> der dunkeln Urbevölkerung Indiens sich vermischend, immer mehr die Charakter¬<lb/> züge des Hindutums in sich entwickelt, erschlafft durch das Klima, dem sich<lb/> ihr Typus, in gemäßigter Zone ausgeprägt, nicht ohne schwere Schädigung<lb/> anzupassen imstande war, erschlafft nicht minder durch das thatenlose Genießen,<lb/> welches das reiche Land ihnen nach leichtem Siege über unebenbürtige Gegner,<lb/> widerstandsunfähige Wilde, darbot, durch ein Leben, dem die großen Aufgaben,<lb/> die stählenden Leiden, das starke und harte Muß fehlte." In jener vedischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0314]
Die arischen Religionen und das Christentum
das daraus entspringende Schuldbewußtsein nicht fehlen. Doch erscheint die
Sünde meistens als etwas von außen angeflognes, als eine verunreinigende
Substanz, die durch Sühnungsgebräuche abgewaschen werden kann, wie sie auch
andrerseits durch äußerliche Berührung und durch Absonderungen übertragen
wird, z. B. vom Vater auf den Sohn. Die Sünde ist mehr etwas objektives
als etwas subjektives, was übrigens zwar nicht der ältern christlichen und der
modern juristischen Auffassung, wohl aber dem in unsrer heutigen Philosophie
herrschenden Determinismus entspricht. In dem bekanntesten der Gebete an
Varuna heißt es: „Es war nicht mein eigner Wille, Varuna; Bethörung war
es, Trunk und Spiel, Leidenschaft und Unbedacht. In des Jünglings Fehl
gerät der Ältere; selbst der Schlaf macht nicht frei von Unrecht." In ge¬
messener, würdiger Fassung, schreibt Otterberg von diesem Liede, „tritt der
Büßende vor den Gott; da ist kein leidenschaftlicher Ausbruch von Schmerz
und Angst; die Sprache, die er spricht, ist ruhig, fast kühl. Aber der Ernst
des Bewußtseins, daß der göttliche Wächter des Rechts die Sünde verfolgt,
und zugleich das Vertrauen auf die verzeihende Gnade gegenüber dem Bu߬
fertigen hat sich doch hier einen Ausdruck geschaffen, dessen einfache und tiefe
Beredsamkeit, selten in der Poesie des Veda, auch heute noch empfunden
werden wird und dies Lied wohl als einen der Höhepunkte in dem Reiche
jener religiösen Dichtung erscheinen lassen mag." Im allgemeinen zeigen die
gottesdienstlichen Lieder und Gebete nicht diesen Charakter, sondern lassen den
Kult als ein reines Geschäft erscheinen: Gieb, so gebe ich dir, heißt es dem
Gott gegenüber. Auch die Vorstellung vom Jenseits ist grob sinnlich; den
Frommen werden dieselben Freuden verheißen wie im Himmel Mohammeds.
Selbstverständlich aber gehört Freigebigkeit gegen die Priester zu den wesent¬
lichen Bestandteilen der Frömmigkeit, und Geiz gegen sie ist die unsühnbarste
aller Sünden. Die Ausmalung des trägen Genießens in diesem Brahmauen-
himmel ist eine der Spuren von der beginnenden Verschlechterung, die der
arische Stammchnrakter des Volkes in der neuen Heimat erlitt, und die der
Verfasser Seite 2 beschreibt. „Die Trennung der Inder von den Jrciniern war
für die nach Südosten ziehenden der Verzicht auf die Teilnahme an dem großen
Wettkampf der Völker gewesen, in welchem die gesunde Menschlichkeit der west¬
lichen Nationen herangereift ist. In der üppigen Stille ihres neuen Heimat¬
landes haben jene Arier, die Brüder der vornehmsten Nationen Europas, mit
der dunkeln Urbevölkerung Indiens sich vermischend, immer mehr die Charakter¬
züge des Hindutums in sich entwickelt, erschlafft durch das Klima, dem sich
ihr Typus, in gemäßigter Zone ausgeprägt, nicht ohne schwere Schädigung
anzupassen imstande war, erschlafft nicht minder durch das thatenlose Genießen,
welches das reiche Land ihnen nach leichtem Siege über unebenbürtige Gegner,
widerstandsunfähige Wilde, darbot, durch ein Leben, dem die großen Aufgaben,
die stählenden Leiden, das starke und harte Muß fehlte." In jener vedischen
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