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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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und freute sich wie ein Kind darüber, daß ihr eine Berliner Firma einige Schälchen
und Gläser zu geringem Preis abgenommen hatte. Sie machte großartige Pläne,
wie sie im Laufe des Frühlings und Sommers nach der Natur malen wollte, und
entbehrte keinen Menschen. Auch nicht Herrn Neumann, der sich seit Weih¬
nachten nur sehr selten in der Stadt zeigte nud nicht ganz sicher schien, ob es
ihm dort ferner gefallen würde. Im Februar aber erhielt er einen Brief von
Frau von Zehleuech die ihn fragte, ob er gestorben sei? Wenn nicht, dann möchte
er sie doch einmal besuchen.

Neumann atmete tief anf, als er diesen Brief erhielt; dann schlug er in einem
neu erworbnen Adelslexikon die Familie der Zehlenecks nach, grübelte lange und
führ an demselben Nachmittag in die Stadt.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Byzantinisches.

Wie wunderlich, daß gerade in den Blättern, die sich am
meisten durch ihre Feindschaft gegen den Liberalismus hervorthun, fortwährend an
unserm Reichstag herumgenörgelt wird! Es ist wahr, die Neichsboten schwarzen
viel, aber das ist ja gerade vornehm. Die am exklusivsten aristokratische par¬
lamentarische Körperschaft Europas, das englische Oberhaus, hat sich, um Beschlüsse
zustande bringen zu können, schon längst genötigt gesehen, ihre Beschlußfähigkeits¬
ziffer anf drei herabzusehen. Und was liegt an der Zahl der Stimmender, wenn
nur die Gesetze schön sind, die man macht. Und wie schön sind die, wie müssen
sie jedem Feinde modernen liberalen Unfugs das Herz erfreue"! Steht man doch
im Begriff, der Börse, diesem schon in der Apokalypse so anschaulich beschrieb"",:
Tier, die Hörner zu stutzen und den gefräßigen Rachen mit einem Maulkorb zu
verschließe", was weder der Beschluß "Eines Ehrbaren Kaufmanns" der freien
Reichsstadt Hamburg uoch der "Schntzverbnnd gegen agrarische Übergriffe" hindern
wird, und gleichzeitig räumt man mit den letzten Resten der Gewerbefreiheit auf.
Wen" wir die Zwangsinnung und den Befähigungsnachweis "och nicht haben, so
liegt das nnr daran/daß sich die Züuftler an das schwierige Geschäft der Ab¬
grenzung der Gewerbe selbst nicht hinanwage" und diese interessante Aufgabe der
Regierung zuweisen, die sich seit Jahre" mit Orgauisatiouspläueu abplagt, ohne
für ihre Entwürfe Dank zu ernten. Was wir noch weiter zu erwarten haben,
das hat ein Pessimist in der Versammlung des Deutschen Handelstags vom 10.
ausgesprochen. Der bekannte nationalliberale Generalsekretär Bneck meinte, für die
beklagten Leiden der Landwirtschaft gebe es eine Radikalkur: man dürfe nur die
Eisenbahnen zerstören und die Dampfer versenken, aber soweit würden die Ver¬
treter der Landwirtschaft wohl nicht gehe" wolle"; einer aber aus der Versamm¬
lung rief: Das kommt noch!

Es ist nicht immer ganz leicht, den Gedankengängen der rückwärts revidirenden
Patrioten unsers Reichstags zu folgen und im voraus zu erraten, was sie in einem


und freute sich wie ein Kind darüber, daß ihr eine Berliner Firma einige Schälchen
und Gläser zu geringem Preis abgenommen hatte. Sie machte großartige Pläne,
wie sie im Laufe des Frühlings und Sommers nach der Natur malen wollte, und
entbehrte keinen Menschen. Auch nicht Herrn Neumann, der sich seit Weih¬
nachten nur sehr selten in der Stadt zeigte nud nicht ganz sicher schien, ob es
ihm dort ferner gefallen würde. Im Februar aber erhielt er einen Brief von
Frau von Zehleuech die ihn fragte, ob er gestorben sei? Wenn nicht, dann möchte
er sie doch einmal besuchen.

Neumann atmete tief anf, als er diesen Brief erhielt; dann schlug er in einem
neu erworbnen Adelslexikon die Familie der Zehlenecks nach, grübelte lange und
führ an demselben Nachmittag in die Stadt.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Byzantinisches.

Wie wunderlich, daß gerade in den Blättern, die sich am
meisten durch ihre Feindschaft gegen den Liberalismus hervorthun, fortwährend an
unserm Reichstag herumgenörgelt wird! Es ist wahr, die Neichsboten schwarzen
viel, aber das ist ja gerade vornehm. Die am exklusivsten aristokratische par¬
lamentarische Körperschaft Europas, das englische Oberhaus, hat sich, um Beschlüsse
zustande bringen zu können, schon längst genötigt gesehen, ihre Beschlußfähigkeits¬
ziffer anf drei herabzusehen. Und was liegt an der Zahl der Stimmender, wenn
nur die Gesetze schön sind, die man macht. Und wie schön sind die, wie müssen
sie jedem Feinde modernen liberalen Unfugs das Herz erfreue»! Steht man doch
im Begriff, der Börse, diesem schon in der Apokalypse so anschaulich beschrieb»«,:
Tier, die Hörner zu stutzen und den gefräßigen Rachen mit einem Maulkorb zu
verschließe», was weder der Beschluß „Eines Ehrbaren Kaufmanns" der freien
Reichsstadt Hamburg uoch der „Schntzverbnnd gegen agrarische Übergriffe" hindern
wird, und gleichzeitig räumt man mit den letzten Resten der Gewerbefreiheit auf.
Wen» wir die Zwangsinnung und den Befähigungsnachweis »och nicht haben, so
liegt das nnr daran/daß sich die Züuftler an das schwierige Geschäft der Ab¬
grenzung der Gewerbe selbst nicht hinanwage» und diese interessante Aufgabe der
Regierung zuweisen, die sich seit Jahre» mit Orgauisatiouspläueu abplagt, ohne
für ihre Entwürfe Dank zu ernten. Was wir noch weiter zu erwarten haben,
das hat ein Pessimist in der Versammlung des Deutschen Handelstags vom 10.
ausgesprochen. Der bekannte nationalliberale Generalsekretär Bneck meinte, für die
beklagten Leiden der Landwirtschaft gebe es eine Radikalkur: man dürfe nur die
Eisenbahnen zerstören und die Dampfer versenken, aber soweit würden die Ver¬
treter der Landwirtschaft wohl nicht gehe» wolle»; einer aber aus der Versamm¬
lung rief: Das kommt noch!

Es ist nicht immer ganz leicht, den Gedankengängen der rückwärts revidirenden
Patrioten unsers Reichstags zu folgen und im voraus zu erraten, was sie in einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/591>, abgerufen am 27.11.2024.