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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr.

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Richter und Anwalt

dann aber auch in der amtlichen Überbürdung, die thatsächlich sehr wenig Zeit
zu andern Dingen läßt. Ein Schluß auf Minderwertigkeit des Wissens oder
des Charakters dürfte aus dieser Zurückhaltung nicht zu ziehen sein.

Eine große Anzahl tüchtiger und sehr tüchtiger Männer wird immer noch
dem Richterstnnde entzogen dnrch die Entsagung, die der Richter der Verwal-
tnngslanfbahn gegenüber hinsichtlich seiner Einkünfte und -- wenn das zweifel¬
haft sein sollte -- jedenfalls hinsichtlich der äußern Ehren üben muß. Die
Verwaltung nimmt bei der jetzigen Massenhaftigkeit des Angebots nur solche
Juristen für ihren Bedarf an, die die Prüfungen hervorragend bestanden haben
-- Fälle von Konnexionen u. dergl. außer Acht gelassen. Sie eröffnet dem
fähigen jungen Beamten dadurch, daß seine Leistungen immer den entscheidenden
Stellen bekannt werden, die Möglichkeit schneller Beförderung. Aber auch ohne
außergewöhnliche Beförderung wird der zur Verwaltung übernvmmne Gerichts-
asfessor zu einer Zeit Regierungsrat, wo der gleichaltrige Kollege in der Justiz
vielleicht erst ein oder zwei Jahre Amtsrichter ist und auf die Ernennung zum
Rat, die ihn wieder im Range gleichstellt, mindestens noch zehn Jahre warten
muß. Nach fünfundzwanzig Jahre etatsmüßiner Anstellung wird der erstere
unfehlbar Geheimer Regierungsrat und damit, sowie durch die Orden, die er
inzwischen ohne besondres Verdienst, nur weil er ein der Reihe war, erhalten
hat, in den Angen der Menge ein hervorragender Man", mag auch sein eigent¬
licher Wirkungskreis noch so unbedeutend sein. Es liegt uns nichts ferner,
als für den Richter gleiche Titel usw. zu beanspruchen; wer Richter ist und
seinen Beruf so hoch hält, wie es dieser verdient, wird in seiner bedeutungs¬
voller" Wirksamkeit und seiner Unabhängigkeit reichen Ersatz für äußern
Prunk finden, aber es berührt doch eigentümlich, wenn einem Richter erst nach
fünfzig- oder sechzigjähriger treuer Thätigkeit der Titel Geheimer Justizrat
verliehen wird, it'N>mit> wäre zu wünschen, daß auch der inhalt¬
lose Ratstitel für deu Richter wegfiele. Amtsrichter, Landrichter, Oberlandes-
nchter, Reichsrichter müßten ihre Ehre und ihre" Stolz in der Bezeichnung
als Richter suchen und würden ihn auch sicher darin finden. Aber bei der
strebenden Jugend darf man heute solche Erwägungen nicht voraussetzen, darum
wenden sich viele ab von der undankbaren Dame Justitia. Was aber bleibt,
sind die -- und es ist Gott sei Dank die Mehrzahl --, deren Ideal eben der
schöne und unabhängige Richterberuf ist, oder auch solche, die nicht in die Ver¬
waltungslaufbahn eintreten können, und zu diesen gehört der schon erwähnte
jüdische Assessor.

Der jüdische Gerichtsassessor -- einen jüdischen Regierungs- oder gar
Fvrstasfessor giebt es uicht -- ist gegenwärtig eine ganz eigentümliche Erschei¬
nung in unserm Rechtsleben. Außer dem Lehramt und einigen Stellen der
Medizinalverwaltung ist dem Juden, der sich dem Staatsdienst widmen will,
thatsächlich nur die Richterstellung offen geblieben, obwohl ihm Ah jurs keine


Richter und Anwalt

dann aber auch in der amtlichen Überbürdung, die thatsächlich sehr wenig Zeit
zu andern Dingen läßt. Ein Schluß auf Minderwertigkeit des Wissens oder
des Charakters dürfte aus dieser Zurückhaltung nicht zu ziehen sein.

Eine große Anzahl tüchtiger und sehr tüchtiger Männer wird immer noch
dem Richterstnnde entzogen dnrch die Entsagung, die der Richter der Verwal-
tnngslanfbahn gegenüber hinsichtlich seiner Einkünfte und — wenn das zweifel¬
haft sein sollte — jedenfalls hinsichtlich der äußern Ehren üben muß. Die
Verwaltung nimmt bei der jetzigen Massenhaftigkeit des Angebots nur solche
Juristen für ihren Bedarf an, die die Prüfungen hervorragend bestanden haben
— Fälle von Konnexionen u. dergl. außer Acht gelassen. Sie eröffnet dem
fähigen jungen Beamten dadurch, daß seine Leistungen immer den entscheidenden
Stellen bekannt werden, die Möglichkeit schneller Beförderung. Aber auch ohne
außergewöhnliche Beförderung wird der zur Verwaltung übernvmmne Gerichts-
asfessor zu einer Zeit Regierungsrat, wo der gleichaltrige Kollege in der Justiz
vielleicht erst ein oder zwei Jahre Amtsrichter ist und auf die Ernennung zum
Rat, die ihn wieder im Range gleichstellt, mindestens noch zehn Jahre warten
muß. Nach fünfundzwanzig Jahre etatsmüßiner Anstellung wird der erstere
unfehlbar Geheimer Regierungsrat und damit, sowie durch die Orden, die er
inzwischen ohne besondres Verdienst, nur weil er ein der Reihe war, erhalten
hat, in den Angen der Menge ein hervorragender Man», mag auch sein eigent¬
licher Wirkungskreis noch so unbedeutend sein. Es liegt uns nichts ferner,
als für den Richter gleiche Titel usw. zu beanspruchen; wer Richter ist und
seinen Beruf so hoch hält, wie es dieser verdient, wird in seiner bedeutungs¬
voller» Wirksamkeit und seiner Unabhängigkeit reichen Ersatz für äußern
Prunk finden, aber es berührt doch eigentümlich, wenn einem Richter erst nach
fünfzig- oder sechzigjähriger treuer Thätigkeit der Titel Geheimer Justizrat
verliehen wird, it'N>mit> wäre zu wünschen, daß auch der inhalt¬
lose Ratstitel für deu Richter wegfiele. Amtsrichter, Landrichter, Oberlandes-
nchter, Reichsrichter müßten ihre Ehre und ihre» Stolz in der Bezeichnung
als Richter suchen und würden ihn auch sicher darin finden. Aber bei der
strebenden Jugend darf man heute solche Erwägungen nicht voraussetzen, darum
wenden sich viele ab von der undankbaren Dame Justitia. Was aber bleibt,
sind die — und es ist Gott sei Dank die Mehrzahl —, deren Ideal eben der
schöne und unabhängige Richterberuf ist, oder auch solche, die nicht in die Ver¬
waltungslaufbahn eintreten können, und zu diesen gehört der schon erwähnte
jüdische Assessor.

Der jüdische Gerichtsassessor — einen jüdischen Regierungs- oder gar
Fvrstasfessor giebt es uicht — ist gegenwärtig eine ganz eigentümliche Erschei¬
nung in unserm Rechtsleben. Außer dem Lehramt und einigen Stellen der
Medizinalverwaltung ist dem Juden, der sich dem Staatsdienst widmen will,
thatsächlich nur die Richterstellung offen geblieben, obwohl ihm Ah jurs keine


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[0523] Richter und Anwalt dann aber auch in der amtlichen Überbürdung, die thatsächlich sehr wenig Zeit zu andern Dingen läßt. Ein Schluß auf Minderwertigkeit des Wissens oder des Charakters dürfte aus dieser Zurückhaltung nicht zu ziehen sein. Eine große Anzahl tüchtiger und sehr tüchtiger Männer wird immer noch dem Richterstnnde entzogen dnrch die Entsagung, die der Richter der Verwal- tnngslanfbahn gegenüber hinsichtlich seiner Einkünfte und — wenn das zweifel¬ haft sein sollte — jedenfalls hinsichtlich der äußern Ehren üben muß. Die Verwaltung nimmt bei der jetzigen Massenhaftigkeit des Angebots nur solche Juristen für ihren Bedarf an, die die Prüfungen hervorragend bestanden haben — Fälle von Konnexionen u. dergl. außer Acht gelassen. Sie eröffnet dem fähigen jungen Beamten dadurch, daß seine Leistungen immer den entscheidenden Stellen bekannt werden, die Möglichkeit schneller Beförderung. Aber auch ohne außergewöhnliche Beförderung wird der zur Verwaltung übernvmmne Gerichts- asfessor zu einer Zeit Regierungsrat, wo der gleichaltrige Kollege in der Justiz vielleicht erst ein oder zwei Jahre Amtsrichter ist und auf die Ernennung zum Rat, die ihn wieder im Range gleichstellt, mindestens noch zehn Jahre warten muß. Nach fünfundzwanzig Jahre etatsmüßiner Anstellung wird der erstere unfehlbar Geheimer Regierungsrat und damit, sowie durch die Orden, die er inzwischen ohne besondres Verdienst, nur weil er ein der Reihe war, erhalten hat, in den Angen der Menge ein hervorragender Man», mag auch sein eigent¬ licher Wirkungskreis noch so unbedeutend sein. Es liegt uns nichts ferner, als für den Richter gleiche Titel usw. zu beanspruchen; wer Richter ist und seinen Beruf so hoch hält, wie es dieser verdient, wird in seiner bedeutungs¬ voller» Wirksamkeit und seiner Unabhängigkeit reichen Ersatz für äußern Prunk finden, aber es berührt doch eigentümlich, wenn einem Richter erst nach fünfzig- oder sechzigjähriger treuer Thätigkeit der Titel Geheimer Justizrat verliehen wird, it'N>mit> wäre zu wünschen, daß auch der inhalt¬ lose Ratstitel für deu Richter wegfiele. Amtsrichter, Landrichter, Oberlandes- nchter, Reichsrichter müßten ihre Ehre und ihre» Stolz in der Bezeichnung als Richter suchen und würden ihn auch sicher darin finden. Aber bei der strebenden Jugend darf man heute solche Erwägungen nicht voraussetzen, darum wenden sich viele ab von der undankbaren Dame Justitia. Was aber bleibt, sind die — und es ist Gott sei Dank die Mehrzahl —, deren Ideal eben der schöne und unabhängige Richterberuf ist, oder auch solche, die nicht in die Ver¬ waltungslaufbahn eintreten können, und zu diesen gehört der schon erwähnte jüdische Assessor. Der jüdische Gerichtsassessor — einen jüdischen Regierungs- oder gar Fvrstasfessor giebt es uicht — ist gegenwärtig eine ganz eigentümliche Erschei¬ nung in unserm Rechtsleben. Außer dem Lehramt und einigen Stellen der Medizinalverwaltung ist dem Juden, der sich dem Staatsdienst widmen will, thatsächlich nur die Richterstellung offen geblieben, obwohl ihm Ah jurs keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_221645/523>, abgerufen am 01.09.2024.