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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

lande, das Streben, die heimischen Tugenden zu pflegen, war hier lebendig,
und es konnte sich auslassen, als ein genialer Komponist dieser Liedertafel
deutsche Lieder ihrer Zeit zu singen gab: das waren Webers sechs Lieder aus
Körners "Leyer und Schwert." Webers edle Volkstümlichkeit, die auch in
seinen Jnstrumentalkompositionen waltet, hat dem neuen Berliner Musikleben
an der Schwelle unsers Zeitalters hier wie in der Oper ihren Stempel auf¬
geprägt.

Neben der Romantik erwuchs aus der Genieperiode heraus der Klassi¬
zismus überall da, wo man nicht erkannte, daß das Griechentum ja nichts
andres lehre als eben das Nationalitätsprinzip. In der Architektur jener
Zeit wurde überall unmittelbar von der Zopfzeit her die Brücke zu diesem
Klassizismus geschlagen, in Berlin besonders früh und entschieden, vielleicht
infolge Knobelsdorffs Vorbereitung. Eine Art von einheimischer naturalistischer
Architektonik der Genieperiode lugt höchstens in dem englisch angelegten Neuen
Garten, der das Marmorpalais umgiebt, schüchtern zwischen den beiden Pe¬
rioden hervor. Unter Friedrich Wilhelm II. hat bereits der Klassizismus die
Herrschaft -- 1793 begann Langhaus das Brandenburger Thor zu bauen --,
und er behielt sie auch auf lange Zeit hinaus, da ihn eine so kraftvolle Per¬
sönlichkeit wie Schinkel bis gegen Ende der Regierung Friedrich Wilhelms III.
vertrat. Auch in der krankhaften Sehnsucht nach dem ewig unerreichbaren grie¬
chischen Ideal liegt eine entschiedne Romantik -- sollte man darin die Erklä¬
rung dafür finden, daß Schinkel zeitweilig zwischen hellenischem und altdeut¬
schem Kunstideal geschwankt hat? Für das künstlerische Bild Berlins hat frei¬
lich seine romantische Periode wenig Bedeutung gewonnen: seine Pläne in
dieser Richtung sind meist nicht ausgeführt worden; auch im Jahre 1810, als
er für die Begräbniskapelle der Königin Luise eine gotische Halle ersonnen hatte,
wurde nicht diese, sondern der bekannte kleine dorische Tempel von Gentz aus¬
geführt.

Gleichviel ob gotisch oder dorisch -- das eine war so wenig lebende
heimische Kunst wie das andre, das deutsche Bürgertum ist es, das beide
Ideale aufgestellt hat, und von der Genieperiode stammen sie beide ab. Auch
auf wissenschaftlichem Gebiete bethätigte es sich alsbald in Berlin nach beiden
Richtungen hin, in der Wissenschaft überwiegt allerdings zunächst die Ro¬
mantik -- Friedrich August Wolfs Berliner Zeit ist nichts mehr gegen seine
Hallische. Ein Zeichen dafür, daß diese Wissenschaft keine höfische Pflanze
mehr war, wurde die Berliner Universität, ein Geschenk des neuen Zeitalters
als Seitenstück zu der Akademie des verflossenen.

So siegte auf allen Gebieten des Geistes das Neue, die demokratische
über die aristokratische Kultur, das ganze wahre freie Ich über den geteilten
und gebundnen Menschen. Doppelt gewaltig erscheint diese Wendung in unsrer
Geschichte durch die gleichzeitige Nötigung für alle Deutschen, sich politisch


Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

lande, das Streben, die heimischen Tugenden zu pflegen, war hier lebendig,
und es konnte sich auslassen, als ein genialer Komponist dieser Liedertafel
deutsche Lieder ihrer Zeit zu singen gab: das waren Webers sechs Lieder aus
Körners „Leyer und Schwert." Webers edle Volkstümlichkeit, die auch in
seinen Jnstrumentalkompositionen waltet, hat dem neuen Berliner Musikleben
an der Schwelle unsers Zeitalters hier wie in der Oper ihren Stempel auf¬
geprägt.

Neben der Romantik erwuchs aus der Genieperiode heraus der Klassi¬
zismus überall da, wo man nicht erkannte, daß das Griechentum ja nichts
andres lehre als eben das Nationalitätsprinzip. In der Architektur jener
Zeit wurde überall unmittelbar von der Zopfzeit her die Brücke zu diesem
Klassizismus geschlagen, in Berlin besonders früh und entschieden, vielleicht
infolge Knobelsdorffs Vorbereitung. Eine Art von einheimischer naturalistischer
Architektonik der Genieperiode lugt höchstens in dem englisch angelegten Neuen
Garten, der das Marmorpalais umgiebt, schüchtern zwischen den beiden Pe¬
rioden hervor. Unter Friedrich Wilhelm II. hat bereits der Klassizismus die
Herrschaft — 1793 begann Langhaus das Brandenburger Thor zu bauen —,
und er behielt sie auch auf lange Zeit hinaus, da ihn eine so kraftvolle Per¬
sönlichkeit wie Schinkel bis gegen Ende der Regierung Friedrich Wilhelms III.
vertrat. Auch in der krankhaften Sehnsucht nach dem ewig unerreichbaren grie¬
chischen Ideal liegt eine entschiedne Romantik — sollte man darin die Erklä¬
rung dafür finden, daß Schinkel zeitweilig zwischen hellenischem und altdeut¬
schem Kunstideal geschwankt hat? Für das künstlerische Bild Berlins hat frei¬
lich seine romantische Periode wenig Bedeutung gewonnen: seine Pläne in
dieser Richtung sind meist nicht ausgeführt worden; auch im Jahre 1810, als
er für die Begräbniskapelle der Königin Luise eine gotische Halle ersonnen hatte,
wurde nicht diese, sondern der bekannte kleine dorische Tempel von Gentz aus¬
geführt.

Gleichviel ob gotisch oder dorisch — das eine war so wenig lebende
heimische Kunst wie das andre, das deutsche Bürgertum ist es, das beide
Ideale aufgestellt hat, und von der Genieperiode stammen sie beide ab. Auch
auf wissenschaftlichem Gebiete bethätigte es sich alsbald in Berlin nach beiden
Richtungen hin, in der Wissenschaft überwiegt allerdings zunächst die Ro¬
mantik — Friedrich August Wolfs Berliner Zeit ist nichts mehr gegen seine
Hallische. Ein Zeichen dafür, daß diese Wissenschaft keine höfische Pflanze
mehr war, wurde die Berliner Universität, ein Geschenk des neuen Zeitalters
als Seitenstück zu der Akademie des verflossenen.

So siegte auf allen Gebieten des Geistes das Neue, die demokratische
über die aristokratische Kultur, das ganze wahre freie Ich über den geteilten
und gebundnen Menschen. Doppelt gewaltig erscheint diese Wendung in unsrer
Geschichte durch die gleichzeitige Nötigung für alle Deutschen, sich politisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/90>, abgerufen am 26.11.2024.