Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

sieht in fester, gewinnbringender Praxis dem Treiben behaglich zu, da es ihm
nicht mehr viel schaden kann, weil er sein Schäfchen im Trocknen hat.

Wie lange aber noch, und diese Vertreter des Anwaltstaudes sind ver¬
schwunden! Werden dann die, die an ihre Stelle treten, in ihrer Gesamtheit
geeignet sein, den preußischen Anwaltstand, der an Ehre, Treue, Zuverlässig¬
keit und Gewissenhaftigkeit an der Spitze der Berufsgenossen aller Nationen
stand, jedenfalls von dem keines andern Kulturvolkes übertroffeii wurde, auf
seiner Höhe zu halten? Nicht nur in den Kreisen der Richter, sondern auch
in den Kreisen der ältern Anwälte wird diese Frage bedenkliches Kopfschütteln
errege".

Stellt man sich aus den Standpunkt des Richters und fragt: Was ver¬
langen wir von einem Rechtsanwalt? so wird in alle" Fällen die Antwort
lauten: Der Anwalt soll helfen, das Recht zu finden, sei es im bürgerliche"
Rechtsstreit, sei es im Strafverfahre". Er soll ein Helfer sein für die der
Formen des Rechts unkundige Partei, er soll darauf achte", daß nicht durch
Verletzung oder Nichtbeachtung der vorgeschriebnen Form der Rechtsuchende
sein Recht ganz verliert und Unrecht leiden muß, er soll dafür sorgen, daß
materiell alles beigebracht werde, was zur Findung des Rechts durch den
Richter und zur Beseitigung von Fehlsprüchen nötig ist, aber er soll nicht im
bürgerlichen Rechtsstreit durch verschleppende Anträge, durch Bestreiteu der
offenbare" Wahrheit und Behaupten von Unrichtigem die Entscheidung hin¬
ziehe" und den Richter verwirren, er soll nicht im Strafverfahren durch allerlei
Manöver den Thatbestand zu verdunkeln und den Schuldigen der verdienten
Strafe zu entziehen versuchen.

Es ist kein Zweifel, daß die Zahl der Anwälte wächst, die solche Ver¬
schleppungen, Verwirrungen und Verdunklungen oft in sehr geschickter Weise
herbeiführe", denen es nicht darauf ankommt, das Recht zu fördern, sondern
nur darauf, im Interesse des Ansehens ihrer Geschäftskunde und damit ihres
Gewinns möglichst viel Prozesse zu gewinnen und als Verteidiger den An¬
geklagten "rausznreißen," selbst wenn sie überzeugt sei" müssen, der Mann sei
schuldig, oder das Recht sei bei der Gegenpartei.

Es wird so oft behauptet, die Güte des Richterstaudes gehe herunter, ja
sei schon heruntergegangen. Man folgert das aus dem Zurücktreten der Richter
von der Führung politischer Parteien, aus manchen in die Öffentlichkeit ge¬
brachten der Menge unverständlichen Sprüchen. Es wird behauptet, die Richter
müßten ja wenig unterrichtete Leute sein, denn die Studenten der Rechtskunde
thäten ans der Universität nichts andres, als trinken, bummelu und das
rüde Drohuenleben von Kvrpsstndeiiten führen. Das müßte man aber doch
von alle" Juristen, namentlich auch von den Verwaltungsbeamten und von
den Rechtsanwälten behaupten können, denn auch sie waren einst Studenten
der Rechtskunde. Alle solche allgemeinen Behauptungen halten die Prüfung


Grenzboten I 1L96 65

sieht in fester, gewinnbringender Praxis dem Treiben behaglich zu, da es ihm
nicht mehr viel schaden kann, weil er sein Schäfchen im Trocknen hat.

Wie lange aber noch, und diese Vertreter des Anwaltstaudes sind ver¬
schwunden! Werden dann die, die an ihre Stelle treten, in ihrer Gesamtheit
geeignet sein, den preußischen Anwaltstand, der an Ehre, Treue, Zuverlässig¬
keit und Gewissenhaftigkeit an der Spitze der Berufsgenossen aller Nationen
stand, jedenfalls von dem keines andern Kulturvolkes übertroffeii wurde, auf
seiner Höhe zu halten? Nicht nur in den Kreisen der Richter, sondern auch
in den Kreisen der ältern Anwälte wird diese Frage bedenkliches Kopfschütteln
errege».

Stellt man sich aus den Standpunkt des Richters und fragt: Was ver¬
langen wir von einem Rechtsanwalt? so wird in alle» Fällen die Antwort
lauten: Der Anwalt soll helfen, das Recht zu finden, sei es im bürgerliche»
Rechtsstreit, sei es im Strafverfahre». Er soll ein Helfer sein für die der
Formen des Rechts unkundige Partei, er soll darauf achte», daß nicht durch
Verletzung oder Nichtbeachtung der vorgeschriebnen Form der Rechtsuchende
sein Recht ganz verliert und Unrecht leiden muß, er soll dafür sorgen, daß
materiell alles beigebracht werde, was zur Findung des Rechts durch den
Richter und zur Beseitigung von Fehlsprüchen nötig ist, aber er soll nicht im
bürgerlichen Rechtsstreit durch verschleppende Anträge, durch Bestreiteu der
offenbare» Wahrheit und Behaupten von Unrichtigem die Entscheidung hin¬
ziehe» und den Richter verwirren, er soll nicht im Strafverfahren durch allerlei
Manöver den Thatbestand zu verdunkeln und den Schuldigen der verdienten
Strafe zu entziehen versuchen.

Es ist kein Zweifel, daß die Zahl der Anwälte wächst, die solche Ver¬
schleppungen, Verwirrungen und Verdunklungen oft in sehr geschickter Weise
herbeiführe», denen es nicht darauf ankommt, das Recht zu fördern, sondern
nur darauf, im Interesse des Ansehens ihrer Geschäftskunde und damit ihres
Gewinns möglichst viel Prozesse zu gewinnen und als Verteidiger den An¬
geklagten „rausznreißen," selbst wenn sie überzeugt sei» müssen, der Mann sei
schuldig, oder das Recht sei bei der Gegenpartei.

Es wird so oft behauptet, die Güte des Richterstaudes gehe herunter, ja
sei schon heruntergegangen. Man folgert das aus dem Zurücktreten der Richter
von der Führung politischer Parteien, aus manchen in die Öffentlichkeit ge¬
brachten der Menge unverständlichen Sprüchen. Es wird behauptet, die Richter
müßten ja wenig unterrichtete Leute sein, denn die Studenten der Rechtskunde
thäten ans der Universität nichts andres, als trinken, bummelu und das
rüde Drohuenleben von Kvrpsstndeiiten führen. Das müßte man aber doch
von alle» Juristen, namentlich auch von den Verwaltungsbeamten und von
den Rechtsanwälten behaupten können, denn auch sie waren einst Studenten
der Rechtskunde. Alle solche allgemeinen Behauptungen halten die Prüfung


Grenzboten I 1L96 65
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0521" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222167"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1728" prev="#ID_1727"> sieht in fester, gewinnbringender Praxis dem Treiben behaglich zu, da es ihm<lb/>
nicht mehr viel schaden kann, weil er sein Schäfchen im Trocknen hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1729"> Wie lange aber noch, und diese Vertreter des Anwaltstaudes sind ver¬<lb/>
schwunden! Werden dann die, die an ihre Stelle treten, in ihrer Gesamtheit<lb/>
geeignet sein, den preußischen Anwaltstand, der an Ehre, Treue, Zuverlässig¬<lb/>
keit und Gewissenhaftigkeit an der Spitze der Berufsgenossen aller Nationen<lb/>
stand, jedenfalls von dem keines andern Kulturvolkes übertroffeii wurde, auf<lb/>
seiner Höhe zu halten? Nicht nur in den Kreisen der Richter, sondern auch<lb/>
in den Kreisen der ältern Anwälte wird diese Frage bedenkliches Kopfschütteln<lb/>
errege».</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1730"> Stellt man sich aus den Standpunkt des Richters und fragt: Was ver¬<lb/>
langen wir von einem Rechtsanwalt? so wird in alle» Fällen die Antwort<lb/>
lauten: Der Anwalt soll helfen, das Recht zu finden, sei es im bürgerliche»<lb/>
Rechtsstreit, sei es im Strafverfahre». Er soll ein Helfer sein für die der<lb/>
Formen des Rechts unkundige Partei, er soll darauf achte», daß nicht durch<lb/>
Verletzung oder Nichtbeachtung der vorgeschriebnen Form der Rechtsuchende<lb/>
sein Recht ganz verliert und Unrecht leiden muß, er soll dafür sorgen, daß<lb/>
materiell alles beigebracht werde, was zur Findung des Rechts durch den<lb/>
Richter und zur Beseitigung von Fehlsprüchen nötig ist, aber er soll nicht im<lb/>
bürgerlichen Rechtsstreit durch verschleppende Anträge, durch Bestreiteu der<lb/>
offenbare» Wahrheit und Behaupten von Unrichtigem die Entscheidung hin¬<lb/>
ziehe» und den Richter verwirren, er soll nicht im Strafverfahren durch allerlei<lb/>
Manöver den Thatbestand zu verdunkeln und den Schuldigen der verdienten<lb/>
Strafe zu entziehen versuchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1731"> Es ist kein Zweifel, daß die Zahl der Anwälte wächst, die solche Ver¬<lb/>
schleppungen, Verwirrungen und Verdunklungen oft in sehr geschickter Weise<lb/>
herbeiführe», denen es nicht darauf ankommt, das Recht zu fördern, sondern<lb/>
nur darauf, im Interesse des Ansehens ihrer Geschäftskunde und damit ihres<lb/>
Gewinns möglichst viel Prozesse zu gewinnen und als Verteidiger den An¬<lb/>
geklagten &#x201E;rausznreißen," selbst wenn sie überzeugt sei» müssen, der Mann sei<lb/>
schuldig, oder das Recht sei bei der Gegenpartei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1732" next="#ID_1733"> Es wird so oft behauptet, die Güte des Richterstaudes gehe herunter, ja<lb/>
sei schon heruntergegangen. Man folgert das aus dem Zurücktreten der Richter<lb/>
von der Führung politischer Parteien, aus manchen in die Öffentlichkeit ge¬<lb/>
brachten der Menge unverständlichen Sprüchen. Es wird behauptet, die Richter<lb/>
müßten ja wenig unterrichtete Leute sein, denn die Studenten der Rechtskunde<lb/>
thäten ans der Universität nichts andres, als trinken, bummelu und das<lb/>
rüde Drohuenleben von Kvrpsstndeiiten führen. Das müßte man aber doch<lb/>
von alle» Juristen, namentlich auch von den Verwaltungsbeamten und von<lb/>
den Rechtsanwälten behaupten können, denn auch sie waren einst Studenten<lb/>
der Rechtskunde.  Alle solche allgemeinen Behauptungen halten die Prüfung</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1L96 65</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0521] sieht in fester, gewinnbringender Praxis dem Treiben behaglich zu, da es ihm nicht mehr viel schaden kann, weil er sein Schäfchen im Trocknen hat. Wie lange aber noch, und diese Vertreter des Anwaltstaudes sind ver¬ schwunden! Werden dann die, die an ihre Stelle treten, in ihrer Gesamtheit geeignet sein, den preußischen Anwaltstand, der an Ehre, Treue, Zuverlässig¬ keit und Gewissenhaftigkeit an der Spitze der Berufsgenossen aller Nationen stand, jedenfalls von dem keines andern Kulturvolkes übertroffeii wurde, auf seiner Höhe zu halten? Nicht nur in den Kreisen der Richter, sondern auch in den Kreisen der ältern Anwälte wird diese Frage bedenkliches Kopfschütteln errege». Stellt man sich aus den Standpunkt des Richters und fragt: Was ver¬ langen wir von einem Rechtsanwalt? so wird in alle» Fällen die Antwort lauten: Der Anwalt soll helfen, das Recht zu finden, sei es im bürgerliche» Rechtsstreit, sei es im Strafverfahre». Er soll ein Helfer sein für die der Formen des Rechts unkundige Partei, er soll darauf achte», daß nicht durch Verletzung oder Nichtbeachtung der vorgeschriebnen Form der Rechtsuchende sein Recht ganz verliert und Unrecht leiden muß, er soll dafür sorgen, daß materiell alles beigebracht werde, was zur Findung des Rechts durch den Richter und zur Beseitigung von Fehlsprüchen nötig ist, aber er soll nicht im bürgerlichen Rechtsstreit durch verschleppende Anträge, durch Bestreiteu der offenbare» Wahrheit und Behaupten von Unrichtigem die Entscheidung hin¬ ziehe» und den Richter verwirren, er soll nicht im Strafverfahren durch allerlei Manöver den Thatbestand zu verdunkeln und den Schuldigen der verdienten Strafe zu entziehen versuchen. Es ist kein Zweifel, daß die Zahl der Anwälte wächst, die solche Ver¬ schleppungen, Verwirrungen und Verdunklungen oft in sehr geschickter Weise herbeiführe», denen es nicht darauf ankommt, das Recht zu fördern, sondern nur darauf, im Interesse des Ansehens ihrer Geschäftskunde und damit ihres Gewinns möglichst viel Prozesse zu gewinnen und als Verteidiger den An¬ geklagten „rausznreißen," selbst wenn sie überzeugt sei» müssen, der Mann sei schuldig, oder das Recht sei bei der Gegenpartei. Es wird so oft behauptet, die Güte des Richterstaudes gehe herunter, ja sei schon heruntergegangen. Man folgert das aus dem Zurücktreten der Richter von der Führung politischer Parteien, aus manchen in die Öffentlichkeit ge¬ brachten der Menge unverständlichen Sprüchen. Es wird behauptet, die Richter müßten ja wenig unterrichtete Leute sein, denn die Studenten der Rechtskunde thäten ans der Universität nichts andres, als trinken, bummelu und das rüde Drohuenleben von Kvrpsstndeiiten führen. Das müßte man aber doch von alle» Juristen, namentlich auch von den Verwaltungsbeamten und von den Rechtsanwälten behaupten können, denn auch sie waren einst Studenten der Rechtskunde. Alle solche allgemeinen Behauptungen halten die Prüfung Grenzboten I 1L96 65

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/521
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/521>, abgerufen am 01.09.2024.