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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Das Weihnachtsgeschenk des preußischen Gberkirchenrats

lose Anwälte des deutschen Nutzens. Kümmere euch nicht darum, wenn ihr
für andre Völker und Länder empfehle und betreibt, was ihr bei uns verWerst
und hindert. Gerade darum! Was wir Fremden zufügen, ist noch lange nicht
Fremden uns gegenüber erlaubt. Denn wir sind Partei, Anwälte, nicht Richter.
Und fürchtet endlich nicht, daß es gefährlich sei, so offen die böse Meinung
zu sagen. Denn die Wahrheit wird nie geglaubt. Und dann: wer kann be¬
weisen, daß wir unsre wirkliche Meinung ausgesprochen haben?




Das Weihnachtsgeschenk des preußischen Gber¬
kirchenrats ^ ,
5wu plULöt
^

es bin weder Geistlicher, noch habe ich die Absicht, Geistlicher
zu werden; aber ich habe lebendiges Interesse an dem Wohl¬
ergehen unsrer evangelischen Kirche und meine, daß wir Laien
nicht bloß das Recht haben, unser Urteil zu dem abzugeben,
was die oberste Kirchenbehörde sagt und thut, sondern daß gerade
in eovlksi^liois das Aussprechen der eignen Ansicht Pflicht ist. Und warum
sollten wir Laien nicht mit derselben Berechtigung urteilen wie die Büreau-
kraten, mögen sie nun Juristen oder Geistliche oder beides zugleich sein? Ich
glaube vielmehr, daß der das erste Recht zu einem Urteil hat, der das in
der Kirche und der Geistlichkeit herrschende Leben unbefangen und ohne Vor¬
urteil beobachtet hat, ohne in unmittelbarer Verbindung mit der Kirche zu stehen.
Das aber glaube ich seit Jahren gethan zu haben, und auch das darf ich ver¬
sichern, daß ich um das Wohl und vor allem um die Ehre der evangelischen
Kirche aufrichtig bekümmert bin, und daß mich zur Kritik des jüngsten Er¬
lasses des Evangelischen Oberkirchenrath allein die Sorge treibt.

Juristenarbeit in pastoraler Einkleidung, graue Theorie mit Salbung
vorgetragen -- das war der erste Eindruck beim Lesen dieses Manifestes,
worin unsrer Geistlichkeit die soziale Arbeit untersagt und die Rückkehr zu den
Grundsätzen von 1879 verkündet wird. Soviel Worte, soviel -- schöne Worte,
und was übrig bleibt, zeigt, von welchem Gesichtspunkt aus unsre führenden
Herren die große Bewegung der Geister ansehen, welches Verständnis sie der
weltgeschichtlichen Bedeutung der gegenwärtigen Zeit entgegenbringen. HuivtA
n"u nova-L, die Augen zumachen: das ist die Parole, die vom Kirchenregiment
ausgegeben wird. Nun, für die Fortentwicklung der Weltgeschichte wird dieser


Das Weihnachtsgeschenk des preußischen Gberkirchenrats

lose Anwälte des deutschen Nutzens. Kümmere euch nicht darum, wenn ihr
für andre Völker und Länder empfehle und betreibt, was ihr bei uns verWerst
und hindert. Gerade darum! Was wir Fremden zufügen, ist noch lange nicht
Fremden uns gegenüber erlaubt. Denn wir sind Partei, Anwälte, nicht Richter.
Und fürchtet endlich nicht, daß es gefährlich sei, so offen die böse Meinung
zu sagen. Denn die Wahrheit wird nie geglaubt. Und dann: wer kann be¬
weisen, daß wir unsre wirkliche Meinung ausgesprochen haben?




Das Weihnachtsgeschenk des preußischen Gber¬
kirchenrats ^ ,
5wu plULöt
^

es bin weder Geistlicher, noch habe ich die Absicht, Geistlicher
zu werden; aber ich habe lebendiges Interesse an dem Wohl¬
ergehen unsrer evangelischen Kirche und meine, daß wir Laien
nicht bloß das Recht haben, unser Urteil zu dem abzugeben,
was die oberste Kirchenbehörde sagt und thut, sondern daß gerade
in eovlksi^liois das Aussprechen der eignen Ansicht Pflicht ist. Und warum
sollten wir Laien nicht mit derselben Berechtigung urteilen wie die Büreau-
kraten, mögen sie nun Juristen oder Geistliche oder beides zugleich sein? Ich
glaube vielmehr, daß der das erste Recht zu einem Urteil hat, der das in
der Kirche und der Geistlichkeit herrschende Leben unbefangen und ohne Vor¬
urteil beobachtet hat, ohne in unmittelbarer Verbindung mit der Kirche zu stehen.
Das aber glaube ich seit Jahren gethan zu haben, und auch das darf ich ver¬
sichern, daß ich um das Wohl und vor allem um die Ehre der evangelischen
Kirche aufrichtig bekümmert bin, und daß mich zur Kritik des jüngsten Er¬
lasses des Evangelischen Oberkirchenrath allein die Sorge treibt.

Juristenarbeit in pastoraler Einkleidung, graue Theorie mit Salbung
vorgetragen — das war der erste Eindruck beim Lesen dieses Manifestes,
worin unsrer Geistlichkeit die soziale Arbeit untersagt und die Rückkehr zu den
Grundsätzen von 1879 verkündet wird. Soviel Worte, soviel — schöne Worte,
und was übrig bleibt, zeigt, von welchem Gesichtspunkt aus unsre führenden
Herren die große Bewegung der Geister ansehen, welches Verständnis sie der
weltgeschichtlichen Bedeutung der gegenwärtigen Zeit entgegenbringen. HuivtA
n«u nova-L, die Augen zumachen: das ist die Parole, die vom Kirchenregiment
ausgegeben wird. Nun, für die Fortentwicklung der Weltgeschichte wird dieser


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[0068] Das Weihnachtsgeschenk des preußischen Gberkirchenrats lose Anwälte des deutschen Nutzens. Kümmere euch nicht darum, wenn ihr für andre Völker und Länder empfehle und betreibt, was ihr bei uns verWerst und hindert. Gerade darum! Was wir Fremden zufügen, ist noch lange nicht Fremden uns gegenüber erlaubt. Denn wir sind Partei, Anwälte, nicht Richter. Und fürchtet endlich nicht, daß es gefährlich sei, so offen die böse Meinung zu sagen. Denn die Wahrheit wird nie geglaubt. Und dann: wer kann be¬ weisen, daß wir unsre wirkliche Meinung ausgesprochen haben? Das Weihnachtsgeschenk des preußischen Gber¬ kirchenrats ^ , 5wu plULöt ^ es bin weder Geistlicher, noch habe ich die Absicht, Geistlicher zu werden; aber ich habe lebendiges Interesse an dem Wohl¬ ergehen unsrer evangelischen Kirche und meine, daß wir Laien nicht bloß das Recht haben, unser Urteil zu dem abzugeben, was die oberste Kirchenbehörde sagt und thut, sondern daß gerade in eovlksi^liois das Aussprechen der eignen Ansicht Pflicht ist. Und warum sollten wir Laien nicht mit derselben Berechtigung urteilen wie die Büreau- kraten, mögen sie nun Juristen oder Geistliche oder beides zugleich sein? Ich glaube vielmehr, daß der das erste Recht zu einem Urteil hat, der das in der Kirche und der Geistlichkeit herrschende Leben unbefangen und ohne Vor¬ urteil beobachtet hat, ohne in unmittelbarer Verbindung mit der Kirche zu stehen. Das aber glaube ich seit Jahren gethan zu haben, und auch das darf ich ver¬ sichern, daß ich um das Wohl und vor allem um die Ehre der evangelischen Kirche aufrichtig bekümmert bin, und daß mich zur Kritik des jüngsten Er¬ lasses des Evangelischen Oberkirchenrath allein die Sorge treibt. Juristenarbeit in pastoraler Einkleidung, graue Theorie mit Salbung vorgetragen — das war der erste Eindruck beim Lesen dieses Manifestes, worin unsrer Geistlichkeit die soziale Arbeit untersagt und die Rückkehr zu den Grundsätzen von 1879 verkündet wird. Soviel Worte, soviel — schöne Worte, und was übrig bleibt, zeigt, von welchem Gesichtspunkt aus unsre führenden Herren die große Bewegung der Geister ansehen, welches Verständnis sie der weltgeschichtlichen Bedeutung der gegenwärtigen Zeit entgegenbringen. HuivtA n«u nova-L, die Augen zumachen: das ist die Parole, die vom Kirchenregiment ausgegeben wird. Nun, für die Fortentwicklung der Weltgeschichte wird dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/68>, abgerufen am 01.09.2024.