Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.Richter und Anmalt nicht aus. Sie werden leichthin ausgesprochen; die, die sie aufstellen, sind Richter und Anmalt nicht aus. Sie werden leichthin ausgesprochen; die, die sie aufstellen, sind <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222168"/> <fw type="header" place="top"> Richter und Anmalt</fw><lb/> <p xml:id="ID_1733" prev="#ID_1732" next="#ID_1734"> nicht aus. Sie werden leichthin ausgesprochen; die, die sie aufstellen, sind<lb/> meist grämliche lÄuil^tores teinxoris aeU, oder sie leiten von einzelnen Fällen,<lb/> die in die Öffentlichkeit gedrungen sind, ein Urteil über die Gesamtheit ab.<lb/> Es kann unbestritten bleiben, daß bei deu Korps eine Art der Lebensführung<lb/> an die Öffentlichkeit tritt, die niemandes Billigung finden kann, der deu Ernst<lb/> des Lebens kennt, ebenso unbestritten ist, daß sich der Bestand der Korps vor<lb/> zugsweise aus deu mehr bemittelten Studenten der Rechtskunde bildet; be¬<lb/> achtet man aber, daß auf 3—4000 Studenten der Rechtskunde vielleicht<lb/> 20 Mitglieder von Korps kommen, da die Anzahl der Korpsstudenten der<lb/> Anzahl der Studirenden gegenüber äußerst gering ist, so wird man die Un¬<lb/> richtigkeit des Schlusses von der Trägheit dieser wenigen auf die Gesamt¬<lb/> heit ohne weiteres einsehe». Andrerseits würde es Wohl überraschen, wenn fest¬<lb/> gestellt würde, wieviel Prozent dieser ehemaligen Drohnen sich nicht nur<lb/> in hervorragenden Stellungen befiudeu, sondern auch als anerkannt tüchtige<lb/> Männer dastehen. Ganz im Gegenteil kann dreist behauptet werden, daß die<lb/> jünger» Richter durchschnittlich über ein das Mittelmaß ansehnlich überschrei¬<lb/> tendes theoretisches Wissen gebieten; in der Praxis tritt bei ihnen ein oft zur<lb/> Kleinlichkeit neigendes und zu einer vollständigen Verkennung der Forderungen<lb/> des Lebens ausartendes Kleben am Buchstaben, eine gewisse Ungewmidtheit im<lb/> schriftlichen Ausdruck, sowie eine unnötige Barschheit gegen das rechtsuchcude<lb/> Publikum hervor. Ferner fällt dem ältern auf, daß — ganz im Gegensatz zu<lb/> deu sechziger und siebziger Jahren — ein liberal oder gar ein fortschrittlich ge¬<lb/> sinnter Assessor kaum noch zu finden ist, und wenn schon, dann ist es in neun<lb/> von zehn Fällen sicherlich el» jüdischer Assessor. Aber Unkenntnis des prak¬<lb/> tischen Lebens und übermäßige Barschheit sind Fehler, die der Jugend ankleben<lb/> und mit der zunehmenden Erfahrung und der wachsende» Erkenntnis, daß der<lb/> Richter für die Rechtsuchenden und nicht diese für ihn basirt, verschwinden.<lb/> Kommt nnn el» Fehlgriff eines junge», sonst vielleicht recht fähigen und tüch¬<lb/> tige» Richters bei der jetzige» Öffentlichkeit des Verfahrens in die Presse und<lb/> damit zur Kenntnis der Menge, flugs ist da wieder ein vernichtendes Urteil<lb/> von dem einzelnen Fall auf die Gesamtheit fertig. Auch Mißgriffe, nament¬<lb/> lich in der Strafrechtspflege, die ja vorzugsweise die Öffentlichkeit beschäftigt,<lb/> werden sofort der Minderwertigkeit des jetzigen Nichterpersonals zugeschoben.<lb/> Wenn aber das Richterpersonal der Zahl nach nicht imstande ist, sein Arbeits¬<lb/> pensum, das sich täglich häuft, mit der Ruhe zu erledigen, die die Wichtigkeit<lb/> auch der geringste» Strafsache erfordert, wenn es mir immer heißt: ihr müßt<lb/> fertig werden, dürft keine Neste haben, es muß schnell gehen, dann kann es<lb/> wohl kommen, daß auch die fähigsten, gewissenhaftesten Richter unter der Last<lb/> der ihnen aufgebürdeten Sachen erlahmen. Daß sich jetzt so wenig Richter an<lb/> den politischen Kämpfen beteiligen, liegt wohl in der Verflachung der politischen<lb/> Überzeugungen und in dem Zurücktrete» extremer Parteiaiifichte» überhaupt,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0522]
Richter und Anmalt
nicht aus. Sie werden leichthin ausgesprochen; die, die sie aufstellen, sind
meist grämliche lÄuil^tores teinxoris aeU, oder sie leiten von einzelnen Fällen,
die in die Öffentlichkeit gedrungen sind, ein Urteil über die Gesamtheit ab.
Es kann unbestritten bleiben, daß bei deu Korps eine Art der Lebensführung
an die Öffentlichkeit tritt, die niemandes Billigung finden kann, der deu Ernst
des Lebens kennt, ebenso unbestritten ist, daß sich der Bestand der Korps vor
zugsweise aus deu mehr bemittelten Studenten der Rechtskunde bildet; be¬
achtet man aber, daß auf 3—4000 Studenten der Rechtskunde vielleicht
20 Mitglieder von Korps kommen, da die Anzahl der Korpsstudenten der
Anzahl der Studirenden gegenüber äußerst gering ist, so wird man die Un¬
richtigkeit des Schlusses von der Trägheit dieser wenigen auf die Gesamt¬
heit ohne weiteres einsehe». Andrerseits würde es Wohl überraschen, wenn fest¬
gestellt würde, wieviel Prozent dieser ehemaligen Drohnen sich nicht nur
in hervorragenden Stellungen befiudeu, sondern auch als anerkannt tüchtige
Männer dastehen. Ganz im Gegenteil kann dreist behauptet werden, daß die
jünger» Richter durchschnittlich über ein das Mittelmaß ansehnlich überschrei¬
tendes theoretisches Wissen gebieten; in der Praxis tritt bei ihnen ein oft zur
Kleinlichkeit neigendes und zu einer vollständigen Verkennung der Forderungen
des Lebens ausartendes Kleben am Buchstaben, eine gewisse Ungewmidtheit im
schriftlichen Ausdruck, sowie eine unnötige Barschheit gegen das rechtsuchcude
Publikum hervor. Ferner fällt dem ältern auf, daß — ganz im Gegensatz zu
deu sechziger und siebziger Jahren — ein liberal oder gar ein fortschrittlich ge¬
sinnter Assessor kaum noch zu finden ist, und wenn schon, dann ist es in neun
von zehn Fällen sicherlich el» jüdischer Assessor. Aber Unkenntnis des prak¬
tischen Lebens und übermäßige Barschheit sind Fehler, die der Jugend ankleben
und mit der zunehmenden Erfahrung und der wachsende» Erkenntnis, daß der
Richter für die Rechtsuchenden und nicht diese für ihn basirt, verschwinden.
Kommt nnn el» Fehlgriff eines junge», sonst vielleicht recht fähigen und tüch¬
tige» Richters bei der jetzige» Öffentlichkeit des Verfahrens in die Presse und
damit zur Kenntnis der Menge, flugs ist da wieder ein vernichtendes Urteil
von dem einzelnen Fall auf die Gesamtheit fertig. Auch Mißgriffe, nament¬
lich in der Strafrechtspflege, die ja vorzugsweise die Öffentlichkeit beschäftigt,
werden sofort der Minderwertigkeit des jetzigen Nichterpersonals zugeschoben.
Wenn aber das Richterpersonal der Zahl nach nicht imstande ist, sein Arbeits¬
pensum, das sich täglich häuft, mit der Ruhe zu erledigen, die die Wichtigkeit
auch der geringste» Strafsache erfordert, wenn es mir immer heißt: ihr müßt
fertig werden, dürft keine Neste haben, es muß schnell gehen, dann kann es
wohl kommen, daß auch die fähigsten, gewissenhaftesten Richter unter der Last
der ihnen aufgebürdeten Sachen erlahmen. Daß sich jetzt so wenig Richter an
den politischen Kämpfen beteiligen, liegt wohl in der Verflachung der politischen
Überzeugungen und in dem Zurücktrete» extremer Parteiaiifichte» überhaupt,
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