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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

den nur zeitweiligen Schutz der Impfung erschließen können, wenn ihn nicht
Behrings Untersuchungen geradezu bestätigt hätten. Dcirin liegt aber gleich¬
zeitig für alle eine Warnung und eine Mahnung: die Warnung, von den
neuen Heilmethoden zu viel zu erwarten, und die Mahnung, die Bestrebungen
der öffentlichen Gesundheitspflege, die durch ausgiebige Benutzung der frei¬
willigen Gaben der Natur, des Wassers, der Luft und des Lichts die Volks¬
gesundheit zu heben sucht, nach wie vor mit allen Kräften zu unterstützen.
Denn erst aus der Verschmelzung der praktischen Heilkunde mit der Hygiene
wird der Volksgesundheit der mächtigste Schutz und die wirksamste Förderung
erwachsen. > , >




Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

le Entwicklung der deutschen Städte vor der Reformation und
nach der Reformation ist grundverschieden. Bis zum sechzehnte"
Jahrhundert haben sie sich aus eigner Kraft entwickelt, von unten
heraus, mit allen ihren materiellen und geistigen Trieben im
Nährboden des deutscheu Volkes wurzelnd, im wesentlichen un¬
mittelbare Gebilde der Nation; vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahr¬
hundert sind die wichtigsten von ihnen -- Wien, Berlin, München, Dresden --
in vieler Beziehung von oben her, anfangs von Fürsten selbst, dann mehr
durch die Fürstenhöfe vorwärts gegängelt worden; und neben diesen tauchen
damals eine Reihe kleinerer Residenzen in das Licht der Geschichte empor, die
weder vorher noch nachher eine bedeutende Rolle im Geistesleben unsers Volkes
gespielt haben: Kassel, Wolfenbüttel, Weimar.

Es ist die große Zeit des deutschen Landesfürstentums, die mit der Re¬
formation endgiltig anhebt. Der Fürst stand nicht nur vermöge seiner Macht,
sondern vielfach auch geistig geradezu an der Spitze seiner Unterthanen. Das
hervorragendste Beispiel dafür, das aber keineswegs allein steht, ist um 1600
der hochbegabte und vielseitig gebildete Moritz "der Gelehrte" von Hessen-
Kassel. Er war in der Theologie und in der Philosophie seiner Zeit zu Hause,
in den alten wie in den neuen Sprachen bewandert, er hat eine Ethik und
eine Metrik geschrieben, seine pädagogische Einsicht wie seine Gewandtheit im
Disputiren wird gerühmt, er hat das Schauspiel nicht nnr begünstigt, sondern
selbst lateinische Dramen gedichtet, und mehr als das alles scheint ihn die
Musik beschäftigt zu haben: wir haben zahlreiche geistliche und weltliche Kom-


Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

den nur zeitweiligen Schutz der Impfung erschließen können, wenn ihn nicht
Behrings Untersuchungen geradezu bestätigt hätten. Dcirin liegt aber gleich¬
zeitig für alle eine Warnung und eine Mahnung: die Warnung, von den
neuen Heilmethoden zu viel zu erwarten, und die Mahnung, die Bestrebungen
der öffentlichen Gesundheitspflege, die durch ausgiebige Benutzung der frei¬
willigen Gaben der Natur, des Wassers, der Luft und des Lichts die Volks¬
gesundheit zu heben sucht, nach wie vor mit allen Kräften zu unterstützen.
Denn erst aus der Verschmelzung der praktischen Heilkunde mit der Hygiene
wird der Volksgesundheit der mächtigste Schutz und die wirksamste Förderung
erwachsen. > , >




Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins

le Entwicklung der deutschen Städte vor der Reformation und
nach der Reformation ist grundverschieden. Bis zum sechzehnte»
Jahrhundert haben sie sich aus eigner Kraft entwickelt, von unten
heraus, mit allen ihren materiellen und geistigen Trieben im
Nährboden des deutscheu Volkes wurzelnd, im wesentlichen un¬
mittelbare Gebilde der Nation; vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahr¬
hundert sind die wichtigsten von ihnen — Wien, Berlin, München, Dresden —
in vieler Beziehung von oben her, anfangs von Fürsten selbst, dann mehr
durch die Fürstenhöfe vorwärts gegängelt worden; und neben diesen tauchen
damals eine Reihe kleinerer Residenzen in das Licht der Geschichte empor, die
weder vorher noch nachher eine bedeutende Rolle im Geistesleben unsers Volkes
gespielt haben: Kassel, Wolfenbüttel, Weimar.

Es ist die große Zeit des deutschen Landesfürstentums, die mit der Re¬
formation endgiltig anhebt. Der Fürst stand nicht nur vermöge seiner Macht,
sondern vielfach auch geistig geradezu an der Spitze seiner Unterthanen. Das
hervorragendste Beispiel dafür, das aber keineswegs allein steht, ist um 1600
der hochbegabte und vielseitig gebildete Moritz „der Gelehrte" von Hessen-
Kassel. Er war in der Theologie und in der Philosophie seiner Zeit zu Hause,
in den alten wie in den neuen Sprachen bewandert, er hat eine Ethik und
eine Metrik geschrieben, seine pädagogische Einsicht wie seine Gewandtheit im
Disputiren wird gerühmt, er hat das Schauspiel nicht nnr begünstigt, sondern
selbst lateinische Dramen gedichtet, und mehr als das alles scheint ihn die
Musik beschäftigt zu haben: wir haben zahlreiche geistliche und weltliche Kom-


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[0080] Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins den nur zeitweiligen Schutz der Impfung erschließen können, wenn ihn nicht Behrings Untersuchungen geradezu bestätigt hätten. Dcirin liegt aber gleich¬ zeitig für alle eine Warnung und eine Mahnung: die Warnung, von den neuen Heilmethoden zu viel zu erwarten, und die Mahnung, die Bestrebungen der öffentlichen Gesundheitspflege, die durch ausgiebige Benutzung der frei¬ willigen Gaben der Natur, des Wassers, der Luft und des Lichts die Volks¬ gesundheit zu heben sucht, nach wie vor mit allen Kräften zu unterstützen. Denn erst aus der Verschmelzung der praktischen Heilkunde mit der Hygiene wird der Volksgesundheit der mächtigste Schutz und die wirksamste Förderung erwachsen. > , > Hof und Bürgertum in der Geistesgeschichte Berlins le Entwicklung der deutschen Städte vor der Reformation und nach der Reformation ist grundverschieden. Bis zum sechzehnte» Jahrhundert haben sie sich aus eigner Kraft entwickelt, von unten heraus, mit allen ihren materiellen und geistigen Trieben im Nährboden des deutscheu Volkes wurzelnd, im wesentlichen un¬ mittelbare Gebilde der Nation; vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahr¬ hundert sind die wichtigsten von ihnen — Wien, Berlin, München, Dresden — in vieler Beziehung von oben her, anfangs von Fürsten selbst, dann mehr durch die Fürstenhöfe vorwärts gegängelt worden; und neben diesen tauchen damals eine Reihe kleinerer Residenzen in das Licht der Geschichte empor, die weder vorher noch nachher eine bedeutende Rolle im Geistesleben unsers Volkes gespielt haben: Kassel, Wolfenbüttel, Weimar. Es ist die große Zeit des deutschen Landesfürstentums, die mit der Re¬ formation endgiltig anhebt. Der Fürst stand nicht nur vermöge seiner Macht, sondern vielfach auch geistig geradezu an der Spitze seiner Unterthanen. Das hervorragendste Beispiel dafür, das aber keineswegs allein steht, ist um 1600 der hochbegabte und vielseitig gebildete Moritz „der Gelehrte" von Hessen- Kassel. Er war in der Theologie und in der Philosophie seiner Zeit zu Hause, in den alten wie in den neuen Sprachen bewandert, er hat eine Ethik und eine Metrik geschrieben, seine pädagogische Einsicht wie seine Gewandtheit im Disputiren wird gerühmt, er hat das Schauspiel nicht nnr begünstigt, sondern selbst lateinische Dramen gedichtet, und mehr als das alles scheint ihn die Musik beschäftigt zu haben: wir haben zahlreiche geistliche und weltliche Kom-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/80>, abgerufen am 01.09.2024.