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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

Positionen von ihm, die von seiner entschiednen musikalischen Begabung und
von feinem Kunstverständnis zeugen; wir wissen, daß er die Orgel und andre
Instrumente mit Beherrschung gespielt hat, er hat seine Hofkapelle erweitert
und gebessert, für die drei Kirchen seiner Residenz neue Orgeln angeschafft und
in den Kirchen und Schulen seines Gebietes zwei von ihm selbst bearbeitete
Choralbücher eingeführt.

Gerade die Musik haben fast alle mit einer künstlerischen Ader begabten
Fürsten bis zum Ausgange des achtzehnten Jahrhunderts gehegt und womöglich
ausübend gepflegt. Schon Heinrich Isaac war seit 1492 am Wiener Hofe
"^mxiiomZtg, reg-ius, sein größter Schüler, Ludwig Senffl, war Kapell¬
meister in München, Heinrich Fink am polnischen und Leo Hasler am kur¬
sächsischen Hofe. Heinrich Schütz, ursprünglich ein Zögling von Moritz von
Hessen, war eine Zeit lang hessischer, dann fünfundfünfzig Jahre sächsischer
Kapellmeister, dazwischen haben Hessen und Sachsen vier Jahre lang um seinen
Besitz korrespondirt. Bald nach 1600 blühten an vielen deutschen Residenzen
Hofoper und Kammermusik empor -- unsre Hofvpernscinger und Kammer¬
virtuosen sind ein Andenken an jene Zeit. Eine reiche Fülle von Kompositionen
der Habsburgischen Kaiser aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert
wird jetzt ans Licht gezogen, Karl den Vl. und Fux vermögen wir ebenso
wenig zu trennen wie Friedrich den Großen und Quanz, und noch Kaiser
Franz war ein leidenschaftlicher Freund des Quartettspiels: als er während
der Schlacht bei Leipzig vier Tage hatte aussetzen müssen, rief er am fünften:
Gottlob, jetzt können wir wieder Quartett spielen!

Das alles nicht von ungefähr. Die neuen Bestrebungen und Schöpfungen
einer Zeit finden sich leicht zusammen, weil sie bei ihresgleichen nicht den
mindesten passiven Widerstand der Tradition zu überwinden haben, so seit
dem sechzehnten Jahrhundert das aufblühende Fürstentum und die neue Kunst,
die Musik, die sich damals eben von der Sprache zu lösen begann^ Freilich
ist fast die ganze höfische Musik etwa von 1600 bis 1800 kein einheimisches
Gewächs, und ausländisch, dem nationalen Leben fremd, ist die gesamte höhere
Kultur der deutschen Fürstenhöfe jenes Zeitalters überhaupt gewesen.

Die bürgerliche Kultur tritt seit der Reformationszeit hinter der der Fürsten
und ihrer Höfe zurück. Aber auch in diesem Schatten hat sich das protestantische
deutsche Geistesleben doch verhältnismäßig kräftig weiter entwickelt. So gedeiht
in Berlin bereits zu Anfang des siebzehnte" Jahrhunderts unter und neben
der landesherrlichen Mnsikpflcge eine städtische an dem Kantorat der Nikolai-
kirche, und der Ruhm Johann Eccards, des kurfürstlichen Kapellmeisters seit
1608, wird abgelöst durch den des Kantors Johann Crüger. Eine kleine Zahl
von Handelsstädten im Norden ist selbständig weiter gewachsen, namentlich
Hamburg, in zweiter Linie Leipzig und Königsberg, und hier wurden überall
neben den kommerziellen Interessen auch litterarische und künstlerische aller


Grenzboten I 1896 10
Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

Positionen von ihm, die von seiner entschiednen musikalischen Begabung und
von feinem Kunstverständnis zeugen; wir wissen, daß er die Orgel und andre
Instrumente mit Beherrschung gespielt hat, er hat seine Hofkapelle erweitert
und gebessert, für die drei Kirchen seiner Residenz neue Orgeln angeschafft und
in den Kirchen und Schulen seines Gebietes zwei von ihm selbst bearbeitete
Choralbücher eingeführt.

Gerade die Musik haben fast alle mit einer künstlerischen Ader begabten
Fürsten bis zum Ausgange des achtzehnten Jahrhunderts gehegt und womöglich
ausübend gepflegt. Schon Heinrich Isaac war seit 1492 am Wiener Hofe
«^mxiiomZtg, reg-ius, sein größter Schüler, Ludwig Senffl, war Kapell¬
meister in München, Heinrich Fink am polnischen und Leo Hasler am kur¬
sächsischen Hofe. Heinrich Schütz, ursprünglich ein Zögling von Moritz von
Hessen, war eine Zeit lang hessischer, dann fünfundfünfzig Jahre sächsischer
Kapellmeister, dazwischen haben Hessen und Sachsen vier Jahre lang um seinen
Besitz korrespondirt. Bald nach 1600 blühten an vielen deutschen Residenzen
Hofoper und Kammermusik empor — unsre Hofvpernscinger und Kammer¬
virtuosen sind ein Andenken an jene Zeit. Eine reiche Fülle von Kompositionen
der Habsburgischen Kaiser aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert
wird jetzt ans Licht gezogen, Karl den Vl. und Fux vermögen wir ebenso
wenig zu trennen wie Friedrich den Großen und Quanz, und noch Kaiser
Franz war ein leidenschaftlicher Freund des Quartettspiels: als er während
der Schlacht bei Leipzig vier Tage hatte aussetzen müssen, rief er am fünften:
Gottlob, jetzt können wir wieder Quartett spielen!

Das alles nicht von ungefähr. Die neuen Bestrebungen und Schöpfungen
einer Zeit finden sich leicht zusammen, weil sie bei ihresgleichen nicht den
mindesten passiven Widerstand der Tradition zu überwinden haben, so seit
dem sechzehnten Jahrhundert das aufblühende Fürstentum und die neue Kunst,
die Musik, die sich damals eben von der Sprache zu lösen begann^ Freilich
ist fast die ganze höfische Musik etwa von 1600 bis 1800 kein einheimisches
Gewächs, und ausländisch, dem nationalen Leben fremd, ist die gesamte höhere
Kultur der deutschen Fürstenhöfe jenes Zeitalters überhaupt gewesen.

Die bürgerliche Kultur tritt seit der Reformationszeit hinter der der Fürsten
und ihrer Höfe zurück. Aber auch in diesem Schatten hat sich das protestantische
deutsche Geistesleben doch verhältnismäßig kräftig weiter entwickelt. So gedeiht
in Berlin bereits zu Anfang des siebzehnte» Jahrhunderts unter und neben
der landesherrlichen Mnsikpflcge eine städtische an dem Kantorat der Nikolai-
kirche, und der Ruhm Johann Eccards, des kurfürstlichen Kapellmeisters seit
1608, wird abgelöst durch den des Kantors Johann Crüger. Eine kleine Zahl
von Handelsstädten im Norden ist selbständig weiter gewachsen, namentlich
Hamburg, in zweiter Linie Leipzig und Königsberg, und hier wurden überall
neben den kommerziellen Interessen auch litterarische und künstlerische aller


Grenzboten I 1896 10
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[0081] Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins Positionen von ihm, die von seiner entschiednen musikalischen Begabung und von feinem Kunstverständnis zeugen; wir wissen, daß er die Orgel und andre Instrumente mit Beherrschung gespielt hat, er hat seine Hofkapelle erweitert und gebessert, für die drei Kirchen seiner Residenz neue Orgeln angeschafft und in den Kirchen und Schulen seines Gebietes zwei von ihm selbst bearbeitete Choralbücher eingeführt. Gerade die Musik haben fast alle mit einer künstlerischen Ader begabten Fürsten bis zum Ausgange des achtzehnten Jahrhunderts gehegt und womöglich ausübend gepflegt. Schon Heinrich Isaac war seit 1492 am Wiener Hofe «^mxiiomZtg, reg-ius, sein größter Schüler, Ludwig Senffl, war Kapell¬ meister in München, Heinrich Fink am polnischen und Leo Hasler am kur¬ sächsischen Hofe. Heinrich Schütz, ursprünglich ein Zögling von Moritz von Hessen, war eine Zeit lang hessischer, dann fünfundfünfzig Jahre sächsischer Kapellmeister, dazwischen haben Hessen und Sachsen vier Jahre lang um seinen Besitz korrespondirt. Bald nach 1600 blühten an vielen deutschen Residenzen Hofoper und Kammermusik empor — unsre Hofvpernscinger und Kammer¬ virtuosen sind ein Andenken an jene Zeit. Eine reiche Fülle von Kompositionen der Habsburgischen Kaiser aus dem siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert wird jetzt ans Licht gezogen, Karl den Vl. und Fux vermögen wir ebenso wenig zu trennen wie Friedrich den Großen und Quanz, und noch Kaiser Franz war ein leidenschaftlicher Freund des Quartettspiels: als er während der Schlacht bei Leipzig vier Tage hatte aussetzen müssen, rief er am fünften: Gottlob, jetzt können wir wieder Quartett spielen! Das alles nicht von ungefähr. Die neuen Bestrebungen und Schöpfungen einer Zeit finden sich leicht zusammen, weil sie bei ihresgleichen nicht den mindesten passiven Widerstand der Tradition zu überwinden haben, so seit dem sechzehnten Jahrhundert das aufblühende Fürstentum und die neue Kunst, die Musik, die sich damals eben von der Sprache zu lösen begann^ Freilich ist fast die ganze höfische Musik etwa von 1600 bis 1800 kein einheimisches Gewächs, und ausländisch, dem nationalen Leben fremd, ist die gesamte höhere Kultur der deutschen Fürstenhöfe jenes Zeitalters überhaupt gewesen. Die bürgerliche Kultur tritt seit der Reformationszeit hinter der der Fürsten und ihrer Höfe zurück. Aber auch in diesem Schatten hat sich das protestantische deutsche Geistesleben doch verhältnismäßig kräftig weiter entwickelt. So gedeiht in Berlin bereits zu Anfang des siebzehnte» Jahrhunderts unter und neben der landesherrlichen Mnsikpflcge eine städtische an dem Kantorat der Nikolai- kirche, und der Ruhm Johann Eccards, des kurfürstlichen Kapellmeisters seit 1608, wird abgelöst durch den des Kantors Johann Crüger. Eine kleine Zahl von Handelsstädten im Norden ist selbständig weiter gewachsen, namentlich Hamburg, in zweiter Linie Leipzig und Königsberg, und hier wurden überall neben den kommerziellen Interessen auch litterarische und künstlerische aller Grenzboten I 1896 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/81>, abgerufen am 24.11.2024.